Energiekrise: Die Macht der Verbraucher
Die Lösung, die Europa auf Dauer aus der Gasabhängigkeit befreien kann, ist klar: Ausbau der erneuerbaren Energien. Doch welche kurz- und mittelfristigen Hebel gibt es, um handlungsfähig zu bleiben?
Volker Quaschning ist selten um einen prägnanten Sager verlegen. Die Frage nach Lösungen für die aktuelle Energiekrise beantwortet der Energiewende-Experte und Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin daher zunächst einmal mit einem Satz, der eher wie eine böse Kurzanalyse des bislang Geschehenen klingt: „Wir haben uns selbst ein Loch ins Knie geschossen und wundern uns jetzt, dass wir hinken“, sagt er. Jahrzehntelang habe sich Europa auf billige Gaslieferungen aus Russland verlassen und den dringend nötigen Umbau des Energiesystems viel zu langsam vorangetrieben, nun sitze man in der Bredouille.
Doch die aktuelle Krise, fügt er sofort an, sei auch eine Chance, denn für viele Menschen bringe sie den Anlass, sich stärker als bisher mit dem Ausstieg aus fossilen Energien zu beschäftigen: „Die Frage ist allerdings, wie nachhaltig dieses Interesse sein wird. Wir hatten schon einmal, nämlich 2008, einen ziemlichen Run auf die Solarenergie, der dann aber sehr schnell abgeflacht ist.“
Damals habe die Politik sowohl in Deutschland als auch in Österreich die Gunst der Stunde versäumt, um zukunftsweisende Regulatorien einzuführen. „Dänemark hat das getan. Dort hat man zum Beispiel bereits 2013 den Neueinbau von Gasheizungen verboten.“
Flucht aus GasNun wollen allerdings ohnehin alle, so schnell es geht, aus Gas flüchten. Bloß: Kurzfristig ist ein solcher Ausstieg nicht möglich, auch mittelfristig nicht. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energie als langfristige Leitstrategie sind daher auch dringend Lösungen gefragt, die Österreich und Europa gut über diesen und auch über den möglicherweise nicht minder heiklen Winter 2023/24 bringen.
Auf der Aufbringungsseite ist der Spielraum für den aktuellen Winter allerdings bereits so gut wie ausgeschöpft. Was getan werden konnte, wurde auch getan, sagen Experten. Das Auffüllen der Gasspeicher geht voran, der angestrebte Füllstand von achtzig bis neunzig Prozent dürfte bis zum Beginn der Heizsaison erreicht werden.
Mehr geht nicht. „Investitionen wie der Umstieg auf PV oder der Tausch von Heizungen werden sich vor dem Winter nicht mehr ausgehen, weil es derzeit am Markt weder freie Monteure noch Solarpaneele oder Wärmepumpen gibt“, sagt Franz Angerer, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur. Das werde daher erst im Frühjahr und Sommer 2023 in Angriff genommen werden können.
Der übernächste WinterMit dem Blick auf den übernächsten Winter geht auch der Ausbau der Flüssiggas-Infrastruktur mit hohem Tempo voran. Über den ganzen Kontinent verstreut werden neue Projekte realisiert: Von Gijon im Norden Spaniens bis Vasiliko auf Zypern, vom deutschen Brunsbüttel bis Porto Empedocle auf Sizilien. Neben Katar und den USA soll in Zukunft auch Norwegen zu einem ganz wichtigen LNG-Lieferanten für das restliche Europa werden.
Erst vor wenigen Wochen hat der größte Öl- und Erdgasproduzent des Landes, die mehrheitlich im Staatsbesitz befindliche Equinor, angekündigt, trotz des geplanten Umbaus der norwegischen Wirtschaft auf grüne Energie die Erschließung neuer Erdgasquellen weiter auszubauen. In diesem Jahr will das Land rund 122 Milliarden Kubikmeter Erdgas produzieren. Schon jetzt hat es mit einem Anteil von 26 Prozent Russland als wichtigsten Lieferanten der EU abgelöst.
Zweischneidiges SchwertSo erfreulich das kurzfristig auch ist, für Volker Quaschning bleibt diese Form der Substitution ein zweischneidiges Schwert: „Der Druck, sich für den kommenden Winter zu rüsten, hat leider auch die negative Folge, dass man nun wieder über fossile Energie-Konzepte aus der Vergangenheit spricht, die uns in der Energiewende durch falsche Weichenstellungen wieder ein großes Stück zurückwerfen.“
Schwimmende LNG-Terminals, um den aktuellen Gasengpass zu überbrücken, seien zwar in Ordnung, findet er, aber bei festen Terminals solle man sich keine Hoffnungen machen, dass man sie je für etwas anderes verwenden werde können als für fossile Energie: „Theoretisch gibt es zwar die Möglichkeit, diese Infrastruktur auch für grünes, nichtfossiles Gas zu verwenden, genauso wie es theoretisch möglich ist, Verbrennungsmotoren mit grünem synthetischen Kraftstoff zu betreiben. Doch in der Realität wird das nicht gehen, weil es schlicht und einfach wirtschaftlich nicht darstellbar ist.“
Einerseits weiter mit voller Kraft den Ausbau der Erneuerbaren zu fördern, andererseits die Verbraucher zum Energiesparen zu animieren, wäre daher der richtige Weg. Das Schwierige dabei ist allerdings: Vor allem im privaten Bereich fehlt vielen Nutzern das Gefühl dafür, wie viel Strom sie überhaupt verbrauchen und wie sich dieser Verbrauch auf ihre Stromrechnung umlegt.
Privathaushalte als HebelDas bestätigt unter anderem auch der Chef der Energieagentur, Franz Angerer, und liefert zugleich einen Hinweis, wie diese Hürde zu umgehen wäre: „Eine gute Möglichkeit ist, über mehrere Wochen jeden Tag den Zählerstand abzulesen und durch die Zahl der im Haushalt lebenden Personen zu dividieren. 3 Kilowattstunden pro Tag und Bewohner sind ein guter Richtwert für den privaten Stromverbrauch.“ Leider seien viele Verbraucher deutlich über diesem Wert: „Es gibt tatsächlich viele Haushalte, die einen enormen Verbrauch für Dinge haben, die nicht dringend notwendig sind: elektrisch beheizbare Jacuzzis, Saunas, Schwimmbäder.“
Vor allem sollte Strom aber als allererstes dort gespart werden, wo er ohnehin nicht gebraucht werde. Denn das geschehe noch in einem viel zu geringen Ausmaß. Und tatsächlich: Im Moment sind immer noch in unzähligen Städten und Einkaufszentren Geschäfte und öffentliche Plätze auch zu Zeiten voll beleuchtet, zu denen das überhaupt nicht nötig ist.
Smartmeter gefragtNicht immer mangelt es dabei allerdings bloß am guten Willen. Vielfach scheitert der Vorsatz, Strom zu sparen, auch an der Technik. „Viele Nutzer haben keine Erfahrung damit, ihre Heizung oder Beleuchtung zu reduzieren“, sagt Angerer und ergänzt: „Vor allem bei komplexeren Gebäuden ist das auch nicht einfach. Techniker, die helfen, findet man im Moment ebenfalls schwer.“ Es werde daher dringend Schulungen sowohl für Nutzer als auch für das Gebäudepersonal brauchen. „Bisher hat sich gerade in Bürogebäuden kaum jemand um solche Dinge gekümmert, da ist die Heizung im Herbst eingeschaltet worden und fertig.“
Um den Verbrauchern eine bessere Orientierung über ihren Verbrauch zu geben, wäre auch eine Beschleunigung des Smartmeter-Einbaus nötig. Darauf verweist unter anderem der Vorstand der E-Control, Wolfgang Urbantschitsch. Er findet überdies, dass Energielieferanten die Haushalte noch stärker als bisher motivieren sollten, sich mit ihrem Energieverbrauch auseinanderzusetzen. „Dabei sollte es nicht nur um den Preis gehen, den die Kunden am Ende einer Abrechnungsperiode zahlen müssen, sondern auch um den Gedanken, dass jede eingesparte Kilowattstunde jetzt dreifach wertvoll ist: Sie spart Kosten, unterstützt das Bestreben, unabhängiger vom russischen Gas zu werden, und ist gut für das Klima.“
Lösungsansatz SmartmeterSie waren immer schon dazu gedacht, mehr Überblick über den Stromverbrauch eines Haushalts zu liefern und so zum Sparen zu animieren. Doch in der aktuellen Krise kommt Smartmetern eine besonders wichtige Rolle zu, denn mit ihrer Hilfe kann der Nutzer sofort sehen, wie sich Verhaltensänderungen auf den Verbrauch auswirken und so viel effizientere Sparmaßnahmen setzen. Im Moment hat in Österreich allerdings nur rund die Hälfte aller Haushalte einen Smartmeter. Möglichst viele dieser Geräte noch vor dem Winter einzubauen, wird daher ein wichtiges Kurzfristziel sein.
Smartmeter stellen für die Bewusstseinsbildung tatsächlich ein ideales Werkzeug dar, weil man damit den Tagesverbrauch sieht und auch nachvollziehen kann, wie sich Verhaltensänderungen auf den Verbrauch auswirken. Das Problem dabei ist allerdings: Derzeit hat nur knapp die Hälfte aller Haushalte einen solchen.
Zahlt alles der Bürger?Freilich: Die Diskussion um Verbraucher, die sich im kommenden Winter einschränken müssen, bringt auch jene auf den Plan, die behaupten, der private Endkunde müsse Opfer bringen, während die Wirtschaft ungeschoren davonkomme. Sollte sich dieser Eindruck trotz Entlastungsmaßnahmen wie der Strompreisbremse in der öffentlichen Wahrnehmung verfestigen, wäre das ein verheerendes Symbol, findet der in Bochum lehrende Volkswirt und Experte für Ressourcenökonomie Andreas Löschel: „Natürlich darf nicht der Eindruck entstehen, die privaten Haushalte müssen auf Energie und Wärme verzichten, damit die Industrie produzieren kann.“ Real betrachtet werde es dazu aber auch nicht kommen, denn Haushalte würden als Kunden besonders geschützt.
Zugleich, sagt der Professor, sei es aber eine nicht zu leugnende Tatsache, dass in der aktuellen Situation jede Energieeinsparung, die von den Haushalten erbracht werde, besonders viel zähle. Denn die Industrie habe viele ihrer Prozesse bereits optimiert, weitere Senkungen etwa durch Brennstoffsubstitution seien nur noch schwierig umsetzbar. „Was dann noch bleibt, wäre die Produktion zurückzufahren, und das ist ökonomisch natürlich die schlechteste Lösung.“
Was geht noch vor dem Winter?Der größte Hebel, um gut über den kommenden Winter zu kommen, werden Sparmaßnahmen sein, sowohl bei der Industrie und Gewerbe als auch bei Privathaushalten. Denn für Investitionen in neue Heizungsmodelle, um von Gas wegzukommen, oder in Wärmedämmung ist die Zeit zu knapp. Es fehlt außerdem sowohl das nötige Material als auch Fachkräfte, die die entsprechenden Projekte durchführen können. Doch selbst vordergründig banale Energiesparmaßnahmen können einen großen Impact haben. Das Reduzieren der Raumtemperatur um ein Grad senkt zum Beispiel den Energieverbrauch um sechs Prozent.
Private könnten hingegen, ohne große Einbußen zu erleiden, einen gewichtigen Beitrag leisten: „Wir wissen ja: Schon die Senkung der Raumtemperatur um einen Grad bringt sechs Prozent Energieeinsparung. Auch andere Maßnahmen helfen, etwa die Optimierung der Heizungen oder die Nutzung von smarten Thermostaten.“
Jedes Kilowatt zähltDass in der aktuellen Situation tatsächlich jedes eingesparte Kilowatt zählt, bestätigt auch der Wiener Energieökonom und TU-Professor Reinhard Haas. Die vielen kleinen Einsparungen würden im kommenden Winter zwar nichts daran ändern, dass Österreich Gas für eine funktionierende Stromversorgung brauchen werde: „Doch mit Stromeinsparungen wäre es möglich, von den insgesamt 30 oder 40 Gaskraftwerken, die derzeit in Mitteleuropa für die Stromerzeugung eingesetzt werden, um die Versorgung sicherzustellen, zumindest die ineffizientesten nicht mehr zu nützen und so den Großhandelspreis etwas zu senken.“
Der Energiewende-Experte Volker Quaschning argumentiert ähnlich, möchte aber neben den Privaten auch das Gewerbe und den Dienstleistungssektor stärker in die Pflicht nehmen. Bislang sind Energiekosten in diesem Bereich kaum Anreiz für sparsames Verhalten gewesen – sie machten im Schnitt einen oder zwei Prozent des Umsatzes aus. Nun ändere sich das und es gelte, das vorhandene Potenzial zu heben.
Warum, fragt Quaschning daher, solle man nur in öffentlichen Gebäuden die Temperatur reduzieren oder auf überflüssige Beleuchtung verzichten? „Man kann ja auch, wie Spanien es vorhat, diese Maßnahme auf Gewerbe wie Einkaufscenter oder Restaurants ausdehnen, da könnten die entsprechenden Behörden zumindest stichprobenartig kontrollieren.“
Manche Energiepolitik-Experten halten Spanien auch noch aus einem anderen Grund für ein in der aktuellen Krise beobachtenswertes Land – jedenfalls seit die spanische Regierung eine Steuer auf Übergewinne von Energieunternehmen eingeführt hat. Das eingenommene Geld soll dazu genützt werden, die Privathaushalte zu entlasten, und ihnen vor allem auch das Gefühl geben, dass sie nicht die Einzigen sind, die in der aktuellen Krise Mehrkosten tragen müssen.
AbgabendiskussionIn Österreich hat sich unter anderem das linksgerichtete Think-Tank Momentum Institut für ein solches Modell ausgesprochen, mit dem Hinweis, entsprechende Maßnahmen seien historisch üblich. „Fallen Unternehmen durch unvorhersehbare Ereignisse ungewöhnlich hohe Gewinne zu, stört deren einmalige Besteuerung die wirtschaftliche Tätigkeit nicht“, stellt das Institut in einem Positionspapier fest. „Werden diese Profite besteuert, wird kein Unternehmen für gute Investitionen in der Vergangenheit bestraft.“
Der Ökonom Klaus Neusser und Direktor des IHS sieht hingegen in einer Abschöpfung der Übergewinne keine sinnvolle Lösung, um die Folgen der Krise zu mildern. Zum einen aus grundsätzlichen Überlegungen: „Man macht damit eine verhängnisvolle Diskussion auf. Denn wer bestimmt auf Grundlage welcher Daten, ab wann ein Gewinn ein Übergewinn ist? Das endet nie und führt zu reiner Willkür.“ Nach dieser Logik, fügt Neusser hinzu, hätte man am Höhepunkt der Pandemie die Impfstoffhersteller mit einer Extra-Steuer belegen müssen, weil sie Übergewinne gemacht hätten.
Der andere Grund, den der Professor anführt, bezieht sich auf die spezifische Situation der Energieversorger, denen in der aktuellen Situation eine Schlüsselrolle zukommt: „Würde sich die Idee, Übergewinne extra zu besteuern, durchsetzen, wäre das für die Investitionstätigkeit von Unternehmen dramatisch. Wir brauchen aber gerade im Energiesektor dringend Investitionen, um die Energiewende zu schaffen.“
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