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Mehr KI im Stromnetz? So will ein Startup Netze optimieren

Stromnetze mit künstlicher Intelligenz stabilisieren – das ist eine der vielen Ideen, die Clemens Wasner, Marcel Wasserer, Johannes Stumtner und Matthias Dorfer in ihrem Wiener Start-up enliteAI entwickelt haben. Schon bald könnte das System in Echtbetrieb gehen.

Gemeinsame Schuljahre verbinden. Das können jedenfalls Clemens Wasner und Marcel Wasserer bestätigen. Jahrelang sitzen sie nebeneinander in der HTL Mössingerstraße, später sollten sich ihre Wege allerdings für eine Weile trennen. Clemens Wasner, schon in jungen Jahren von Japan und Robotern begeistert, studiert nach der Schule folgerichtig Informatik und Japanologie, um sich anschließend im Auftrag einer großen Unternehmensberatung gleich für mehrere Jahre in das Land der aufgehenden Sonne zu verabschieden. „Land der aufgehenden Sonne triffts eh gut“, sagt er. „Die habe ich oft von meinem Arbeitsplatz aus gesehen. Durcharbeiten bis spät in die Nacht war damals in Japan fast Standard.“

© AdobeStock

Zur gleichen Zeit widmet sich sein Schulfreund Marcel Wasserer in Wien ausgiebig dem Computerspiel, allerdings nicht als Gamer, sondern als Entwickler. „Ich habe das rund fünfzehn Jahre gemacht, vor allem weil es technisch herausfordernd ist. Künstliche Intelligenz hat mich aber auch damals schon viel mehr interessiert“, sagt er. „Damals“ – in den frühen 2000er-Jahren – war KI allerdings noch kein Feld, mit dem sich in Österreich Geld verdienen oder gar ein Start-up gründen ließ.

„Ich habe das rund fünfzehn Jahre gemacht, vor allem weil es technisch herausfordernd ist. Künstliche Intelligenz hat mich aber auch damals schon viel mehr interessiert.“ Marcel Wasserer CTO, enliteAI

2016, als Clemens Wasner von Japan nach Wien zurückkehrt, sieht es schon anders aus. Künstliche Intelligenz ist nicht mehr bloß ein cooles Buzzword, allmählich hält sie auch Einzug in die Unternehmensrealität weltweit. Für Wasner, der das gern nutzen würde, ist daher der Moment gekommen, um mit seinem alten Schulfreund Wasserer auch in Österreich den Schritt zur wirtschaftlichen Anwendung von künstlicher Intelligenz zu setzen. Die einstigen Banknachbarn werden Geschäftspartner.
 

Mit KI das Stromnetz absichern

Schon bald heben sie, gemeinsam mit Johannes Stumtner, der als dritter Gründer mit an Bord ist, enliteAI aus der Taufe: ein Unternehmen, das mit KI punkten will. Und das heute für Aufsehen sorgt, weil es unter anderem in der L2RPN-Challenge des französischen Stromnetzbetreibers RTE mit Platz drei als bester europäischer Teilnehmer abschneidet. Das kleine Wiener Start-up mit fünfzehn Mitarbeitern lässt Giganten wie etwa das Expertenteam von Chinese National Powergrid hinter sich.
L2RPN, in Langform: „Learning to Run a Powergrid“, ist ein Bewerb, bei dem Ideen gesucht werden, wie die immer komplexeren Anforderungen an Stromnetze gelöst werden können. Denn die Bandbreite der Bedrohungen, die die Netzstabilität gefährden, hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen: von starken Frequenzschwankungen, die bereits zu einigen Beinahe-Blackouts geführt haben, über Bedrohung durch kriegerische Konflikte und Cyberterrorismus bis hin zu der Notwendigkeit, volatile Wind- und Sonnenenergie massiv in den Netzbetrieb zu integrieren.

Clemens Wasner
„In Italien waren während meiner Kindheit Elektronik-Gadgets und japanische Populärkultur wie Anime und Computerspiele viel verbreiteter als bei uns. So bin ich ziemlich früh damit in Kontakt gekommen.“ Clemens Wasner CEO, enliteAI

Vorbild Alpha Go

Die Lösung für mehr Netzstabilität, die enliteAi entwickelt hat und an der inzwischen neben RTE auch deutsche und österreichische Netzbetreiber Interesse zeigen, basiert auf Reinforcement Learning, einer Form der künstlichen Intelligenz, die Clemens Wasner zunächst einmal mit einem kryptischen Lächeln und einer einzigen Zahl beschreibt: 37. Was in diesem Kontext zwangsläufig an ein berühmtes Zitat aus dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ erinnert. Da antwortet ein Supercomputer auf die Frage nach dem Sinn des Lebens ähnlich lakonisch, nämlich mit: 42.

Wasner ist allerdings im Gegensatz zum fiktiven Supercomputer freundlich genug, seine Antwort zu erklären. Im 37. Zug des berühmten zweiten Spiels zwischen dem Alpha-Go-Computer und dem südkoreanischen Großmeister Lee Sedol, erzählt er, verblüffte der Computer sämtliche Experten, indem er einen Zug machte, der in einer vergleichbaren Spielsituation noch nie zuvor gespielt wurde und den er daher auch nicht anhand von Trainingsdaten erlernt haben konnte. Damit war auch für ein größeres Publikum ein sehr eindrückliches Beispiel geliefert, dass KI nicht nur Gelerntes wieder anwenden, sondern auch eigene Lösungen entwickeln kann.
 

Reinforcement Learning als Lösung

„99 Prozent der Anwendungen im KI-Bereich basieren heute darauf, dass ein Rechner anhand von unzähligen Daten Muster erkennen lernt und irgendwann aufgrund seiner Rechenkapazität das besser als der Mensch kann“, erklärt Matthias Dorfer, der als Spezialist für Machine Learning als vierter Gründer zu enliteAI gestoßen ist. „Unsere Anwendung basiert hingegen auf dem heute noch seltener angewandten Prinzip des Reinforcement Learning, bei dem ein System lernt, indem es Strategien ausprobiert und für gute Lösungen ein positives, für schlechte ein negatives Feedback bekommt.“ Ob eine Lösung gut oder schlecht ist, entscheiden vordefinierte KPIs, die es zu erreichen gilt. Bei Netzen kann einer der KPIs zum Beispiel die Zeit sein, die ein Netz stabil bleibt, ohne dass ein neuerlicher Eingriff nötig ist.

„Das Optimieren eines Netzes kann man auch als ein Optimierungsspiel sehen. Ich bin daher überzeugt, dass – wie bei Alpha Go – eine Software, die auf Reinforcement Learning basiert, darin auf Dauer besser sein wird als der Mensch.“ Matthias Dorfer Head of AI, enliteAI

„Das Optimieren eines Netzes“, sagt Dorfers Kollege, der frühere Spiele-Entwickler Marcel Wasserer, „kann man auch als ein Optimierungsspiel sehen. Ich bin daher überzeugt, dass – wie bei Alpha Go – eine Software, die auf Reinforcement Learning basiert, darin auf Dauer besser sein wird als der Mensch.“ Der erste Implementierungsschritt, ergänzt er, werde aber wahrscheinlich dennoch darin bestehen, dass die KI zunächst als ein Helfer bzw. Assistent eines menschlichen Netz-Operators eingesetzt werde. In der Folge seien dann aber Netze denkbar, die sich zu hundert Prozent autonom selbst steuern würden.

Die Zuversicht nimmt Wasserer übrigens aus der Praxis. In einigen Bereichen sind sehr ähnliche Lösungen von enliteAI bereits im praktischen Einsatz, etwa in der Logistik.

Name: enliteAI

Sitz: Wien

Gründung: 2017

Aktuelle Märkte: Österreich, Deutschland, Frankreich, Schweiz

Geschäftsmodell: Reinforcement-Learning-Plattform, die in unterschiedlichen Industriezweigen für mehr Effizienz und Stabilität der Prozesse eingesetzt werden kann. Das zweite Standbein des Unternehmens ist KI-gestützte visuelle Inspektion von Straßen und Bauwerken.

Homepage: enlite.ai

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