Verfahrensdauer: Der lange Weg durch die Instanzen
Um die Energiewende zu schaffen, müssten täglich neue Anlagen ans Netz gehen. Sie tun es nicht. Was sehr häufig an absurd langen Genehmigungsverfahren liegt.
Die Umweltverträglichkeitsprüfung für das Pumpspeicherkraftwerk Kühtai ist auch ein Symbol. Ein Symbol dafür, wie langsam die Mühlen der Bürokratie mahlen können. 125 Monate dauerte es von der Antragstellung bis zur Genehmigung des Projekts im Sommer 2020. Das nach wie vor in Prüfung befindliche Wasserkraftwerk-Projekt im Kaunertal könnte Kühtai allerdings demnächst den Rang als Wasserkraft-Vorhaben mit der längsten Bewilligungsdauer ablaufen – eingereicht wurde es vor bald 120 Monaten, im Juli 2012.
Und doch täuscht die naheliegende Vermutung, komplizierte Genehmigungsverfahren wären schuld daran, dass die Energiewende nicht vorankommt. „Lange Genehmigungsverfahren sind bei uns nicht das Problem, sondern die vielen Einsprüche vor Gericht, die zu fast jedem Zeitpunkt eingebracht werden können“, skizziert Stefan Zach vom niederösterreichischen Stromversorger EVN die Situation. Viele Projektwerber stoßen ins gleiche Horn.
Windkraft-Errichter etwa beklagen die Möglichkeit wiederholter Einsprüche bei Verfahren vor allem deshalb, weil Bewilligungen auf diese Weise häufig solange hinausgezögert werden, bis in dem Moment, in dem ein Projekt endlich genehmigt wird, die Technik, die dafür genutzt hätte werden sollen, bereits wieder veraltet ist oder gar nicht mehr geliefert werden kann.
Ein Ausweichen auf die nächste Produkt-Generation bedeute aber, dass das betroffene Projekt eine zusätzliche Genehmigungsschleife drehen müsse, wie Martin Fliegenschnee-Jaksch von der IG Windkraft betont: „Dann muss erneut ein Genehmigungsverfahren für die neuen Anlagentypen durchgeführt werden. Wir fordern daher, dass wie schon bei Wasserkraft technische Änderungen innerhalb einer bereits genehmigten Hülle keine langwierigen neuen Verfahren nach sich ziehen.“
Endlose Einsprüche
Solange es eine solche Regelung nicht gebe, erzählt ein Insider, der schon viele Genehmigungsverfahren miterlebt hat, würden Projektgegner nämlich ganz bewusst darauf setzen, dass sie Projekte mit Einsprüchen endlos aufschieben können.
Mutwillige Verzögerungen durch Projektgegner als die einzige Ursache für lange Verfahrensdauer zu orten, beschreibe die Realität allerdings nicht zur Gänze, wendet der grüne Landeshauptmannstellvertreter und zugleich Energiereferent des Landes Salzburg Heinrich Schellhorn ein und gibt zu bedenken: „Die Länge der Genehmigungsverfahren hängt schon auch von der Qualität der eingereichten Unterlagen ab.“
Der im Februar veröffentlichte 8. UVP-Bericht des Umweltministeriums bestätigt, dass sich tatsächlich nicht alle UVP-Verfahren in die Länge ziehen. Ein Genehmigungsverfahren benötige laut dem Bericht ab Vorliegen der vollständigen Unterlagen bis zur Entscheidung im Schnitt etwas mehr als sieben Monate. Verzögerungen entstehen aber, wenn zusätzliche Unterlagen bereitgestellt werden müssen. Laut Angaben des Ministeriums verdopple sich dann die durchschnittliche Verfahrensdauer und erreiche fünfzehn Monate.
Vertreter der Energiewirtschaft weisen allerdings darauf hin, dass gerade bei Projekten zu erneuerbarer Energie die Verfahren deutlich über dem im Bericht angegebenen Wert liegen würden. Verfahren für neue Windkraftanlagen würden im Schnitt etwa ein bis drei Jahre dauern, sagt Wiener-Netze-Geschäftsführer Thomas Maderbacher.
Bereits bei mittelgroßen Wasserkraftwerken können bis zur Genehmigung vier Jahre vergehen, bei Netzausbauprojekten liegt die Höchstmarke derzeit bei acht Jahren, große Wasserkraftvorhaben wie Kühtai werden schnell einmal zweistellig.
Strategische Umweltprüfung als Chance
Derartige Verzögerungen ergeben sich oft auch deshalb, weil bei einer UVP immer wieder sehr komplexe Fragestellungen innerhalb eines einzigen Verfahrens abgehandelt werden müssen. Hier, so findet Thomas Alge vom Ökobüro, einem Zusammenschluss österreichischer Umweltorganisationen, könnte eine bessere Nutzung der strategischen Umweltprüfung ein Mittel im Vorfeld sein, um Verfahren zu beschleunigen: „Ist ein Gebiet als grundsätzlich für eine bestimmte Form der Energiegewinnung geeignet ausgewiesen, muss man diese Frage dann nicht bei jedem Einzelprojekt neu klären.“
Der Vorschlag hat auch deshalb eine Berechtigung, weil mangelndes Personal auf Behördenseite zu den wohl größten Verzögerungen führt. Beim Erweiterungsprojekt Kühtai der TIWAG, erzählt Vorstandsdirektor Johann Herdina, habe es naturgemäß eine ganze Menge an sehr spezifischen Fragestellungen zu bearbeiten gegeben. Die zuständigen Behörden hätten die schwierige Aufgabe gehabt, auf der Basis des vorliegenden Datenmaterials zwischen den gegensätzlichen Interessenslagen einen Ausgleich zu finden und die bestmögliche Entscheidung zu treffen.
„Im Sinne einer effizienteren, zeitsparenderen Abwicklung sollte aus unserer Sicht die Behörde im Allgemeinen nicht nur auf interne, sondern auch auf externe Sachverständige zugreifen können. Die hohe Auslastung der internen Sachverständigen führte gerade beim Erweiterungsprojekt Kühtai zwangsläufig zu einer Verzögerung im Verfahren“, fordert daher Herdina.
Die Forderung ist nicht neu. Genauso wenig wie jene, dass Genehmigungen grundsätzlich schneller gemacht werden sollten. Im Oktober des Vorjahres hat Umweltministerin Leonore Gewessler eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich des Themas annehmen sollte. „Ich will, dass wir diese Verfahren nach höchsten Standards und gleichzeitig so effizient wie möglich führen“, erklärte die Ministerin damals.
Ministerium kündigt Verbesserungen an
Inzwischen scheint zumindest ein wenig Bewegung in die Sache gekommen zu sein. Im Februar, bei der Präsentation des aktuellen UVP-Berichts, legte sich Gewessler darauf fest, dass es in Zukunft möglich sein soll, Teile eines UVP-Verfahrens vor dem Endbescheid abzuschließen. Diese Teile sollen dann auch nicht mehr angefochten werden können. Wie überhaupt die Fristen für Einsprüche verkürzt werden sollen.
Bei den fehlenden Sachverständigen solle laut der Ministerin wiederum zumindest dahingehend eine Entlastung erfolgen, dass es anders als bisher einen österreichweiten Sachverständigenpool geben werde. Derzeit hat jedes Bundesland eigene Sachverständige. Die entscheidende und bislang ungeklärte Frage bei dieser Lösung ist aber, ob der in Aussicht gestellte bundesweite Pool auch mit einer personellen Aufstockung einhergehen wird oder nicht.
Und, auch darauf weisen Projektbetreiber immer wieder hin: Angesichts der vielen Einsprüche, die von Gerichten entschieden werden müssen, werden schnelle Genehmigungen auch Personalverstärkungen in diesem Bereich benötigen.
Denn Personalmangel schlägt sich inzwischen auf allen Verfahrens- bzw. Genehmigungsebenen nieder, nicht nur bei der Umweltverträglichkeitsprüfung. Aus diesem Grund, findet Manfred Hofer, der Vorsitzende der Geschäftsführung bei Netz Oberösterreich, sollte man auch verstärkt darauf schauen, ob es nicht Bewilligungen gebe, die auf eine einfachere Weise erledigt werden könnten als durch eine Eingabe bei der entsprechenden Behörde. Als Beispiel nennt er das Prozedere, das jedes Mal anfällt, wenn ein Trafo getauscht werden muss. Obwohl normalerweise immer die gleichen Standard-Trafos aufgestellt werden, muss jeder von ihnen energierechtlich gesondert genehmigt werden. Das Verfahren selbst dauert in der Regel mehrere Monate, inhaltlich ist es aber immer das gleiche.
Weniger Bürokratie als Gebot der Stunde
„Die geplante Genehmigungsfreistellung, die im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz 2021 für Anlagen bis 45 kV vorgesehen ist, würde hier eine enorme Entbürokratisierung, eine Verfahrensvereinfachung und eine Beschleunigung bedeuten. Alleine in Oberösterreich würden mehr als 200 Genehmigungsverfahren pro Jahr wegfallen“, sagt Hofer.
Personalmangel, erklärt Hofer, gebe es aber auch bei den Netzbetreibern selbst, was ebenfalls so manchen Bewilligungsakt verzögere. Etwa wenn es darum geht zu prüfen, ob das Netz den Strom aus der geplanten Anlage auch tatsächlich aufnehmen und weiterhin stabil betrieben werden kann. „Früher dauerte es acht bis zehn Tage, bis ein Antrag, eine PV-Anlage ans Netz anschließen zu dürfen, bearbeitet war, heute sind es acht bis zehn Wochen. Uns fehlen kurzfristig die Mitarbeiter, um die vielen Anträge zeitnah bearbeiten zu können.“
An anderen Stellen sieht es nicht besser aus. Dazu kommt auch, dass die Genehmigungsverfahren generell immer komplexer werden. Je komplexer Verfahren aber werden, desto länger brauchen die zuständigen Fachleute, um die Unterlagen zu sichten und zu bearbeiten – ganz unabhängig davon, ob sie in Behörden sitzen oder auf der Seite der Projektbetreiber arbeiten.
Die Vielzahl der Themen, die bei großen Energie-Projekten abgehandelt werden müssen, macht es noch einmal schwieriger, denn diese können von Forstrecht über Wasserrecht, Raumordnung bis hin zu ziemlich speziellen Fragen des Artenschutzes reichen. Ist da gerade einer der wenigen in Frage kommenden Gutachter nicht verfügbar, steht das Verfahren. Ein wichtiger Punkt, der zur Beschleunigung des Erneuerbaren-Ausbaus beitragen kann, wäre neben einer Straffung des Instanzenweges daher auch eine Art Vorrangstellung für grüne Energieverfahren. Der Mitte Juni von Klimaschutzministerin Gewessler vorgestellten Drei-Punkte-Plan für eine schnellere Energiewende ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die E-Wirtschaft begrüßt insbesondere den darin vorgesehenen „Fast-Track“ für die Genehmigung von erneuerbaren Erzeugungsanlagen, Netzinfrastruktur und Speichern.
Weitere Informationen zur Verfahrensdauer
Vorschläge für die Beschleunigung und Effizienzsteigerung von UVP-Verfahren |
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