SuREmMa+
Herausforderung Schwall und Sunk – wie können ökologische Verbesserungen in Gewässern mit energiewirtschaftlichen Interessen in Einklang gebracht werden?
Wie kann die österreichische Elektrizitätswirtschaft die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union (WRRL) erreichen, ohne den für die Energiewende dringend nötigen Einsatz der heimischen Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke signifikant einschränken zu müssen? Mit dieser Frage befassten sich das interdisziplinäre Forschungsprojekt SuREmMa (Sustainable Rivermanagement – Energiewirtschaftliche und umweltrelevante Bewertung möglicher schwalldämpfender Maßnahmen) und das Nachfolgeprojekt SuREmMa+, dessen Ergebnisse seit kurzem vorliegen.
Das Ziel der Vorhaben bestand darin, für Österreich eine standardisierte Vorgangsweise zu entwickeln, mit der Maßnahmen zum Erreichen der Ziele der WRRL ökologisch und energie- bzw. volkswirtschaftlich bewertet werden können. Beteiligt an den beiden Projekten war ein Konsortium aus Energieversorgungsunternehmen, energiewirtschaftlichen Experten, universitären sowie außeruniversitären Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. Unterstützung bot das für Wasserwirtschaft zuständige nunmehrige Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT). In SuREmMa+ entwickelte das Konsortium auf Basis von Fallbeispielen eine auf Österreich anwendbare Methode weiter, die im Zuge von SuREmMa bereits bis 2017 erarbeitet worden war. Ausführlich dargestellt ist das weiterentwickelte Verfahren in vier technischen Berichten, die überdies Monitoringkonzepte hinsichtlich der abiotischen und biotischen Situation der Gewässer enthalten (siehe Infokästchen).
Eine kompakte Zusammenfassung bietet der 158 Seiten umfassende „Forschungsbericht SuREmMa+; Entwicklung einer Methode zur ökologischen und energiewirtschaftlichen Bewertung von Maßnahmen zur Minderung von negativen schwall- und sunkbedingten ökologischen Auswirkungen“. Die Ergebnisse dieses Projektes sollen die Basis für die Erstellung eines Leitfadens zur Reduktion von nachteiligen ökologischen Folgen von Schwall unter Berücksichtigung von energiewirtschaftlichen Aspekten bilden.
Herausforderung WRRL
Wie es in der WRRL im Jahr 2000 heißt, verpflichten sich die Mitgliedsstaaten der EU grundsätzlich, bis 2027 einen guten ökologischen Zustand bzw. ein gutes ökologisches Potenzial in den europäischen Fließgewässern wiederherzustellen und die weitere Verschlechterung ihres Zustandes zu verhindern. Davon sind auch die heimischen Speicher- bzw. Pumpspeicherkraftwerke betroffen. An der gesamten in Österreich installierten Kraftwerksleistung von etwa 26.200 Megawatt (MW) haben sie einen Anteil von rund 34 Prozent und sind für das Erreichen der klima- und energiepolitischen Ziele Österreichs unverzichtbar. Aufgrund ihrer Flexibilität können Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke die witterungsbedingt stark schwankende Stromerzeugung aus Windparks und Photovoltaikanlagen optimal ausgleichen. Dies ist umso wichtiger, als flexible thermische Kraftwerke aufgrund klimapolitischer Vorgaben künftig nicht mehr im bisherigen Ausmaß zur Verfügung stehen werden. Da die erneuerbaren Energien stark ausgebaut werden, ist von einer steigenden Bedeutung der Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke auszugehen – nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa. Laut dem „Forschungsbericht SuREmMa+“ unterstützen sie „innerhalb des europäischen Strommarktes bereits heute maßgeblich die effiziente Integration der fluktuierenden erneuerbaren Energien“.
Allerdings kann der Betrieb von Speicher- bzw. Pumpspeicherkraftwerken die Fließgewässer und die darin vorkommenden Lebewesen belasten, vor allem durch zeitweilige Mehr- bzw. Minderabflüsse (Schwall und Sunk). SuREmMa hatte das Hauptaugenmerk auf das Thema Sunk gerichtet, SuREmMa+ nahm zusätzlich die Schwallproblematik in den Blick. Wie es im Forschungsbericht heißt, wird mit SuREmMa+ „das SuREmMa-Konzept zur integrativen ökologischen und energiewirtschaftlichen Bewertung von Maßnahmen zur Minderung von negativen schwall- und sunkbedingten ökologischen Auswirkungen verfeinert bzw. gemäß dem aktuellen Stand des Wissens vervollständigt und mit einer höheren Detailschärfe auf ausgewählte Fallbeispiele angewandt“.
Neben den Auswirkungen auf die Fischpopulation berücksichtigt SuREmMa+ auch jene auf das Makrozoobenthos, zu dem unter anderem Schnecken, Würmer, Krebstiere sowie Insekten von Eintagsfliegen bis zu Libellen gehören. Neben dem „Strandungsrisiko“ infolge des Sunks werden das „Driftrisiko“ infolge des Schwalls sowie Möglichkeiten zur Verbesserung der Verfügbarkeit und Qualität der Lebensräume dieser Lebewesen untersucht. Welche Möglichkeiten die „SuREmMa+“-Bewertungsmethode bietet, zeigt ein fiktives Fallbeispiel, das unabhängig von betriebsinternen und vertraulichen Daten der Kraftwerksbetreiber „in Bezug auf die abiotischen, ökologischen und energiewirtschaftlichen Standortbedingungen ein typisches schwallbelastetes Teileinzugsgebiet Österreichs widerspiegelt“. Die Festlegung des Zielzustands erfolgt dabei über die prognostizierte ökologische Wirkung einzelner Maßnahmen.
Das im Rahmen von SuREmMa+ entwickelte Konzept zur Maßnahmenfindung wurde bereits an ausgewählten schwallbelasteten Gewässern erprobt. In den kommenden Jahren soll es bei konkreten Vorhaben zur Anwendung kommen und aufgrund der dabei zustandekommenden Erfahrungen erforderlichenfalls weiter adaptiert werden.
Das im Rahmen von SuREmMa+ entwickelte Konzept zur Maßnahmenfindung wurde bereits an ausgewählten schwallbelasteten Gewässern erprobt. In den kommenden Jahren soll es bei konkreten Vorhaben zur Anwendung kommen und aufgrund der dabei zustandekommenden Erfahrungen erforderlichenfalls weiter adaptiert werden.
Drei Maßnahmentypen
Dem Forschungsbericht zufolge gibt es insbesondere drei Maßnahmentypen, um die Auswirkungen von Speicher- und Pumpspeicherkraftwerken auf die Fließgewässer unmittelbar bzw. „direkt“ zu entschärfen. Dabei handelt es sich um die in den allermeisten Fällen signifikant negative Einschränkung des Kraftwerksbetriebs, die Schwalldämpfung durch die Errichtung von Schwalldämpfungsbecken, sowie um die teilweise bis gänzliche Ausleitung der Schwallwellen und deren mögliche Nutzung in einem Schwallausleitungskraftwerk. Diesbezüglich wurden in SuREmMa+ acht hydrologische Wirkungsszenarien untersucht, vom unveränderten Betrieb des Kraftwerks in der bisherigen Weise („Maßnahmenumfang – Szenario F: Unveränderte Maximalintensität im Vergleich zum Istzustand“) bis zur vollständigen Ausleitung der Schwallwellen („Maßnahmenumfang – Szenario A (Totalausleitung): Maximalintensität im Vergleich zum Istzustand auf 0% verringert“). Indirekte Maßnahmen, um die Auswirkungen von Schwall und Sunk zu verringern, wie etwa Aufweitungen, Anbindungen von Seitenzubringern, In-stream-Maßnahmen sowie Erhöhungen des Basisabflusses wurden ebenfalls berücksichtigt.
Wie sich bestätigte, wären Betriebseinschränkungen aus Sicht der Elektrizitätswirtschaft die schlechteste Maßnahme. Im Extremfall müsste dabei mit einem massiven Verlust an flexibler Leistung und flexiblen Erzeugungsmengen „bzw. negativen betriebswirtschaftlichen Effekten in Höhe von 50 % im Vergleich zum (wasserrechtlich) bewilligten Zustand“ gerechnet werden. Hinzu kommt, dass sich Betriebseinschränkungen aus volkswirtschaftlicher Sicht und für die Verfolgung der Ziele des Klimaschutzes nachteilig auf das gesamte System zur Stromversorgung auswirken: Die Anlagen könnten nicht mehr mit der notwendigen Flexibilität gefahren werden. Laut dem Forschungsbericht bedeutet dies, dass „der Verlust an Flexibilität in bestehenden Speicherkraftwerken langfristig durch andere Flexibilitätsoptionen kompensiert werden muss. Dadurch kommt es zu einer Erhöhung der Systemkosten durch die zusätzlich erforderlichen Investitionen in alternative Flexibilitätsoptionen“. Diese Kosten können je nach der gewählten alternativen Technologie zwischen 50.000 und 150.000 Euro pro MW und Jahr betragen. Zusätzlich können Teile der volatilen Erzeugung aus erneuerbaren Energien nicht mehr durch die Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke integriert werden und es entfällt ein Teil der regenerativen Erzeugung aus Wasserkraft. Angesichts dieser enormen Nachteile sollten Betriebseinschränkungen ausschließlich in Einzelfällen und auf freiwilliger Basis erfolgen. Eine rechtliche Verpflichtung kann aus Sicht der E-Wirtschaft nicht in Frage kommen.
Ausleitung vorteilhaft
Was Schwalldämpfungsbecken betrifft, ist die Umsetzbarkeit von verfügbaren und geeigneten Grundstücken abhängig. Die zu ihrer Errichtung notwendigen Investitionen hängen zudem stark vom jeweiligen Standort ab. Dem Forschungsbericht zufolge kann daher für sie „kein allgemein gültiger Bewertungsansatz abgeleitet werden“. Dies gilt auch für die Schwallausleitungskraftwerke, die dem Forschungsbericht zufolge „im Vergleich zu Schwalldämpfungsbecken noch deutlich stärker von den Bedingungen am jeweiligen Standort abhängig“ sind. Überdies können solche Anlagen „nicht an jedem schwallbelasteten Gewässerabschnitt umgesetzt werden, da häufig keine geeigneten wasser- und energiewirtschaftlichen Randbedingungen vorliegen“. Ökologisch betrachtet haben Schwallausleitungskraftwerke im Vergleich mit Betriebseinschränkungen und Dämpfungsbecken allerdings „das höchste Verbesserungspotenzial“. Ferner weisen sie keineswegs gering zu schätzende ökonomische Vorteile auf: Sie „erhöhen die verfügbare Leistung im Versorgungssystem und stellen zusätzliche Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bereit. Dadurch können u. a. zur Erreichung der politischen Ausbauziele für erneuerbare Energien Investitionen an anderer Stelle vermieden werden.“ Weil die Stromgestehungskosten von Windparks und Photovoltaikanlagen mittel- bis langfristig bei rund 60 bis 120 Euro/MWh liegen, wäre der Bau von Ausleitungskraftwerken an geeigneten Standorten volkswirtschaftlich sinnvoll.
Zusammenfassend heißt es in dem Forschungsbericht, es bestehe „weiterhin Forschungsbedarf, um die systematischen ökologischen Zusammenhänge als Grundlage für die Erstellung von Machbarkeitsstudien bzw. in weiterer Folge für einen effizienten Sanierungsweg besser interpretieren zu können“. Aus diesem Grund hat die E-Wirtschaft das Forschungsprojekt „ÖkoResch“ eingeleitet. Dieses dient dazu, die in SuREmMa+ ausgearbeitete Methodik anhand konkreter Erfahrungen bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Verringerung der ökologischen Auswirkungen von Schwall und Sunk weiter zu verbessern und Grundlagen für die Erstellung eines Leitfadens zu schaffen. „Die in den ‚Lernzyklen‘ erhobenen Daten und wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisse können fallspezifisch herangezogen werden, um die Erreichung des Zielzustandes zu dokumentieren und bilden eine wesentliche Grundlage für die Zielerreichung in anderen schwallbelasteten Gewässerstrecken. Außerdem können zur Erreichung des Zielzustandes punktuell erforderliche weitere Maßnahmen zielgerichtet festgelegt werden“, schließt der Forschungsbericht.
An dem Projektkonsortium beteiligt waren:
Beratende Funktion hatte das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus. | Die Ergebnisse finden sich im Forschungsbericht und in den Technischen Berichten I bis IV:
|
Downloads
Forschungsbericht SuREmMa+ | 9 MB | ||
Technischer Bericht I | 5 MB | ||
Technischer Bericht II | 3 MB | ||
Technischer Bericht III | 2 MB | ||
Technischer Bericht IV | 16 MB |