Netzausbau: Klimaneutral ohne Netz?
Je weiter der Erneuerbaren-Ausbau voranschreitet, desto größer wird die Herausforderung für die Netze. Netzbetreiber sprechen daher von einer Zeitenwende. Wie sieht sie aus?
Zu übersehen ist die Entwicklung nicht: Auf immer mehr Hausdächern in Österreich werden Photovoltaik-Anlagen errichtet. Allein in Oberösterreich wird sich heuer die Zahl der Neubewilligungen für Sonnenenergie im Vergleich zu 2019 mehr als verzehnfacht haben.
3.000 Netzzugangsanträge für PV-Anlagen gab es dort im Jahr 2019. Im ersten Coronajahr waren es mehr als doppelt so viele, 2021 blieb der Aufwärtstrend bestehen und dieses Jahr geht er gerade absolut durch die Decke. Bereits vor Jahresmitte wurden mehr als 16.000 Anträge gestellt.
Der Ukraine-Krieg und die Sorge um die zukünftige Energieversorgung haben den Trend zur Solarenergieproduktion noch einmal angefacht, die Angst vor der Inflation steuerte auch dazu bei. „Es gibt eine regelrechte Geldflucht in PV-Anlagen“, sagt Manfred Hofer, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Netz Oberösterreich.
Für die Netze ist das eine enorme Herausforderung. Denn egal ob Photovoltaik oder Windkraft, die erneuerbaren Energien mit ihren jahres- und tageszeitlich abhängigen Produktionsspitzen bedeuten auch für die Netze einen Umbruch: „Die letzten 130 Jahre, also seit dem Beginn der Elektrifizierung, waren Stromnetze darauf ausgelegt, dass es große, zentrale Energieproduzenten gibt. Von dort wurde Strom in eine Richtung zu den Abnehmern transportiert“, sagt Hofer. „Jetzt werden diese Abnehmer immer öfter zu Produzenten und Strom muss auch in die andere Richtung transportiert werden.
Das ist eine Situation, auf die die Netze in diesem Ausmaß nicht vorbereitet sind. Das ist ein absoluter Zeitenwechsel. Wir müssen die Einbahnstraße Stromnetz so ausbauen, dass dort in Zukunft auch der Gegenverkehr bewältigt werden kann.
40.000 Kilometer neue Leitungen.
ementsprechend hoch sind die dafür nötigen Investitionen. Netzbetreiber wollen bis 2030 rund 18 Milliarden Euro in den Ausbau investieren. Oder anders formuliert: Um die Energiewende zu schaffen, müssen in den kommenden acht Jahren 200 neue oder verstärkte Umspannwerke errichtet, 12.000 Trafo-Stationen neu aufgestellt und 40.000 Kilometer Leitung verlegt werden. In erster Linie ist davon das Nieder- und Mittelspannungsnetz betroffen, aber nicht nur.
Wie man die Mittel für den Ausbau zur Verfügung stellt, ist allerdings nicht einfach. Für die nächste Regulierungsperiode besteht bei den derzeit hohen Energiepreisen nämlich die Erwartung, dass die Netzentgelte dämpfend wirken, also nicht zu sehr steigen. Andererseits würden die Mittel für den Netzausbau aber von der Höhe der Netzentgelte abhängen, wie Martin Hojas, Geschäftsführer des Netzbetreibers Ebner Strom, ausführt.
„Die Politik kann die Grenzen der Physik nicht verschieben. Sie kann aber die Mittel für den notwendigen Netzausbau sicherstellen und die erforderlichen Bewilligungsverfahren beschleunigen. Beides ist nötig, wenn man die im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz definierten Ziele erreichen möchte“, meint Hojas. Der Punkt ist ohne Zweifel wichtig, denn gerade Netzausbauprojekte leiden sehr stark unter langwierigen Genehmigungsverfahren. Wobei die berühmtesten und längsten Fälle, etwa acht Jahre im oberösterreichischen Almtal, 15 Jahre bei der Salzburg-Leitung oder der inzwischen rund ein Vierteljahrhundert andauernde Streit um die Steiermark-Leitung, vor allem Hoch- und Höchstspannungsnetze betreffen.
Fachkräfte für den Ausbau.
Doch auch beim Ausbau der untergeordneten Netze gibt es Gegenwind, nicht nur weil die Finanzierung der Projekte schwierig ist, sondern weil die Fachkräfte fehlen, um die entsprechenden Vorhaben zügig genug voranzutreiben. Und natürlich sorgt die aktuelle Lieferkettenproblematik auch hier für Verzögerungen.
Dabei ist es für Manfred Hofer, den Vorsitzenden der Geschäftsführung bei Netz Oberösterreich, klar, dass akuter Handlungsbedarf besteht: „Die große Herausforderung, um die Energiewende bis 2030 zu schaffen, ist es, das Stromnetz so auszubauen, dass das Mittel- und Niederspannungsnetz die dezentral erzeugte erneuerbare Energie aufnehmen und sie dann weiterverteilen kann. Der rasant voranschreitende Photovoltaik-Ausbau macht sich schon jetzt auch in den Umspannwerken und im Hochspannungsnetz bemerkbar.“
Das bestätigt auch Martin Hojas, der für das mit 459 Quadratkilometern relativ kleine Netzgebiet von Ebner Strom festhält: „Wir haben bereits heute eine höhere PV-Einspeiseleistung als Bezugsleistung unserer Kunden. Die Spitzen beim Bezug sind im Dezember und Jänner, bei der PV-Einspeisung zwischen Juni und September. Das heißt, wir müssen vor allem in den Sommermonaten in der Lage sein, den überschüssigen Strom abzutransportieren.“
Wie dringlich der Ausbau der dafür zuständigen Infrastruktur ist, hängt freilich auch von den lokalen Konstellationen ab. Private Photovoltaikanlagen-Betreiber, die im Wesentlichen für den Eigenverbrauch produzieren, lassen sich relativ leicht in das Netz integrieren, da sie nur wenig Überschuss produzieren. Wenn aber im Versorgungsgebiet einer Trafostation große PV-Dachflächen oder vielleicht sogar Stand-Paneele im Garten installiert sind und die Energie zu der Zeit, in der sie entsteht, gar nicht verbraucht werden kann, landet sie zur Gänze im Stromnetz. „Dann kommt das Stromnetz an seine Grenzen und es kann notwendig sein, vorübergehend die Rück-einspeisung in das Stromnetz zu beschränken“, erklärt Manfred Hofer.
Um solche Fälle so selten wie möglich zu halten, ist daher ein schneller Ausbau unvermeidlich. Denn sonst entsteht die absurde Situation, dass zwar PV-Anlagen, Windräder und Wasserkraftwerke in der Lage wären, erneuerbare Energie zu produzieren, diese aber gar nicht genutzt werden kann.
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