Studie zur Mittelspannungs-Gleichstromübertragung – Teil 2
Im zweiten Teil der Mittelspannungs-Gleichstromübertragungs-Studie befassten sich Experten mit Konvertertechnologien sowie deren Übertragungskapazität und Zuverlässigkeit.
Das Ziel der ersten Phase des von Oesterreichs Energie geförderten Forschungsprojekts „Mittelspannungs-Gleichstromübertragung“ war, grundsätzliche technische Fragen zum Thema MGÜ zu klären und mögliche Anwendungsfälle in Österreich zu identifizieren. In der zweiten Phase des Projekts befassten sich die Institute für Hochspannungstechnik und Systemmanagement (IHS) sowie für Elektrische Anlagen und Netze (IEAN) der Technischen Universität Graz mit üblichen Konvertertechnologien und -topologien sowie deren Eigenschaften. Von Interesse waren insbesondere die Übertragungskapazität und Zuverlässigkeit. Mithilfe von Simulationen gelang es, die Übertragungskapazitäten von MGÜ im Vergleich zu Hoch- und Mittelspannungsdrehstromübertragungen zu beschreiben.
Überdies führten die Studienautoren multiphysikalische Simulationen von Wechselspannungs-Kabelsystemen unter Gleichspannungsbeanspruchung durch, um deren elektrische und thermischen Beanspruchungen beim Einsatz in MGÜ-Kabelstrecken besser zu verstehen. Weitere experimentelle Untersuchungen umfassten Isolationsstrommessungen, DC-Durchschlagsprüfungen sowie die Messungen der Geräuschemissionen bei MGÜ-Freileitungen. Derzeit werden Übertragungs- und Verteilernetze nahezu ausschließlich mithilfe der Wechselspannungstechnik betrieben. Für die Einbindung von Gleichstromleitungen sind daher Umrichter (Konverter) erforderlich, die die Wechsel- in Gleichspannung umwandeln und umgekehrt. Nach der übersichtsartigen Beschreibung der gängigen Konvertertechnologien – der selbstgeführten Umrichter (Voltage Source Converter VSC) und der fremdgeführten Geräte (Line Commutated Converter, LCC) – sowie der Konvertertopologien (monopolar sowie bipolar in unterschiedlichen Ausprägungen) befassen sich die Autoren auch mit der Fehlerabschaltung in MGÜ-Systemen.
Sind die Leiterseile trocken, halten Gleichstromsysteme wesentlich höhere Spannungen aus als Wechselstromleitungen, bevor es zu einem Durchschlagen der Isolierungen kommt.
Bipolare MGÜ-Systeme mit selbstgeführten Umrichtern in Vollbrückenausführung weisen die besten Eigenschaften für MGÜ-Anwendungen auf.
Eine Besonderheit des Isoliersystems bei Gleichspannung ist der thermische Durchschlag, auch als „thermal runaway“ bezeichnet. Er beschreibt die Zerstörung der Isolierung von Stromkabeln infolge der Kabelerwärmung durch Isolationsströme. Diese verringert den spezifischen Widerstand, was wiederum den Isolationsstrom über die Isolierung verstärkt. Am Ende dieser „Aufwärtsspirale“ steht die Zerstörung der Isolierung. Eindämmen lässt sich diese Gefahr durch Verwendung eigens entwickelter Arten von vernetztem Polyethylen (VPE). Der Studie zufolge beläuft sich die maximale Betriebstemperatur bei zurzeit gängigen DC-Kabeln mit VPE-Isolierung auf 90 Grad Celsius.
Erdkabel im Vergleich
Ein wichtiger Gegenstand der Studie war der Vergleich der Übertragungskapazität von Erdkabelsystemen, die mit Wechsel- bzw. Gleichstrom betrieben werden. Untersucht wurden zwei 12/20-kV-Wechselstrom-Kabelsysteme, ein monopolares Gleichstromsystem, ein bipolares Gleichstromsystem, ein auf Gleichstrom (DC) umgerüstetes Dreh- bzw. Wechselstrom-Kabelsystem und ein bipolares DC-System mit sechs Leitern. Wesentlich beeinflusst wird die Stromtragfähigkeit von Kabelstrecken unter anderem von der Anzahl der Leiter und von deren Querschnitt. Je größer der Querschnitt eines Kabels, desto größer ist dessen Oberfläche. Somit kann mehr Wärme an das umgebende Erdreich abgegeben werden. In den Versuchen im Rahmen der Studie zeigte sich, dass ein bipolares MGÜ-Kabelsystem um bis zu 17 Prozent mehr Strom übertragen kann als eine zweisystemige Wechselstromleitung. Wird ein Wechselstromsystem mit 12/20 kV bzw. 64/110 kV durch ein 55-kV-Gleichstromsystem ersetzt, steigt die übertragbare Leistung der Studie zufolge je nach Leistungsfaktor und Leiterquerschnitt um das 2,4- bis 6,5-Fache.
„Kein großes Problem“ ist den Autoren zufolge die mögliche Kabellänge, „da die Spannung lediglich durch den ohmschen Widerstand der Leitung abfällt“. Bei zukünftigen Erdkabel-Projekten könnte es daher sinnvoll sein, ein Mittelspannungs-Wechselstromkabel durch ein Gleichstromkabel zu ersetzen oder statt eines Hochspannungs-Wechselstromkabels ein Mittelspannungs-Gleichstromkabel zu verlegen. Im Zuge des Projekts AmpaCity in Essen (Deutschland) etwa wird eine Leistung von 40 Megawatt (MW) über eine Strecke von rund einem Kilometer mit einem 10-kV-Hochtemperatur-Supraleiter-Kabel (HTS) übertragen. Möglich wäre, dieselbe Leistung mit einem bipolaren MGÜ-System aus direkt erdverlegten Kabeln zu transportieren. Ein international bekanntes Projekt zum Einsatz von Gleichstromkabeln ist die geplante Suedlink-Leitung. Sie soll Windparks in Schleswig-Holstein mit den Stromverbrauchszentren in Baden-Württemberg durch Hochspannungskabel mit je 2.000 MW Kapazität verbinden. An deren Statt könnte der Studie zufolge auch ein System aus neun parallel geschalteten bipolaren MGÜ-Systemen mit einem Leiterquerschnitt von je 1.000 Millimetern eingesetzt werden. Der Vorteil: „Die Anzahl der parallel verlegten MGÜ-Kabelsysteme würde in diesem Fall auch zu einer Erhöhung der Verfügbarkeit der Gesamtanlage führen.“
Höhere Überschlagsspannung
Ferner untersucht wurden in der Studie Freileitungen bei Mittelspannungs-Gleichstrombeanspruchung. Sind die Leiterseile trocken, halten Gleichstromsysteme wesentlich höhere Spannungen aus als Wechselstromleitungen, bevor es zu einem Durchschlagen der Isolierungen kommt. Ihre Überschlagsspannung liegt zwischen 150 und 238 Prozent derer von Wechselstromleitungen. Werden die Leiterseile nass, sinkt die Überschlagsspannung von Gleichstromsystemen allerdings um bis zu 72 Prozent ab, sind die Seile überdies verschmutzt, noch weiter: „Daher ist die Kenntnis über die Verschmutzungsakkumulation an dem jeweiligen Standort erforderlich. Weiterhin ist bei der Festlegung der Bemessungsgleichspannung ein Sicherheitszuschlag gemäß Isolationskoordination zu berücksichtigen.“
Hinsichtlich der Geräuschemissionen von Freileitungen, insbesondere des immer wieder thematisierten niederfrequenten „Brummens“, sehen die Autoren kein Problem: Wechselstromtrassen könnten auf Gleichstrom umgestellt werden, „ohne dass die Geräuschemissionen ansteigen“.