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Netzausbau in Österreich

Österreichs Netze sind auf die Schwankungen, die Photovoltaik, Windkraft und vor allem die sich rasant entwickelnde E-Mobilität mit sich bringen, nicht vorbereitet. Drei Szenarien zu Investitionsnotwendigkeiten – und wie die Kosten gesenkt werden könnten.
 

Die Veränderungen kommen rasch, und sie werden massiv sein. Dekarbonisierung der Energieerzeugung, Elektrifizierung vor allem der Mobilität, Demokratisierung und Flexibilisierung des Marktes – all dies wird die Energiebranche transformieren. Die ambitionierten Ziele der mission2030 haben diese Entwicklungen in Zielwerte gegossen. So soll die elektrische Energieversorgung bis 2030 vollständig auf erneuerbare Erzeugung umgestellt sein und der Anteil elektrisch betriebener Pkw bis zu 30 Prozent erreichen.

Die Belastung der Übertragungs- und Verteilernetze wird dadurch signifikant steigen. Bestehende Netzstrukturen werden die neuen Anlagen und Technologien allerdings nur zum Teil integrieren können. Die Netze müssen also ertüchtigt werden – der Frage, was das kostet, geht nun erstmals eine brandaktuelle Studie der österreichischen Netzplaner nach.
 

Methodischer Meilenstein

Betrachtet werden dabei ausschließlich mögliche Effekte von Elektromobilität (EV) und Photovoltaik (PV) – also jener Technologien, bei denen in den kommenden Jahren die größte Wirkung auf die Verteilernetze erwartet wird.

Die Studie ist methodisch durchaus ein Meilenstein: Erstmals wurde der Netzausbaubedarf für die Umsetzung aktueller politischer Ziele für EV und PV für ganz Österreich anhand einer gemeinsamen Vorgehensweise durch die Netzbetreiber aller Bundesländer für die kommenden zehn Jahre abgeschätzt. Angesichts deren Heterogenität mussten zunächst harmonisierte Berechnungsansätze und Szenarien erarbeitet werden, um Netzsimulationen durchführen zu können.

Die Studie wurde von Oesterreichs Energie organisiert, an der Ausarbeitung nahmen unterschiedliche Verteilnetz- und Übertragungsnetzbetreiber teil. AIT, FH Vorarlberg und die Montanuniversität Leoben bildeten einen wissenschaftlichen Beirat. Die Studienautoren haben drei Szenarien berechnet, wie sich Netzausbaubedarf und damit verbundene Kosten entwickeln dürften. Die Zusatzkosten sind in die Regelinvestitionskosten teilüberlappend eingerechnet. Die Zusatzkosten für EV und PV überlappen sich ebenfalls und dürfen nicht ungekürzt addiert werden. Auch bei einer Kombination der drei Szenarien ist 1:1-Addition nicht zulässig. Eine Überlappung der Kosten für EV und PV hängt von der Inhomogenität deren Örtlichkeit im Netz sowie deren Höhe, Eintritt und Gleichzeitigkeit der jeweiligen Beanspruchung ab. Stark wirkt sich jedenfalls aus, welche Entwicklung wie dynamisch erfolgt – und ob zeitgleich mit der anderen.

Szenario 1: "EV10"

Annahme: Die E-Mobilität erreicht bis 2030 einen Anteil von zehn Prozent aller Pkw.

Schon in diesem Szenario ist der Bedarf an Netzverstärkungen oder Netzausbau beträchtlich. Vor allem in ländlichen Niederspannungsnetzabschnitten ergeben die Berechnungsergebnisse, dass Spannungsgrenzwerte an einzelnen Netzknoten unterschritten, aber auch thermische Grenzwerte bei den MS/NS-Transformatoren überschritten wer-den. Zum Teil werden in diesem Szenario auch in städtischen Netzabschnitten Grenzwertverletzungen erwartet.

Auch in einzelnen Mittelspannungsnetzabschnitten kommt es beim Szenario „EV10“ bereits zum Erfordernis von Netzmaßnahmen. Im Hoch-spannungsnetz wären vereinzelt Verstärkungsmaßnahmen bei den Umspannern von Hoch- auf Mittel-spannung erforderlich. Bei einigen wenigen Leitungsabschnitten, die bereits heute sehr ausgelastet sind, werden bei diesem Szenario ebenfalls Maßnahmen erforderlich.

Geschätzter zusätzlicher Investitionsbedarf bis 2030:
+ 0,9 Milliarden Euro (+ 8 Prozent) bezogen auf die Regelinvestitionskosten.

Privathaus mit E-Auto
© Regina Hügli

Szenario 2: „EV30“

Annahme: Die E-Mobilität erreicht bis 2030 einen Anteil von 30 Prozent aller Pkw.

In diesem Szenario (Ziel im Regierungsprogramm 2020) zeigt sich ein Bedarf für Netzverstärkungen beziehungsweise Netzausbau in einer Vielzahl von Ortsnetzen. Sowohl in ländlichen als auch in städtischen Netzabschnitten sind Maßnahmen in Form von Netzverstärkungen und Tausch von Transformatoren erforderlich. Zusätzlich ist ein erheblicher Bedarf an neuen Ortsnetzstationen gegeben, um die benötigten Leistungen unter Einhaltung aller Spannungsgrenzwerte und thermischen Grenzwerte zur Verfügung zu stellen.

In den Mittelspannungsnetzen führt dieses Szenario zu einer deutlichen Steigerung der Auslastung und damit in vielen Netzabschnitten zu erforderlichen Netzverstärkungen bzw. Netzneubauten. Teilweise sind die Leistungsanforderungen durch Maßnahmen allein auf der Mittelspannungsebene nicht mehr zu beherrschen, und neue Umspannwerke werden zur Abstützung des Mittelspannungsnetzes aus dem Hochspannungsnetz nötig. Außer dem Bau neuer Umspannwerke sind zusätzliche bzw. leistungsstärkere Umspanner in den bestehenden Umspannwerken erforderlich. Auch im Hochspannungsleitungsnetz zeigt sich ein deutlicher Bedarf an Verstärkungsmaßnahmen

Geschätzter zusätzlicher Investitionsbedarf bis 2030:
+ 4,3 Milliarden Euro (+ 41 Prozent) bezogen auf die Regelinvestitionskosten.

Montage der Photovoltaik-Anlage am Haus des Meeres
© Wien Energie/Johannes Zinner

Szenario 3: „PV2030“

Annahme: Der Photovoltaik-Bestand wird sich von 2020 bis 2030 verachtfachen.

Das Szenario „PV2030“ (Ziel im Regierungsprogramm 2020) zeigt aufgrund der anzunehmenden Gleichzeitigkeit einen hohen Bedarf an Netzverstärkungen/Netzausbau. Wiederum besteht vor allem bei ländlichen Niederspannungsnetzabschnitten erheblicher Handlungsbedarf. Zur Vermeidung der Grenzwertverletzungen sind entsprechende Netzmaßnahmen erforderlich. Bei der Überlastung des MS/NS-Transformators erfolgt die Verstärkung wiederum in Form eines Tausches des Transformators auf einen Transformator mit höherer Nennleistung.

Ein Teil der Photovoltaikanlagen ist in diesem Szenario direkt im Mittelspannungsnetz angeschlossen. Weiters kommt es zu vermehrten Rückspeisungen von der Niederspannungs- in die Mittelspannungsebene, wodurch auch in den Mittelspannungsnetzen der Bedarf für zusätzliche Netzmaß-nahmen entsteht. Wo eine konventionelle Netzverstärkung bzw. Netzausbau nicht genügt, kann dieses Szenario auch zum Erfordernis von neuen Umspannwerken, zum Neubau sowie Erweiterung bestehender MS-Schaltanlagen in Umspannwerken sowie zu erforderlichen Aufteilungen bestehender MS-Abzweige im Normalschalt- und im Ersatzversorgungszustand inklusive notwendiger Erdschluss-löschspulen führen.

Auch das Szenario „PV2030“ führt im Hochspannungsnetz zu erforderlichen Investitionen. Teil-weise sind Verstärkungsmaßnahmen bei den Umspannern von Hoch- auf Mittelspannung sowie von Hochspannungsleitungen erforderlich.

Geschätzter zusätzlicher Investitionsbedarf bis 2030:
+ 2,8 Milliarden Euro (+ 27 Prozent) bezogen auf die Regelinvestitionskosten.

Wie lassen sich die Investitionskosten dämpfen?

Sehr grob abgeschätzt kann man in einer ersten Näherung von Zusatzkosten für die Umsetzung der Regierungsziele in den österreichischen Stromnetzen von rund 50 Prozent in den kommenden zehn Jahren ausgehen. Damit hat sich für die Experten sofort die Frage nach Dämpfungsmöglichkeiten dieser Zusatzkosten gestellt, da sich die Netzbetreiber einer volkswirtschaftlichen Optimierung verpflichtet fühlen. Aus einer Reihe anderer Empfehlungen stechen vor allem vier wegen überdurchschnittlicher Wirksamkeit deutlich hervor:

  1. Einführung einer spürbaren Leistungspreiskomponente in den Netztarifen, um eine maßvolle Nutzung der wertvollen Netzreserven zu beanreizen. Hier wird eine sehr hohe Wirkung erwartet, was auch vom Regulator gleich eingeschätzt wird.
  2. Rechtskonforme Nutzung der Daten aus intelligenten Messgeräten (Smart Meter). Es wäre unverständlich, aus einer nationalen Investition von etwa zwei Milliarden Euro das Potenzial für eine belastbare Netzreservenbewirtschaftung nicht zu heben. Bei Einführung von Smart Metern für Österreich war noch keine Rede von E-Mobilität. Aufgrund der Aktualität ist nun die Rechtsgrundlage anzupassen. Hier winken ebenfalls beträchtliche Dämpfungseffekte.
  3. Begrenzung der Einspeisung von PV-Anlagen auf 70 Prozent der Kilowattpeakleistung, ähnlich wie in Deutschland. Bis zu einer mittleren Größe von z. B. 30 Kilowattpeak sind kurzzeitige Spitzenwerte des Rückflusses ins Netz zu begrenzen, um die wertvollen Netzreserven für andere Anlagen (ganzjährig wirksam, aber nur kurz auftretend) nicht zu blockieren.
  4. Die Netzbetreiber brauchen für die Steuerung eines wirtschaftlichen Netzbetriebs gewisse rechtliche Möglichkeiten, um eine Leistungsbeeinflussung der Energieflüsse in den Netzen zu lenken. Zusätzliche Leistungsspitzen müssen immer durch meist kostenintensiven Netzausbau beherrscht werden. Je gleichmäßiger die Energieflüsse gehalten werden können, desto länger reicht das Bestandsnetz auch für die zukünftigen Aufgaben. Dies wurde schon jahrzehntelang mittels Rundsteuerung und Schaltuhren praktiziert und ist nun verstärkt sinnvoll.

Wenn komplette Lebensbereiche wie Mobilität und Raumwärme (Wärmepumpen) von fossilen Energieträgern zum Strom kommen sollen, benötigen die Netzbetreiber die Unterstützung und das Verständnis von Politik und Kunden, um die Zusatzaufgaben möglichst kosteneffizient erfüllen zu können. Am Gelingen dieser Riesenaufgabe selbst zweifeln die österreichischen Netzbetreiber aber nicht im geringsten.

Ansprechpartnerin

Ursula Tauschek
Leitung Netze
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u.tauschek@oesterreichsenergie.at