Versorgungssicherheit: Wie bleibt Energie sicher und leistbar?
Die Debatte um Versorgungssicherheit hat zwei Facetten. Zum einen natürlich: Wie lassen sich die fehlenden Gaslieferungen aus Russland ersetzen? Zum anderen meint Versorgungssicherheit aber auch: Wie kann man gewährleisten, dass bei den immer höheren Preisen niemand auf ausreichende Versorgung mit Energie verzichten muss?
Die Prognosen sind uneinheitlich. Denn einerseits: Läuft die Einspeicherung von Erdgas weiter nach Plan, wird Österreich bis Winterbeginn Gas in einem Ausmaß eingelagert haben, das erlauben sollte, notfalls auch ohne zusätzliche Bezugsquellen über die kalte Jahreszeit zu kommen. Derart hohe Speicherkapazitäten hat sonst im Vergleich zum Verbrauch nur noch ein einziges anderes europäisches Land, nämlich Lettland.
Andererseits: Schlimmstenfalls sind die Speicher im April 2023 dann völlig leer. Wie und zu welchem Preis die Gasspeicher dann im Laufe des kommenden Jahres wieder aufgefüllt werden können, vermag niemand genau zu sagen. Und: So manche Zahl deutet darauf hin, dass Österreich heuer einen höheren Verbrauch an Erdgas für Stromproduktion haben wird als im Vorjahr.
Darauf weist jedenfalls Gerhard Christiner hin, technischer Vorstand der Austrian Power Grid, APG, die das österreichische Übertragungsnetz betreibt: „Österreich hat in diesem Jahr bereits mehr als sechs Terawattstunden an Strom aus Gas verbraucht. Der Gasverbrauch für Stromproduktion in diesem Jahr wird mit ziemlicher Sicherheit höher liegen als 2021.“
Christiner bestätigt auch, was inzwischen allgemein geteiltes Wissen ist: „Ohne Strom aus Gas kann das österreichische Stromnetz nicht funktionieren. Trotz der Pumpspeicherwerke, die es in Österreich gibt, brauchen wir diesen Strom, um das Netz im Gleichgewicht zu halten und den Bedarf zu befriedigen. Den von Gaskraftwerken erzeugten Strom können wir aktuell auch nicht vollständig durch Importe ersetzen. Allein schon deshalb, weil uns dafür die Netzkapazität fehlt.“
Europäische FragezeichenHinzu kommt: Gerade jene Länder, die für Österreich bislang traditionell wichtige Stromlieferanten waren, Frankreich und Deutschland, kämpfen derzeit selbst mit massiven Erzeugungsengpässen. In Frankreich brachten die AKWs den ganzen Sommer über nur rund fünfzig Prozent ihrer Leistung, weil es immer wieder Probleme mit Haarrissen in den Leitungen der Nachkühlsysteme gab. Zudem erschwerte auch die Hitzewelle die Kühlung der französischen AKWs.
Auch in Deutschland ist nach wie vor vieles in der Schwebe. Gespannt verfolgen österreichische Energieakteure daher die Diskussion darum, wie viele Kohlekraftwerke in Deutschland letztlich reaktiviert werden und wie das Ringen um die Laufzeitverlängerung der drei noch laufenden deutschen AKWs ausgeht. Als drittes europäisches Hindernis entpuppt sich die Trockenheit des vergangenen Sommers. Sie verhinderte etwa, dass Norwegen, das mit seinem hohen Wasserkraftanteil einer der größten Stromexporteure in die EU ist, dieses Jahr so viel produzieren konnte wie unter normalen Bedingungen.
Verlässliche Aussagen darüber, wie knapp oder eben nicht sich Österreichs Versorgung mit Strom in den kommenden Monaten gestalten wird, sind angesichts der unzähligen Variablen daher kaum möglich. „Wir müssen die aktuelle Situation sehr genau im Auge behalten, auch hinsichtlich einer Strommangellage. Wir bereiten uns darauf vor, kurzfristig verfügbare Energie verfügbar zu machen. Mittelfristig sind wir dabei, unser Stromnetz massiv auszubauen und uns noch besser mit dem Ausland zu vernetzen“, kommentiert die Situation APG-Vorstand Christiner.
Herausforderung NetzausbauDie Vernetzung mit dem Ausland und damit auch der Ausbau des österreichischen Übertragungsnetzes sei, meint Christiner, ohnehin ein zu wenig berücksichtigter Aspekt, wenn darüber diskutiert werde, wie Österreich seine Versorgung auch in Zukunft sicherstellen könne. Denn, so führt der APG-Chef aus, die Integration der erneuerbaren Energien erfordere massive Investitionen in das überregionale Netz. „Mit regionalen Lösungen wird da nicht viel gehen. Wenn zukünftig im Weinviertel an guten Tagen rund 3.000 Megawatt Strom aus Wind und Photovoltaik erzeugt werden, der Verbrauch vor Ort aber nur bei 150 Megawatt liegt, dann zeigen diese Zahlen sehr klar, wie groß die Aufgabe ist, die die Netze bewältigen müssen.“
Fachleute, ergänzt Christiner, wüssten natürlich, wie wichtig der Netzausbau für das Gelingen der Energiewende sei. Im erweiterten Umfeld der Energiewirtschaft sei das Verständnis für diese Tatsache allerdings oft erstaunlich gering: „Wenn aber für die Umsetzung der Energiewende ein Investitionsbedarf in den Netzausbau von 18 Milliarden Euro besteht, dann wird das jemand bezahlen müssen.“
Positive Nachrichten gibt es allerdings auch: Zumindest, was den kommenden Winter betrifft, geben in inoffiziellen Gesprächen viele Akteure aus der Energiewirtschaft die Einschätzung ab, dass ein Lenkungsfall bei Strom, bei dem der Regulator den einzelnen Verbrauchern Kontingente zuweisen müsste, trotz des sich weiter verschärfenden Energiekonflikts zwischen Russland und dem Westen eher unwahrscheinlich sei. Nicht zuletzt deshalb, weil gerade bei den industriellen Großverbrauchern die schon länger anhaltenden hohen Preise auch einen Spareffekt erzeugt haben. Viele Unternehmen haben auch vorgesorgt und Vorbereitungen getroffen, wie sie ihren Energiebedarf selbst bei einer weiteren Verknappung sicherstellen können.
Furcht vor EnergiearmutFür einen Teil der privaten Endkunden könnten die hohen Preise allerdings zu einem Versorgungsrisiko werden. „Unsere große Befürchtung ist auch, dass Energiearmut zu einem Massenphänomen wird“, sagt etwa der Geschäftsführer der österreichischen Energieagentur, Franz Angerer. Einige Energieversorger hätten zwar angekündigt, keine privaten Haushalte abzuschalten. „Wenn aber sehr viele Haushalte nicht mehr in der Lage sind, ihre Rechnungen zu bezahlen, wird dieses Versprechen ökonomisch nicht zu halten sein“, warnt er.
Zugleich gilt aber auch: Die Aufwendungen, um die volkswirtschaftlichen Folgen der Teuerung und steigenden Energiepreise insgesamt abzufedern, sind nicht gerade bescheiden. Mehr als 32 Milliarden Euro seien bislang dafür veranschlagt worden, rechnet IHS-Direktor Klaus Neusser vor und findet das zwar nötig, aber keineswegs gänzlich unproblematisch: „Denn einerseits gibt es ohne Zweifel eine gesellschaftliche Solidaritätsverpflichtung. Andererseits sind wir im Moment an einer Grenze angelangt, wo der Umfang der Kompensationen außer Kontrolle geraten könnte.“
Eine Sichtweise, die auch Zahlen des Fiskalrats nahelegen. Die Ökonomen kommen zu der Einschätzung, dass für die einkommensschwächsten 35 Prozent der Haushalte die Mehrbelastungen durch die hohen Energiepreise mit den bislang von der Bundesregierung beschlossenen Entlastungspakten sogar vollständig kompensiert werden.
Ausgleichszahlung„Das bedeutet nicht, dass damit auch Teuerungen aufgefangen sind, die in der Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit noch kommen werden“, kommentiert Jan Kluge von Agenda Austria. Aber gerade deshalb, findet er, seien einmalige Ausgleichszahlungen wie bisher durchgeführt eine gute Lösung. Denn einmal aufgesetzt, könne das Instrument solcher Ausgleichszahlungen bei Bedarf immer wieder zum Einsatz kommen: „Das ist sinnvoller, weil flexibler und leichter an die aktuelle Preissituation anpassbar als ein allgemeiner Preisdeckel. Das Problem bei einer wie auch immer gearteten Preisbremse besteht darin, dass sie das Sparsignal zunichtemacht, das hohe Preise aussenden, und dass sie, einmal eingeführt, politisch nur schwer wieder außer Kraft zu setzen ist.“
Anders als Jan Kluge von Agenda Austria beurteilt die bisherigen Entlastungsmaßnahmen Joel Tölgyes. Auch Tölgyes ist Ökonom, arbeitet aber beim eher linksgerichteten und in erster Linie von der Arbeiterkammer unterstützten Think Tank Momentum Institut. Tölgyes gesteht zwar ein, dass es rechnerisch eine Überkompensierung gebe, erklärt dann aber: „Im untersten Zwanzigstel, also bei den untersten fünf Prozent der Einkommen, wird die Teuerung im Schnitt zwar überkompensiert, bei einem genaueren Blick sieht man aber, dass dennoch ein Viertel der Haushalte in dieser Gruppe nicht genug Kompensation bekommt, um ihre Mehrausgaben zu decken. Das sind beispielsweise jene Haushalte, die, ohne es sich aussuchen zu können, besonders hohe Energiekosten haben, weil sie mit Gas in einer schlecht gedämmten Wohnung heizen müssen. Im zweiten Zwanzigstel der Einkommen sind es schon vierzig Prozent der Haushalte, die nicht genug Teuerungsausgleich bekommen.“
Oder doch Preisdeckel?Anders als Kluge hält Tölgyes auch das Instrument der Einmalzahlungen für wenig geeignet, um die Belastungen durch die hohen Strompreise auszugleichen, und gibt sich als ein Befürworter von Deckelungen aus. Den Einwand, dass gerade solche Lösungen sozial wenig zielführend seien, lässt der Momentum-Ökonom nicht gelten, denn am Ende gehe es auch um die Verhältnismäßigkeit des Aufwands. „Wenn der bürokratische Aufwand ausufert, dann ist es besser und auch günstiger, Haushalte mitzufördern, die das vielleicht nicht unbedingt brauchen, bevor vor lauter Umsetzungsschwierigkeiten und technischen Hürden die ärmeren Haushalte gar keine Entlastung bekommen.“
Wer bekommt was?Eine aktuelle Studie des IWF legt allerdings etwas andere Schlüsse nahe. Sie zeigt nämlich, dass es kein großes Problem sei, die Inflation mit Anti-Teuerungspaketen auch zur Gänze auszugleichen, solange die Maßnahmen auf die unteren Einkommen beschränkt würden und nicht wahllos erfolgten. Konkret kommt der IWF für Europa auf folgende spannende Zahlen: Gleicht man die hohen Energiepreise für die einkommensschwächsten 20 Prozent der Haushalte aus, entstehen dadurch Kosten von 0,4 Prozent des BIP, dehnt man die Kompensation auf die unteren 40 Prozent aus, wären es 0,9 Prozent des BIP.
Für Jan Kluge von Agenda Austria seien Angaben wie diese ein weiterer Hinweis dafür, wie wichtig soziale Treffsicherheit sei, wenn es darum gehe, im bevorstehenden Krisenwinter eine funktionierende Energieversorgung für alle zu sichern. „Die Berechnungen des IWF zeigen, dass, wenn man die Grenzen, bis zu denen entlastet wird, nicht übertrieben hoch ansetzt und zum Beispiel das unterste Drittel voll entlastet, die Kosten vertretbar sind.“ Klar sei aber auch, dass bei einem solchen Modell der Mittelstand die Krise am stärksten spüren würde. Denn das untere Drittel wird in einem solchen Szenario eben voll kompensiert, das obere Drittel kann die Inflation relativ leicht wegstecken, der Mittelstand müsse aber sparen bzw. seinen Konsum einschränken.
Andererseits, sagt Kluge, wäre es aber naiv, vom Staat zu verlangen, dass er alles für alle kompensieren soll. „Der Staat ist nur eine Umverteilungsstation und sein Handeln kann letztlich nur rein technischer Natur sein, indem er politische Entscheidungen trifft und festlegt, wer wie viel der Lasten tragen muss.“
Falsche Debatte?Der Energiewende-Experte und Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, Volker Quaschning, sieht die Debatte um die finanzielle Absicherung der Endverbraucher inzwischen überhaupt mit einem ziemlichen Unbehagen, wie er bekennt. Sein Haupteinwand, den auch andere wie etwa der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister bereits in ähnlicher Form formuliert haben, lautet: Die Debatte darüber, ob einkommensschwache Haushalte sich in Zukunft Strom und Wärme leisten werden können, werde an der falschen Stelle geführt.
„Das bedeutet nicht, dass man jene, die von der Teuerung existenziell bedroht sind, die niedrigen Einkommen also und allenfalls die untere Mittelschicht, nicht entlasten soll“, sagt er. Das solle aber über Sozialpolitik und nicht über Energiepolitik erfolgen. Leider würden aber, kritisiert Quaschning, in der aktuellen Debatte diese Aspekte ziemlich scheinheilig und oft durchaus mit Absicht vermischt: „Da wird die vorgeschobene Sorge um die Armen zum Anlass genommen, um die Energiewende zu verschleppen und fossile Energieträger zu subventionieren.“
Stephan Schulmeister hat das Thema bereits vor einigen Monaten, als die Diskussionen um die Energiekrise erst begannen und an Fahrt aufnahmen, mit dem Hinweis kommentiert: Anlassbezogen an den Preisen zu drehen, sei nicht die ideale Zugangsweise. Wenn das Anliegen tatsächlich darin bestehe, die niedrigen Einkommen zu entlasten, dann wäre die Anhebung von Sozialleistungen der geeignetere Weg.
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