Was ist grün? Ein Blick auf die Taxonomie-Verordnung
Gilt Atomkraft nun als eine Zukunftstechnologie? Wird die Verstromung von Gas als nachhaltig definiert? Die Taxonomie-Verordnung sorgt in ihrer aktuellen Form für viele Fragen.
Das Schriftstück umfasst zwar nur 31 Seiten, eignet sich aber kaum als Bettlektüre. Was übrigens auch schon der Titel signalisiert. „Europäische Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen“ heißt das Papier, das gemeinhin als EU-Taxonomie-Verordnung bezeichnet wird und als ein Kernstück in der EU-Strategie für eine Klima- und Energiewende gilt. „Das grundlegende Ziel der Taxonomie-Verordnung ist es, Finanzströme in Richtung nachhaltiger Investitionen zu lenken“, erklärt Markus Urban-Hübler, Sustainability Manager bei VERBUND.
Die Verordnung definiert daher in erster Linie den Mechanismus, mit dessen Hilfe dieses Ziel erreicht werden soll: „Unternehmen werden zunehmend zur sogenannten nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet, aus der hervorgeht, wie nachhaltig sie handeln“, sagt Urban-Hübler. Denn nachhaltige Unternehmen sollen einen besseren Zugang zu Finanzierungen und Förderungen bekommen.
Was konkret als nachhaltig gilt, definiert die Taxonomie-Verordnung allerdings nicht direkt im Verordnungstext selbst, sondern über das Instrument der sogenannten delegierten Rechtsakte. Dadurch können politisch heikle Entscheidungen – wie etwa zu Gas und Atomkraft, aber auch beispielsweise zu Glyphosat – auf delegierte Rechtsakte ausgelagert werden, anstatt direkt in einer Richtlinie oder Verordnung geregelt zu werden. Unbedenklich ist dies nicht, denn der eigentliche Zweck von delegierten Rechtsakten gemäß EU-Verträgen besteht darin, technische Details, nicht aber politische Grundsatzentscheidungen zu regeln. Bei delegierten Rechtsakten sind in der Regel nur mehr wenige Experten aus der EU-Kommission und den zuständigen Ministerien der Mitgliedstaaten vertreten, somit werden langwierige Diskussionen im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vermieden – damit aber auch der demokratische Meinungsbildungsprozess stark strapaziert. Kurz gesagt: immer wenn etwas heikel wird, bedient sich die EU-Kommission gerne dem Instrument der delegierten Rechtsakte. Im konkreten Fall der Taxonomie-Verordnung sind dies die delegierten Rechtsakte zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel, immerhin stolze 349 Seiten dick, und der deutlich dünnere Entwurf des „ergänzenden delegierten Rechtsakts zu Klimaschutz und Klimawandelanpassung (Gas und Atomkraft)“. Unter vielen anderen Festlegungen klassifizieren diese Akte neben erneuerbaren Energien auch Erdgas und Atomkraft als, wie es im Fachjargon heißt: „taxonomiegeeignet“.
Kein Freibrief für AKWs
Das bedeutet aber nicht, dass damit jedes Gaskraftwerk und jedes AKW automatisch als nachhaltig gilt. Erst wenn der Einsatz dieser Technologien in einem konkreten Fall nachweislich zu einer Reduktion des CO2-Ausstoßes und somit zu einem Übergang in Richtung Klimaneutralität beiträgt, können Gaskraft bzw. Kernenergie als nachhaltig eingestuft werden. Bei der Kernenergie wird außerdem explizit die Notwendigkeit erwähnt, die Vorgaben der nuklearen Sicherheit einzuhalten. Doch auch ein Wind- oder Solarpark kann sich unter bestimmten Bedingungen als nicht nachhaltig im Sinne der Taxonomie-Verordnung erweisen.
„Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, zwischen zwei Begriffen zu unterscheiden: taxonomiegeeignet und taxonomiekonform“, betont daher der Sustainability Manager Urban-Hübler. „Damit eine konkrete wirtschaftliche Tätigkeit nicht nur als prinzipiell taxonomiegeeignet, sondern auch als tatsächlich taxonomiekonform eingestuft werden kann, muss sie eine Reihe von Überprüfungen bestehen.“
Klimaschutz als Leitprinzip
Konkret wäre das zunächst einmal die Anforderung, dass die Tätigkeit die Klimaschutzziele der Europäischen Union unterstützt. Sie kann das einerseits tun, indem sie einen direkten Beitrag zum Klimaschutz leistet, wie zum Beispiel ein Wasserkraftwerk. Eine Tätigkeit kann aber auch zum Klimaschutz beitragen, indem sie andere für die Energiewende nötige Verfahren ermöglicht. Unter diese Kategorie würde der Betrieb von Stromspeichern oder Stromübertragungsnetzen fallen.
Eine Tätigkeit kann schließlich aber auch als taxonomiekonform betrachtet werden, wenn sie im Sinne einer Übergangslösung zur Reduktion der CO2-Emissionen beiträgt. „Was heute noch als taxonomiegeeignete Aktivität akzeptiert ist, könnte aber schon in den nächsten Jahren nicht mehr darunter fallen“, ergänzt der auf Nachhaltigkeitsprojekte spezialisierte Unternehmensberater Martin Schönberg von der VUM Verfahren Umwelt Management GmbH. „Ich denke, dass wir in Zukunft noch einige Rechtsakte sehen werden, die hier nachschärfen werden.“
Der Beitrag zum Klimaschutz alleine reicht allerdings noch nicht, damit eine Tätigkeit als nachhaltig im Sinne der Taxonomie-Verordnung klassifiziert wird. Sie muss auch einer Reihe von technischen Vorgaben zum Stand der Technik entsprechen, ein Mindestmaß an sozialen Standards erfüllen und auch dem Do-not-significant-harm-Prinzip entsprechen. Sie darf also keine wesentliche Beeinträchtigung auf andere Umweltziele im Sinne der Taxonomie-Verordnung haben.
Geprüft werden konkrete Fälle
„Aus diesem Grund müssen entsprechende Nachweise erstellt und die Erfüllung der Taxonomie-Kriterien zumeist anlagenscharf dokumentiert werden. Das umfasst unter anderem auch Angaben zu Klimarisiko, Biodiversität, Umwelt- und Naturschutz“, erklärt Schönberg. In Österreich wird bei vielen Vorhaben ein wesentlicher Teil dieser Anforderungen allerdings ohnehin durch eine Natur- bzw. auch durch eine Umweltverträglichkeitsprüfung abgedeckt.
Schwieriger sei die Bewertung von technischen Standards, sagt Markus Urban-Hübler von VERBUND. Da die Taxonomie-Verordnung auf dem Selbsteinschätzungsprinzip basiert und es unmöglich wäre, für jede einzelne Technologie und Anwendung Vorgaben auf europäischer Ebene zu machen, bleibt diese Aufgabe bei den Unternehmen bzw. den Branchenvertretungen. „Wir arbeiten derzeit daher an einer ganzen Reihe solcher Festlegungen. Das ist sehr zeitaufwendig, denn natürlich müssen die Werte und Standards, die wir ansetzen, einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten und auch dementsprechend dokumentiert sein.“
Auch Finanzzahlen wichtig
Urban-Hübler macht aber noch auf einen anderen Punkt aufmerksam, den die Taxonomie-Verordnung mit sich bringt: Ganz ohne Kennzahlen kommt man auch hier nicht aus, selbst wenn der Begriff nichtfinanzielle Berichterstattung das vielleicht vermuten lässt. Um beurteilen zu können, ob ein Unternehmen sich in Richtung Nachhaltigkeit bewegt, sind zumindest einige Werte nötig. Einige, die den Ist-Stand abbilden, und solche, die in die Zukunft weisen. Umsatz und die operativen Ausgaben, die sogenannte OpEx, eines Unternehmens geben dabei eher Auskunft über seinen aktuellen Zustand, die Investitionsausgaben, auch CapEx genannt, über die Richtung, in die sich ein Unternehmen entwickelt.
„Oft liegen diese Zahlen im Finanzbericht eines Unternehmens allerdings in einer ganz anderen Form vor, als man sie für die Nachhaltigkeitsbewertung brauchen würde. De facto ergibt sich daher auch hier ein Mehraufwand. Viele Werte müssen erst extra erhoben bzw. herausgerechnet werden“, sagt Urban-Hübler. Dann sei es aber möglich, interessante Schlüsse zu ziehen. Hängt ein Unternehmen zum Beispiel bei Umsatz und den laufenden Ausgaben noch sehr an einem fossil getriebenen Geschäftsmodell, gehen die CapEx aber in nachhaltige Technologien, so ist das ein recht zuverlässiges Zeichen für Transformation in Richtung Klimaschutz.
Weitere spannende Berichte zum Thema Energie finden Sie in der „StromLinie“. Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins zur Energiewende finden Sie hier.
Kostenloses Abo – jetzt bestellen!
Wenn sie die „StromLinie“ künftig per Post erhalten möchten, können Sie unser Magazin auch kostenlos abonnieren.