Flächenverfügbarkeit: Raum für die Wende
Das Potenzial ist unbegrenzt – die Räume dafür jedoch leider nicht. Flächenverfügbarkeit ist ein Schlüsselfaktor, der darüber entscheiden wird, ob die Energiewende bis 2030 gelingt oder nicht.
Die Frage begleitet fast jedes Erneuerbaren-Projekt: Wo sind die am besten dafür geeigneten Flächen? Und: Stehen sie für einen Ausbau auch zur Verfügung? Denn nicht jeder Bergkamm, der sich grundsätzlich dafür eignet, soll mit Windrädern bestückt werden, nicht in jedem Fluss können Wasserkraftwerke errichtet werden, ja selbst bei PV-Anlagen regt sich oft Widerstand, wenn sie nicht auf ohnehin schon existierenden Lagerhallen und Fabrikdächern, sondern im Freiland aufgestellt werden.
Jüngstes Beispiel: Burgenland, wo in Güssing auf 118 Hektar eine PV-Anlage entstehen soll. Projektgegner argumentieren unter anderem damit, dass das Projekt im Bereich eines Natura-2000-Schutzgebietes liegt. Befürworter, darunter die für Energie zuständige Landesrätin und Landeshauptmannstellvertreterin Astrid Eisenkopf rechnen damit, dass alle Naturschutzbedenken ausgeräumt wurden. „Ausschlaggebend ist, ob Schutzgüter eines Gebietes wie Pflanzen, Tiere oder Lebensräume durch das Vorhaben beeinträchtigt werden oder nicht. Im konkreten Fall werden Schutzgüter nicht beeinträchtigt, daher ist das Projekt mit den Zielen des Natura-2000-Gebiets vereinbar“, erklärt Eisenkopf auf Nachfrage.
„Klimaschutz und Landschaftsschutz sind zwei wichtige Güter. Wenn sie zueinander in Konflikt geraten, ist eine sorgfältige Güterabwägung nötig“, kommentiert solche Auseinandersetzungen der Landeshauptmannstellvertreter von Salzburg Heinrich Schellhorn. Beim Ausbau der Windkraft ist sein Bundesland neben Tirol und Vorarlberg lange auf der Bremse gestanden – mit keiner einzigen Windkraftanlage. Nun wurden in Salzburg die ersten Zonen ausgewiesen. Bis 2030 sollen zumindest 25 Windräder an drei bis vier Standorten aufgestellt werden. Unumstritten seien sie aber nicht, wie Schellhorn erzählt.
Schwierige Verzichtsdebatte
Das Argument, dass Windparks, Wasserkraftwerke und PV-Anlagen im Freiland Fläche verbrauchen würden, sei ja grundsätzlich nicht falsch, räumt Jakob Mayer ein. Der Volkswirt setzt sich am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz intensiv mit den Kosten des Klimawandels und der Energiewende auseinander. Auf der anderen Seite, sagt er, müsse man aber auch die Dimensionen sehen: Der gesamte für den geplanten Ausbau der Erneuerbaren notwendige Flächenverbrauch liege, bezogen auf die Größe von Österreich, in einem sehr niedrigen Bereich. Außerdem seien Photovoltaikanlagen und Windräder zumindest grundsätzlich relativ einfach rückbaubar – also keine unumkehrbaren Eingriffe.
Vor allem aber: „Die Verzichtsdebatte, auch die Debatte um Flächen- und Landschaftsressourcen, die für die erneuerbaren Energien verwendet werden, muss man immer vor dem Hintergrund der Frage führen, worauf wir verzichten werden müssen, wenn der Klimawandel ungebremst weitergeht. Die Folgekosten sind jedenfalls viel höher als die Kosten der Energiewende.“
Besonders vehement gestalten sich Diskussionen um Flächenverfügbarkeit bei der Windkraft. Denn anders als bei Wasserkraft, die in manchen Bundesländern fast zur Gänze ausgereizt ist und in manchen Bundesländern aufgrund der topographischen Gegebenheiten kaum eine Rolle spielt, sind Windparks grundsätzlich an sehr vielen Standorten in Österreich möglich.
Mit Zonierungen versuchen Bundesländer hier schon im Vorfeld jene Gebiete zu identifizieren, die auch unter Berücksichtigung von Naturschutz- und Biodiversitätskriterien für Windkraft vorrangig nutzbar sein sollen. Allerdings: In der konkreten Umsetzung dieser Idee geht jedes Bundesland einen eigenen Weg. Tirol, Vorarlberg und Kärnten haben bislang keine Zonen ausgewiesen. In Kärnten gibt es überdies die Einschränkung, dass Windräder von bewohntem Gebiet aus nicht sichtbar sein dürfen.
Zonierungen lösen nicht alle Probleme
Doch auch dort, wo Zonen ausgewiesen sind, gelten bei Weitem nicht überall die gleichen Spielregeln. Liegt in der Steiermark ein Projekt in einer der ausgewiesenen Vorrangzonen, ist die sonst von der Gemeinde durchzuführende Umwidmung von „Grünfläche“ in „Grünfläche mit Windrad“ nicht nötig. In Oberösterreich, dem Burgenland und Niederösterreich sehr wohl. Das führe dazu, erklärt Martin Jaksch-Fliegenschnee von der IG Windkraft, dass Windkraft-Projekte in Niederösterreich bis zu drei Mal geprüft würden. „Das erste Mal bei der Ausweisung der Zonen bei der strategischen Umweltprüfung, das zweite Mal, wenn die Gemeinde die Umwidmung von Grünfläche zu Grünfläche mit Windkraft beschließt und das dritte Mal bei der Umweltverträglichkeitsprüfung.“
Eine Gewähr, dass ein Projekt genehmigt wird, sind Zonierungen also nicht. Stefan Zach vom niederösterreichischen Energieversorger EVN findet aber, dass sie dennoch ein hilfreiches Instrument darstellen: „Sie sind sinnvoll, weil sie eine gewisse Sicherheit geben. Zwar wird auch innerhalb der ausgewiesenen Zonen jedes Projekt noch einmal streng geprüft, für Investoren ist aber zumindest klar, welche Standorte überhaupt in Frage kommen und welche gleich ausscheiden, weil sie außerhalb einer Zone liegen.“
Obwohl Niederösterreich das mit Abstand am stärksten mit Windrädern ausgestattete Bundesland sei – von den rund 1.300 Windrädern bundesweit stehen hier etwa 700 –, gebe es nach wie vor Potenzial, sagt Zach. „Von den gewidmeten Windzonen sind zwei Drittel bereits genutzt, ein Drittel noch nicht.“
Ertüchtigung bestehender Anlagen
Möglichkeiten bietet aber auch die Ertüchtigung bestehender Anlagen, um so die Leistung zu erhöhen. Oft lasse sich dabei sogar der Flächenbedarf reduzieren, wie Zach betont. Einwände gibt es allerdings auch gegen solche Projekte, etwa beim Windpark Japons, wo die Zahl der Windräder von sieben auf drei verringert werden soll.
Klar ist überdies: Gleichmäßig verteilt sind Windräder in Österreich nicht. Je weiter nach Westen, desto weniger gibt es davon. Das westlichste Windrad steht am Plöckenpass in Kärnten. In Salzburg, Tirol und Vorarlberg gibt es kein einziges. Woran das liegt, daran scheiden sich die Geister. Für Martin Jaksch-Fliegenschnee jedenfalls nicht daran, dass die Windverhältnisse im Westen keine Anlagen zulassen würden: „Auch in diesen Bundesländern gibt es genug geeignete Flächen.“
Wahr ist freilich auch: Viele davon kämen in sensiblen hochalpinen Gebieten in über 1.800 Metern Höhe zu stehen, wie die Tiroler Landesregierung betont. Sie würden möglicherweise nicht nur mit Interessen des Naturschutzes in Konflikt kommen, sondern auch das Landschaftsbild in einem Ausmaß verändern, das nicht nur bei Touristikern, sondern auch bei den Anrainern auf wenig Akzeptanz stoßen würde.
Aus diesem Grund sieht der Vorstandsdirektor des Tiroler Energieversorgers TIWAG Johann Herdina die Windkraft in seinem Bundesland differenziert. Ja, es gebe laut Studien Windstriche in den Bereichen Sattelberg nahe Brenner, Venet bei Landeck und in der Region Timmelsjoch sowie zu einem kleinen Anteil im Außerfern, wo eine Nutzung möglich wäre, doch, so die Einschränkung: „Ob dieses geringe Potenzial nennenswert nutzbar wäre, hängt in der Tat wesentlich von der Akzeptanz ab. Insgesamt lassen die natürlichen Gegebenheiten in Tirol einen wirtschaftlichen Betrieb in der Regel als unwahrscheinlich erscheinen.“ Das Inntal scheide für Windparks mit Großwindanlagen wegen der dichten Besiedelung und auch wegen des mangelnden Windangebotes ohnehin aus.
ehr Erfolgschancen sieht Herdina hingegen bei PV-Projekten, in erster Linie auf Dachflächen, für deren Realisierung die TIWAG neuerdings eine Tochtergesellschaft, die TINEXT, gegründet hat. Noch heuer werden die ersten PV-Großanlagen in Betrieb gehen, bis 2026 soll die Sonnenstromproduktion über TINEXT auf eine Leistung von 23.000 Kilowatt-Peak ausgebaut werden.
Tirol setzt auf Wasserkraft
Im Kern will Tirol aber auch in Zukunft ein Wasserkraft-Bundesland bleiben. „Tirol ist durch seine alpinen Landschaftsformen und seinen Wasserreichtum besonders gut dafür geeignet“, sagt Herdina. Der Wert von Wasserkraft werde von der Bevölkerung auch geschätzt. Und, das macht Tirol tatsächlich anders: Hier sind theoretisch noch viele Bauten möglich. „Basierend auf verschiedenen Studien und Untersuchungen kann festgehalten werden, dass in Tirol in etwa fünfzig Prozent des Ausbaupotenzials genutzt werden“, sagt Herdina.
Wobei auch diese Nutzung nicht ganz reibungslos ist, wie die langwierigen Verfahren um die Kraftwerke Kühtai und Kaunertal zeigen. Das Erweiterungsprojekt Kühtai, das das Speichervolumen der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz um fünfzig Prozent erhöhen soll, hat von der Projekteinreichung im Jahr 2009 bis zur Genehmigung zehn Jahre gebraucht. „Große Kraftwerks-projekte wie die Erweiterung der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz bedeuten Eingriffe in den Naturraum. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Entscheidungen sowie die Vorhaben selbst nicht die Zustimmung aller erhalten“, kommentiert Herdina den langen Weg, den das Projekt bis zu seiner Realisierung durchlaufen musste.
Durch die umfangreichen Pläne zur Dekarbonisierung bis 2040 wird der Bedarf an erneuerbarem Strom in Zukunft noch viel stärker steigen als dies bis 2030 der Fall sein wird. Das Thema wird somit immer drängender. Ein Fokus auf das Energiesparen mildert den zusätzlichen Bedarf leider nicht ab. Im Gegenteil: Energieeffizienz heißt Elektrifizierung beispielsweise im Verkehr oder in der Raumwärme und führt somit zu mehr Strombedarf und nicht weniger.
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