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Leuchttürme der Energiewende: Wiener „Stadtheizung“

Mittels Tiefengeothermie und Großwärmepumpen soll die Fernwärmeversorgung der Bundeshauptstadt ab 2040 ohne CO2-Emissionen erfolgen. 

In den vergangenen Jahrzehnten hat es sich bestens bewährt: das „Wiener Modell“ der Fernwärmeversorgung, das aus einer Kombination von hocheffizienten, mit Erdgas befeuerten Kraft-Wärme-Kopplungen (KWK) und Abwärme aus den Müllverbrennungs­anlagen von Wien Energie besteht. Verglichen mit einem ausschließlich auf fossilen Energieträgern beruhenden Fernwärmesystem werden damit bereits derzeit alljährlich Emissionen von bis zu 1,5 Millionen Tonnen CO2 vermieden.

Großes Potenzial: Mit Heißwasser aus dem „Aderklaaer Konglomerat“ können ab 2030 rund 125.000 Haushalte mit Fernwärme versorgt werden. © Wiener Stadtwerke/Michele Pauty

Und die Entwicklung geht weiter: Bis 2040 solle die „Stadtheizung“ vollständig klimaneutral werden, berichtet Rusbeh Rezania, der Leiter der Abteilung „Asset Management Thermik“ der Wien Energie, die für die Entwicklung und Realisierung von Anlagen zur Erzeugung von Wärme mithilfe erneuerbarer Energien zuständig ist. Laut Rezania werde das künftige „Wiener Modell“ im Wesentlichen auf zwei Säulen beruhen: auf der Tiefengeothermie sowie auf Großwärmepumpen, die die Abwärme von Industrie- und Gewerbebetrieben nutzen. „Derzeit liegt der Anteil der erneuerbaren Energien an unserer Wärmebereitstellung bei knapp 24 Prozent. Strategisch planen wir, die Wärmeaufbringung stärker zu diversifizieren als derzeit und über die Diversifizierung zu einer vollständigen Dekarbonisierung zu kommen“, erläutert Rezania. Neben der Geothermie und den Großwärmepumpen werden auch die KWK in den kommenden Jahrzehnten erforderlich sein. Betrieben werden sie aber, soweit irgendwie möglich, nicht mehr mit Erdgas, sondern mit „grünen“ Gasen, etwa Biomethan sowie Wasserstoff, der durch die Zerlegung von Wasser mithilfe von Ökostrom gewonnen wird. So lässt sich ab etwa 2040 eine vollständig klimaneutrale Wärmeversorgung der Bundeshauptstadt darstellen. 
 

Jahrhundertprojekt

Die Tiefengeothermie wird seitens der Stadtpolitik bisweilen als „Jahrhundertprojekt“ bezeichnet. Und das kommt nicht von ungefähr: Im Jahr 2016 begann die Wien Energie mit mehreren Partnern, die vermuteten Heißwasserpotenziale in den Gesteinsformationen im Osten Wiens umfassend zu erkunden. Laut Rezania gehe es darum, „eine Vielzahl von Daten zu generieren, um den Untergrund besser zu verstehen und in der Folge gezielt Geothermieanlagen umsetzen zu können“. In mehreren Durchgängen fuhren Explorationsfahrzeuge im Rahmen des Forschungsprojekts „Geotief Wien“ durch die betreffenden Bezirke, sandten Schallwellen in die Gesteinsschichten und ermöglichten so, diese in einem detaillierten 3D-Modell abzubilden. Mit rund 16.000 kabellosen Sensoren wurden in einem Gebiet von 175 Quadratkilometern 50 Terabyte an Daten erhoben und ausgewertet.

Rusbeh Rezanina
„Wärme­aufbringung für die ,Stadtheizung‘ dekarbonisieren.“ Rusbeh Rezania Projektleiter

Mit Erfolg: Von Herbst 2021 bis Frühjahr 2022 wurden die Projektpartner im Stadtteil Essling mit einem Forschungstest an einer bestehenden Bohrung bei rund 3.000 Metern Tiefe fündig. Sie stießen auf das „Aderklaaer Konglomerat“, eine Formation etwa 2.700 Meter unter der Oberfläche, die ein umfassendes Heißwasserreservoir mit einer Temperatur von 95 Grad Celsius birgt. In Bälde werden die Forschungen abgeschlossen. Und schon jetzt seien die Vorarbeiten zur Erschließung des Reservoirs im Gang, schildert Rezania: „Bis 2030 möchten wir ein Potenzial von etwa 120 Megawatt (MW) realisieren und mit mehreren Geothermieanlagen 125.000 Haushalte versorgen. Das ist ambitioniert, aber realistisch.“ 

Für jede der Anlagen würden laut Rezania im Prinzip zwei Bohrungen benötigt. Die eine davon dient dazu, das Heißwasser an die Oberfläche zu bringen. Dort wird es zwecks Wärmegewinnung durch einen Wärmetauscher geführt und anschließend, abgekühlt, über die zweite Bohrung wieder in den Untergrund zurückgepumpt. Somit erfolge nur eine thermische Nutzung (keine mengenmäßige Nutzung) des Wassers, stellt Rezania klar. An der Oberfläche selbst ist nur der Wärmetauscher zu sehen. Doch technisch unterschätzt dürfe das Vorhaben nicht werden: „Das Prinzip ist einfach, die Umsetzung ist herausfordernd. Wir arbeiten in großen Tiefen in Gesteinsschichten, auf deren Zusammensetzung wir genau achten müssen. Das alles muss detailliert geplant werden.“ 
 

Regionale Wärmenutzung

Gut unterwegs ist Wien Energie auch mit der Realisierung ihrer nächsten Großwärmepumpe für die Fernwärmeversorgung. Errichtet wird diese auf dem Gelände der ebswien Kläranlage im 11. Gemeindebezirk. Der Bau begann im März des heurigen Jahres, in Betrieb gehen wird die Anlage mit 55 MW Leistung voraussichtlich bis Ende 2023. Mit ihrer Hilfe kann die Wien Energie etwa 56.000 Haushalte klimaneutral beheizen. In einer zweiten Stufe erfolgt bis etwa 2027 die Verdopplung der Leistung der Wärmepumpe auf 110 MW. Ab dann lassen sich rund 112.000 Haushalte beliefern. 

Das Projekt in Zahlen 
 

Projektbeginn (Planungen): Erschließung Tiefengeothermie 2016, Großwärmepumpe bei Hauptkläranlage Wien 2017

Inbetriebnahme Großwärmepumpe: Herbst 2023 (1. Ausbaustufe)

Investitionen: Geothermie ca. 400 Millionen Euro, Großwärmepumpe ca. 70 Millionen Euro

Effekt: klimaneutrale Fernwärme­versorgung Wiens ab etwa 2040 

Streng genommen handelt es sich bei der Anlage nicht um eine einzige Wärmepumpe, sondern um drei Stück. Sie entziehen mithilfe von Wärmetauschern dem gereinigten Abwasser etwa sechs Grad Celsius und steigern diese Temperatur auf über 90 Grad, die der Fernwärmeversorgung dienen. So lässt sich die bisher ungenutzte Abwärme der Abwässer sinnvoll verwenden. „Das ist ein gutes Beispiel für die Nutzung regionaler Ressourcen“, erläutert Rezania. Stichwort regionale Ressourcen: Zum Betrieb der Wärmepumpen dient auch Ökostrom aus dem nahegelegenen Laufwasserkraftwerk Freudenau. Dazu wird eine rund einen Kilometer lange Direktleitung vom Kraftwerk zu den Wärmepumpen errichtet. Dass die Stromerzeugung mittels Wasserkraft im Winter üblicherweise nicht ihr Maximum erreiche, sei kein Problem, stellt Rezania klar: „Die Leistung des Kraftwerks Freudenau ist viel größer als die, die wir benötigen. Außerdem haben wir natürlich Reserven zur Aufbringung der Wärme im System.“ 

Weitere Partner für die klimaneutrale Fernwärmeversorgung seien ihm zufolge jederzeit willkommen: „Wenn ein Industrieunternehmen oder ein Gewerbebetrieb interessiert ist, uns Abwärme zur Verfügung zu stellen, schauen wir uns das gerne an. Natürlich muss die Abwärme insbesondere in Winter- und Übergangszeiten verfügbar sein.“ Schon jetzt laufen die Planungen für weitere Großwärmepumpenanlagen sowie den Ausbau der Nutzung der Geothermie-Potenziale. Etwa ab dem Jahr 2040 sollen rund 56 Prozent des Wärmebedarfs in Wien mit klimaneutraler Fernwärme gedeckt werden. Ein weiterer Leuchtturm der österreichischen Energiewende wäre damit realisiert.

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