Die unbequeme Wahrheit: Gewessler und Strugl im Interview
Energie- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Michael Strugl, Präsident von Oesterreichs Energie, über die Versorgungsszenarien für diesen Winter, Eingriffe in die Strompreisbildung, eine Übergewinnsteuer für Energieversorger – und ihre ganz persönlichen Energiesparvorhaben für diesen Herbst.
Frau Bundesministerin, was kommt diesen Winter am Strommarkt auf uns zu?
Leonore Gewessler: Wir sind ohne Zweifel in einer angespannten Situation und das Einzige, das ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass Russland kein verlässliches Gegenüber ist. Wir haben uns vorbereitet: Und zwar indem wir die Einspeicherung vorangetrieben haben, mit allem was geht. Wir haben den Speicher Haidach verfügbar gemacht, wir haben über Gesetzesänderungen der Industrie das Speichern erleichtert und wir haben vor allem die strategische Gasreserve von 20 Terawattstunden beschlossen, die angekauft wurde. Auch um von der russischen Abhängigkeit wegzukommen, sind uns wichtige Schritte gelungen – die OMV konnte Leitungskapazitäten durch alternative Routen ersteigern, im Ausmaß von 40 Terawattstunden – also fast 45 Prozent des österreichischen Gasverbrauchs. Wir haben es geschafft, in einem ersten Schritt unsere Abhängigkeit von Russland von 80 Prozent auf unter 50 Prozent zu drücken. Aber das heißt nach wie vor, da ist ein Weg zu gehen. Das ist ein nationaler Kraftakt, damit es uns gelingt, uns vollständig aus dieser Abhängigkeit herauszubewegen. Da wird es noch weitere Schritte brauchen. Das Zittern, die Erpressbarkeit und die Verwundbarkeit werden erst dann aufhören, wenn wir von Russland unabhängig sind.
Neben einer Gasmangellage gibt es auch eine Strommangellage in Europa. Wie sehen Sie da das Szenario in den nächsten Monaten, Stichwort Frankreich und Atomkraft?
Michael Strugl: Durch die extreme Trockenheit hat die Wasserkraft in diesem Sommer deutlich weniger Strom produziert – in Österreich und noch viel dramatischer in Italien, in Spanien und auch in Norwegen. Diese fehlenden Strommengen müssen zumeist durch Gaskraftwerke ersetzt werden. Zusätzlich haben wir Probleme beim bisher größten Stromexporteur Europas in Frankreich. Durch Revisionen und wegen fehlendem Kühlwasser, ebenfalls aufgrund von Trockenheit, musste die Leistung der AKW-Flotte in Frankreich dramatisch gesenkt werden. Jetzt ist es wichtig, dass man diese Kraftwerke wieder ans Netz bekommt. Bis dahin ist auch die Stromversorgung in Europa angespannt, ob man von einer Mangellage sprechen kann, wird sich aber erst herausstellen.
Gewessler: Wir haben ohne Zweifel auch eine angespannte Situation am Strommarkt. Deshalb müssen wir dem Thema Energiesparen – sowohl beim Strom als auch beim Gas – in den nächsten Wochen auch den entsprechenden Fokus geben.
Kommt die Energiesparkampagne nicht zu spät?
Gewessler: Wir haben mit Mitte September bereits bundesweit gestartet. Wir wollen mit der Kampagne eine Wirkung erzielen, und deswegen haben wir gesagt, wir starten dann, wenn die Verbrauchssaison in Österreich startet. Denn das größte Potenzial liegt beim Gasverbrauch in den Haushalten eben im Herbst – wenn wieder geheizt wird und der Gasverbrauch in der Stromproduktion steigt. Das unterscheidet uns von Deutschland, wo der Gasverbrauch auch im Sommer in der Stromproduktion höher ist als in Österreich.
Welche zusätzlichen Kapazitäten könnten diesen Winter schon in Betrieb genommen werden, um die Situation zu entschärfen? Zum Beispiel das zum Kohlekraftwerk umgerüstete Mellach?
Strugl: Erlauben Sie mir, hier als VERBUND-Chef und Eigentümer von Mellach zu antworten: Sobald die entsprechende Verordnung in Rechtskraft ist, lösen wir die vorbereiteten Prozesse aus. Leider hat das betreffende Gesetz bei der letzten vorgesehenen Beschlussfassung im Hauptausschuss des Nationalrats nicht die erforderliche Mehrheit bekommen, was den Prozess verzögert.
Gibt es in Österreich sonst noch Potenzial für Umrüstungen wegvon Gas?
Gewessler: In der von Michael Strugl angesprochenen Verordnung zur Energielenkung, die leider keine Zweidrittelmehrheit fand, ist eine Verpflichtung festgeschrieben, überall dort, wo es möglich ist, rasch eine Umstellung weg von Gas auf alternative Energieträger vorzunehmen. Aufgrund der kurzen Vorlaufzeit ist das Potenzial hier aber begrenzt. Aber wir müssen uns bemühen – davon bin ich überzeugt –, dort, wo es möglich ist, jede Kilowattstunde Strom und jeden Kubikmeter Gas einzusparen, denn das ist ein Sicherheitsnetz für den Ernstfall. Da spielt Mellach eine wichtige Rolle. An dieser Stelle auch ein Danke an Michael Strugl und VERBUND für die Kooperation und die Vorarbeiten für die Umrüstung. Es ist für das ganze Land bedauerlich, dass sich das jetzt nicht mehr wie ursprünglich geplant für Jänner ausgeht.
Bedeutet die derzeitige Situation auch eine Erhöhung der Blackout-Gefahr in den nächsten Monaten?
Strugl: Das wird davon abhängen, ob wir die Stabilisatoren in der Stromversorgung weiterhin im gewohnten Ausmaß gewährleisten können – sowohl auf der Verbrauchsseite als auch auf der Erzeugungsseite. Das ist eine große Herausforderung. Und es ist nicht leichter geworden, das System zu balancieren, das ist schon richtig. Die Übertragungsnetzbetreiber in den europäischen Ländern, gerade auch in Österreich, haben hier aber ein sehr engmaschiges Sicherheitsnetz, um zu gewährleisten, dass die Stromversorgung bzw. die Blackout-Gefahr hintangehalten wird. Insgesamt ist die aktuelle Situation in den nächsten Monaten aber eine enorme Herausforderung für die gesamte E-Wirtschaft. Es gibt bereits einzelne Länder in Europa, die ihre Bürger darauf vorbereiten, dass es auch bei Strom zu gewissen Maßnahmen kommen könnte – Finnland zum Beispiel. Wir hoffen sehr, dass wir das in dieser Form nicht brauchen.
Auf Erzeugerseite spielen Gaskraftwerke eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Stromsystems. Ist die Gasversorgung für die Verstromung gesichert?
Strugl: Die Sicherheit der Stromversorgung im kommenden Winter wird davon abhängen, ob wir die Gaskraftwerke verlässlich betreiben können. Daher ist die nationale Speicheranstrengung so wichtig, damit wir im Energielenkungsfall auch für die Gaskraftwerke Gas haben.
Gewessler: Im Fall einer Gasmangellage gibt es im Zuge der Energielenkung Notfallpläne. Damit können wir sicherstellen, dass aus einer Gaskrise keine Stromkrise und keine Versorgungskrise wird.
Etwa über die Möglichkeit, im Notfall bei Großverbrauchern aus der Industrie einzugreifen. Um sicherzustellen, dass wir für die Lebensmittelproduktion, die Stromversorgung, für Haushalte und soziale Dienste, wie Krankenhäuser, um nur einige Beispiele zu nennen, genügend Gas zur Verfügung haben. Klar ist auch: Wir sind in einem europäischen Energiemarkt. Wir sind mitten im Herzen des europäischen Strom- und Energiesystems. Um die Länder in Notfällen untereinander besser zu koordinieren, hat die Kommission auch einen Vorschlag für den Herbst angekündigt.
Können Sie in etwa beziffern, wie viel schon bisher eingespart wird?
Gewessler: Im Juli war der Gasverbrauch auf Bundesebene um 11 Prozent geringer als im Vorjahresmonat. Wir sehen also, dass schon gespart wird. Das liegt natürlich auch an den extrem hohen Preisen.
Ist das tatsächlich die Industrie oder sind das schon die Konsumenten, die sparen?
Gewessler: Diese Daten stammen aus den Sommermonaten, da wird in den Haushalten wenig Gas verbraucht – ein großer Teil dieser Einsparungen kommt also aus Industrie und Gewerbe.
Neben der Versorgungssicherheit ist vor allem die Leistbarkeit derzeit ein Thema. Was ist das Preisszenario für Strom, das Sie für die nächsten Monate haben?
Gewessler: Niemand von uns hat momentan eine Glaskugel. Aber was wir sehen, ist, dass Russland mit den Energielieferungen Krieg führt. Ich glaube, man muss das so klar sagen. Indem man Mengen reduziert, treibt man Preise. Es ist ein vorhersehbares Spiel: Jede neue Ankündigung führt zu weiter steigenden Preisen. Unser einziger Ausweg ist der rasche Weg aus der Abhängigkeit – der Ausbau der Erneuerbaren mit stabilen, niedrigen Preisen. Aus heutiger Sicht werden Energiekosten perspektivisch hoch bleiben – hoffentlich nicht in den Spitzen, die wir jetzt in den letzten Tagen gesehen haben. Deshalb haben wir gezielt in die Frage der Energiekosten Entlastungsmaßnahmen gesetzt.
Vor allem die Strompreisbremse für Endkonsumenten ist seit Anfang September am Tisch…
Gewessler: Nicht nur. Vom Aussetzen von Ökostrompauschale und Förderbeitrag zu der Elektrizitäts- und Erdgasabgabensenkung über die erhöhte Pendlerpauschale bis hin zur Abfederung der hohen Kostensteigerungen beim Endkunden, der Stromkostenbremse. Hier wollen wir einfach und schnell helfen. Mit der Stromkostenbremse fördern wir den Grundbedarf an Strom von maximal 2.900 kWh pro Zählpunkt und sorgen dafür, dass Menschen, die darüber hinaus Unterstützung brauchen, diese auch erhalten. Zusätzlich stellt diese Maßnahme sicher, dass wir weiterhin sorgsam mit Energie umgehen. Wir entlasten damit einen Haushalt um durchschnittlich rund 500 Euro pro Jahr.
Auf europäischer Ebene gibt es die Meinung, dass die Preisbildung am Strommarkt unter den derzeitigen Extrembedingungen nicht mehr funktioniert. Da gibt es auch EU-Ministertreffen zu dem Thema. Mit welcher Position fährt Österreich dahin?
Gewessler: Wir haben eine außergewöhnliche Situation am Energiemarkt. Viele der Grundmechanismen des Energiemarkts, die in den letzten Jahren funktioniert haben, stehen in der Kritik und zur Debatte.
Die Kommission hat ein kurzfristiges Paket für Interventionen angekündigt, um Preisspitzen zu dämpfen. Und ein weiteres, um den Strommarkt weiterzuentwickeln. Für mich und für Österreich sind drei Dinge zentral: Bei jeder Intervention müssen wir sicherstellen, dass nicht nur ein Preiseffekt eintritt, sondern weiter Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Wir müssen auch sicherstellen, dass die Lösung den Erneuerbaren-Ausbau nicht bremst. Und wir müssen vor allem sicherstellen, dass man nicht zusätzlichen Gasverbrauch anreizt.
Strugl: Wir sind, was Markteingriffe betrifft, extrem kritisch. Für uns stellt das eine Ultima Ratio dar, wenn alle anderen Möglichkeiten nicht greifen oder funktionieren. Dann muss man sich bei solchen Eingriffen sehr gut überlegen, wie man das macht. Bedenke das Ende. Wohin führt uns das? Und insofern ist die Lösung keine einfache, triviale, sondern es ist schon komplex, was hier stattfindet. Grundsätzlich ist die Merit-Order etwas Vernünftiges, denn sie lenkt die Investitionen in die Erneuerbaren. Ansonsten funktioniert der Strommarkt wie jeder Commodity Markt, die Preisbildung basiert auf Angebot und Nachfrage. Durch die Gasversorgungskrise kommt es jetzt aber zu Verwerfungen, und da will man eingreifen. Ziel ist die Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis.
Diskutiert wird derzeit das sogenannte „Iberische Modell“ der Strompreisbildung für ganz Europa. Es setzt darauf, Gaskraftwerksbetreibern subventioniertes Gas bereitzustellen, um darüber den Preis für das „letzte Kraftwerk“ zu senken. Wäre das eine Lösung?
Gewessler: Wir sehen – das kann man mittlerweile feststellen –, dass dadurch in Spanien zusätzlicher Gasverbrauch angereizt wurde. Wenn Gas unser Mangelprodukt ist, dann muss ich sicherstellen, dass man am Ende nicht mehr Gasverbrauch hat. Klar ist: Das Uniform Pricing im Zuge der Merit-Order – also, dass das letzte Kraftwerk den Preis für alle bestimmt, die man braucht, um die Nachfrage zu decken – steht zur Diskussion. Und hier wird es Interventionen geben müssen.
Strugl: Der iberische Strommarkt ist nur in sehr geringem Ausmaß mit dem europäischen verbunden. Deswegen hat die Europäische Kommission diesen Ländern vor dem Sommer die Ausnahmegenehmigung erteilt, einen Price-Cap für Gaskraftwerke einzuführen. Was wir dort beobachten können, ist, dass der Gasverbrauch bei Kraftwerken seither massiv, um 70 Prozent, gestiegen ist, während der Verbrauch von Konsumenten, die keinen Preisdeckel hatten, um rund 10 Prozent gefallen ist. Und Spanien ist jetzt Stromexporteur. Ohne auf die Menge zu schauen, wird ein Preisdeckel zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.
Ebenfalls diskutiert wird die Idee, den Strommarkt zu fraktionieren. Und Börsenpreise für Wasserkraft, Sonnenenergie, Windenergie und fossile Energieträger zu bilden. Wäre das eine Lösung?
Strugl: Wenn jetzt vorgeschlagen wird, einen eigenen Markt für Erneuerbare zu schaffen, der auf Grenzkosten basiert, dann werden die Preise so sinken, dass Investitionen in Erneuerbare unrentabel werden. Dann muss man sie wieder fördern, wenn man den Ausbau will. Das wäre ein Schuss ins Knie. Das kann in Europa niemand wollen.
Gewessler: Die Grundsatzfrage ist: Was ist kurzfristig möglich und wo brauchen wir wirklich eine Umgestaltung des Marktdesigns? Kurzfristig stehen etwa effiziente Sparmaßnahmen in Stromspitzenzeiten zur Debatte. Das würde den Gasverbrauch stark senken. Aber wir müssen auch darüber reden, welche Eingriffsmöglichkeiten wir im Design des Algorithmus, der die Strompreisbildung bestimmt, haben, die rasch preislich wirken – aber keine falschen Marktimpulse setzen.
Der Energieversorger Wien Energie ist Ende August in die Schlagzeilen geraten, weil das Unternehmen die zu hinterlegenden Garantien für Börsengeschäfte nicht mehr stemmen konnte. Können Sie ausschließen, dass andere Energieversorger mit ähnlichen Problemen zu rechnen haben?
Gewessler: Die E-Control hat angesichts der Ereignisse bei allen großen Marktteilnehmern nachgefragt, ob es in ihren Szenarien derzeit einen Liquiditäts-Engpass gibt. Da war die Rückmeldung, dass alle anderen Marktteilnehmer derzeit stabil sind und es keinen zusätzlichen Bedarf gibt.
Strugl: Aktuell ist uns kein anderer Stromversorger mit Liquiditätsproblemen bekannt.
Gibt es Pläne für einen Schutzschirm für Energieunternehmen mit einem hohen Gasanteil im Erzeugungsmix, wie ihn Deutschland eingeführt hat?
Gewessler: In Deutschland gab es für die Diskussion einen Anlassfall, das Unternehmen Uniper. Wir haben hier jetzt keinen Anlassfall – daraus entwickelt sich ja eine Diskussion. Wir verschließen uns der Diskussion weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene, aber der Status quo in Österreich ist, dass alle anderen Versorger rückgemeldet haben, sie seien auf der sicheren Seite.
Strugl: Die Unternehmen der Branche brauchen derzeit keinen Schutzschirm. Allerdings gibt es Überlegungen in ganz Europa – derzeit etwa in Skandinavien –, als Vorsorge für zukünftige Entwicklungen solche Instrumente einzuführen. Auch der Energieministerrat hat das in seiner Sitzung am 9. September angeregt. Ich sehe das als eine Art Versicherung: Man schließt ja eine Versicherung auch nicht ab, wenn das Haus bereits brennt. Ich glaube, darum muss es in dieser Diskussion gehen.
In Europa gibt es eine Debatte über eine Übergewinnsteuer. Unternehmen, die viele Jahre in Erneuerbare investiert haben, und deshalb derzeit zu niedrigen Grenzkosten operieren, aber von den hohen Preisen profitieren. Wie ist da die Haltung der Bundesregierung?
Gewessler: Von den hohen Energiepreisen profitieren aber nicht nur Unternehmen, die in Erneuerbare investiert haben. Die Debatte ist da. Es gibt auch einige europäische Länder, die eine solche Besteuerung bereits angestoßen haben. Wir, Vizekanzler Kogler und das Energieministerium, arbeiten an einem Modell, das sicherstellen soll, dass die Investitionen in Erneuerbare – da bin ich bei Michael Strugl, jedes einzelne Windrad macht uns von Russland unabhängiger – möglich sind. Auch die Kommission wird einen entsprechenden Vorschlag vorlegen.
Was sagt die Energiewirtschaft zu dem Thema?
Strugl: Wir sehen das kritisch. Denn Unternehmen brauchen diese Gewinne, um den jetzt noch viel stärker erforderlichen Ausbau der Energiewende stemmen zu können. Hier besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Investitionsfähigkeit genau jener Unternehmen, die den Erneuerbaren-Ausbau vorantreiben, beeinträchtigt wird.
Weil Herr Strugl gerade den Ausbauturbo bei Erneuerbaren angesprochen hat: Mit einer Reihe von Gesetzen – vom EAG bis hin zum UVP-Gesetz – wurden der E-Wirtschaft zuletzt einige Fesseln abgenommen, die bisher die Investitionen in Erneuerbare verlangsamt und gehemmt haben. Sind alle Hürden damit ausgeräumt?
Gewessler: Ich bin wirklich sehr froh, dass wir genau jetzt, wo wir die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten so stark zu spüren bekommen, wissen, dass wir die Rahmenbedingungen für die Lösung der Probleme bereits geschaffen haben: Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ist bereits in Kraft. Das Gesetz für die Energiewende im Strombereich ist bereits beschlossen. Wir haben ein UVP-Gesetz in Begutachtung, mit einem Fast-Track für Energiewendeprojekte, das die Umsetzung der Projekte erleichtert. Mein Zeitplan ist, dass es noch heuer beschlossen wird. Jetzt geht es wirklich darum, Schritt für Schritt alle Hürden aus dem Weg zu räumen, die wir bei der Umsetzung noch haben. Wir brauchen Flächen. Viele der Verfahren passieren auf Länderebene – und sind daher im UVP-Gesetz gar nicht regelbar. Von der Bauordnung angefangen bis hin zu Sichtbarkeitsregeln bei der Windenergie. Da gibt es noch einiges zu tun. Auch gemeinsam mit den Ländern, um hier Hindernisse abzubauen. Die Menschen sind dabei. Die wollen Teil der Energiewende sein. Jetzt müssen wir schauen, dass wir diese Dynamik vervielfachen.
Wie viel Erleichterung bringt denn das UVP-Gesetz für die Branche?
Strugl: Die UVP-Gesetznovelle erleichtert die Umsetzung. Ein paar kritische Anmerkungen haben wir noch in die Begutachtung eingebracht. Aber nur zur Verdeutlichung der Relevanz: Wir haben bei Oesterreichs Energie über den Sommer erhoben, wie viele Energiewendeprojekte derzeit bei den Mitgliedsunternehmen in der Pipeline sind. Insgesamt gibt es Projekte mit Investitionssummen von rund 28 Milliarden Euro. In Kapazität gesprochen sind das fast 12 Gigawatt an zusätzlicher Erzeugung, die machbar wären. Die Wasserkraft hat einen sehr großen Anteil daran, aber wir sehen, dass auch Wind und Photovoltaik stark wachsen. Alles, was hilft, das auf den Boden zu bringen, ist begrüßenswert.
Können Sie uns eine Vorstellung davon geben, was die Novelle des UVP-Gesetzes etwa im Bereich eines Windparks für Beschleunigung geben würde?
Strugl: Derzeit braucht man bei einem Windpark vom ersten Planungsschritt bis zum Netzanschluss ungefähr acht Jahre. Die EU-Kommission empfiehlt den Mitgliedsstaaten, so etwas binnen zwei Jahren umzusetzen. In sogenannten Go-To-Areas, die schon vorsorglich dem Erneuerbaren-Ausbau gewidmet wurden, sollte das, so die EU-Kommission, nur ein Jahr dauern. Hier ist ein gewaltiger Gap, den wir schließen müssen. Wenn die Vorgaben der Kommission erreicht werden könnten, wären wir sehr glücklich damit.
Gewessler: Ich glaube, wir müssen in der Diskussion differenzieren: Das UVP-Verfahren ist in vielen Fällen eigentlich nicht mehr das große Problem. Um beim Beispiel eines Windparks zu bleiben: Der Zeitrahmen vom Status „Die Unterlagen sind vollständig“ bis zum Status „Verfahren ist abgeschlossen“ ist schon jetzt unter einem Jahr. Wir müssen dort hinschauen, wo wir Zeit liegen lassen. Deshalb ist der Vorschlag: Wenn es keine Energieraumplanung gibt, dann gehen wir ins UVP-Verfahren ohne Energieraumplanung und wir prüfen den Standort im UVP-Verfahren. Wir können nicht jahrelang auf Widmungsverfahren oder Energieraumplanung warten. Wenn ein Landschaftsbild in der Zonierung geprüft wurde, müssen wir das nicht nochmals in der UVP prüfen. Ich glaube, es gibt viele banale Themen, die man im Verfahren besser machen kann – von Fristen über Abläufe –, aber wir sagen auch bewusst: Energiewende ist besonderes öffentliches Interesse. Und daran knüpfen sich Verfahrenserleichterungen, die nur die Energiewende bekommt. Der Satz: „Windrad ja, aber nicht bei mir“, der geht sich im Jahr 2022 nicht mehr aus.
Strugl: Uns geht es natürlich auch nicht nur um die UVP. Es sind eine Reihe von Rechtsmaterien und -bescheiden ausschlaggebend für die Genehmigungsfähigkeit von Projekten. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Verfahren möglichst konzentriert und schnell durchführbar sind. Es ist klar, dass wir berechtigte Interessen von Betroffenen und der Bevölkerung berücksichtigen müssen. Das heißt, die Unternehmen bemühen sich, transparent ihre Planungen vorzulegen, die Verfahren partizipativ auszugestalten, etwa durch Regionskonferenzen und andere Beteiligungsverfahren. Aber das Wesentliche ist, dass das Verfahren selbst mit Fristen und Rechtszügen so ausgestaltet ist, dass es in einer vernünftigen Zeit abgewickelt werden kann. Die, die dieses Geld in die Hand nehmen, müssen Planbarkeit haben.
Ein wichtiger Stellhebel ist die Energieeffizienz. Noch fehlt das Energieeffizienzgesetz, das den Energieversorgern einen Rahmen für Investitionen in die Zukunft ermöglicht. Ist das Thema jetzt weniger relevant geworden, weil wir ohnehin den übergeordneten Spardruck haben?
Gewessler: Nein. Krisen ersetzen weder Energiepolitik noch Klimapolitik. Es braucht ein Energieeffizienzgesetz, um die großen Fragen im Geschäftsmodell von Energieunternehmen zu beantworten: Wo muss investiert werden? Wie kann man mit Dienstleistungen zusätzliche Bereiche entwickeln? Es braucht Rechtssicherheit und einen klaren Rahmen für all jene, die sich etwas Neues überlegen, entwickeln und investieren.
Als Laie könnte man meinen, es liege nicht in der DNA von gewinnorientierten Energieunternehmen, ihre Kunden zum Sparen aufzufordern. Stimmt das?
Strugl: Ganz im Gegenteil. Es ist in unserem Interesse, dass die Verbraucher mit diesem wertvollen Gut effizient umgehen. Das ist auch der Grund, warum es bei fast allen Unternehmen Maßnahmen gibt, den Kunden dabei zu unterstützen. Wir werden in Zukunft große Strommengen brauchen, weil Strom ein wichtiger Schlüssel zur Dekarbonisierung wesentlicher Sektoren wird – Stichwort: Wasserstoff, Elektromobilität, Raumwärme. Wir werden nicht in die Verlegenheit kommen, dass wir zu viel erneuerbaren Strom haben werden. Das Thema Energieeffizienz ist tatsächlich eines, das alle Stakeholder zusammenführt. Zu glauben, es sei im Interesse von Produzenten, dass mit Strom verschwenderisch umgegangen wird, weil man damit mehr verdient, ist zu kurz gedacht.
Mitte September kommt, Sie haben das angekündigt, Frau Bundesministerin, die große Energiesparkampagne. Es ist bekannt, dass Sie mit dem Fahrrad ins Ministerium und mit dem Nachtzug nach Brüssel zu EU-Sitzungen fahren. Wo sehen Sie eigentlich noch persönliches Einsparpotenzial in diesem Herbst?
Gewessler: Ich versuche, sehr sorgsam mit Energie umzugehen. Aber ich gebe zu, dass ich vielleicht das Thema Raumtemperatur in den letzten Jahren ein wenig aus dem Blick verloren habe. Wir haben hier im Ministerium die Standardeinstellung bei der Klimaanlage mit 28 Grad festgelegt. Und wir werden beim Heizen 19 Grad als Standardeinstellung festlegen, nur zum Beispiel. Die Frage ist: Woran haben wir uns da gewöhnt? Diese Frage nehme ich mir persönlich heuer auch für daheim vor.
Herr Strugl, mit welchen persönlichen Energiesparvorsätzen gehen Sie in diesen Herbst?
Strugl: Ich hatte beim Umzug nach Wien das Glück, ein Haus zu finden, das zur Gänze auf Strom basiert – und ein Niedrigenergiehaus ist. Ich habe mir bereits angesehen, wie ich das optimieren kann, beim Heizen, beim Stromverbrauch. Aber was ich mir persönlich für den Herbst vornehme, ist, mehr Wege öffentlich zurückzulegen. Einfach weil es vernünftig ist.
Weitere spannende Berichte zum Thema Energie finden Sie in der „StromLinie“. Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins zur Energiewende finden Sie hier.
Kostenloses Abo – jetzt bestellen!
Wenn sie die „StromLinie“ künftig per Post erhalten möchten, können Sie unser Magazin auch kostenlos abonnieren.