Das europäische Stromsystem: Österreich als Brückenbilder
Für eine sichere Stromversorgung arbeitet heute fast ganz Europa zusammen: Mehr als 30 Länder sind Teil des Europäischen Verbundsystems, dem auch Österreich angehört. Hochspannungsleitungen transportieren Strom mitunter über weite Strecken und nationale Übertragungsnetzbetreiber halten das System rund um die Uhr im Gleichgewicht.
Das gemeinsame Stromnetz in Europa wird mit einer Frequenz von 50 Hertz betrieben und ist trotz seiner Größe ein relativ fragiles System. Da Strom nicht im Stromnetz gespeichert werden kann, muss immer genauso viel Strom erzeugt werden, wie auch gerade verbraucht wird. Schon kleine Unregelmäßigkeiten können die Stromversorgung beeinträchtigen – wenn etwa im System zu viel oder zu wenig Strom fließt. Bei Abweichungen kümmern sich die Übertragungsnetzbetreiber darum, dass zusätzliche Energie bereitgestellt oder mehr Strom verbraucht oder gespeichert wird.
Herausforderung erneuerbare Energie
Diese Aufgabe, das gesamteuropäische System im Gleichgewicht zu halten, wird heute immer schwieriger und aufwändiger. Während früher der Strom mit vergleichsweise wenigen großen Kraftwerken gut planbar über die verschiedenen Netzebenen zu den Verbrauchern floss, gibt es heute im Netz mittlerweile zahlreiche kleinere und größere Stromproduzenten. Die Stromproduktion aus diesen Kraftwerken lässt sich schlecht prognostizieren, da sie stark von der Witterung – also von Wind und Sonne – abhängt. Zudem lassen sich diese Anlagen nur sehr begrenzt steuern.
Bis nach dem Zweiten Weltkrieg war grenzübergreifender Stromaustausch in Europa die Ausnahme – die nationalen Systeme funktionierten unterschiedlich und setzten auch auf verschiedene Frequenzen. Heute betreiben nur noch die skandinavischen Länder, die baltischen Länder, Großbritannien und Irland eigene Verbundsysteme.
Immer mehr Strom fließt über Ländergrenzen
Zu Beginn diente das europäische Verbundnetz vor allem dem Netzausgleich und der raschen Störungshilfe. Mit der Liberalisierung der europäischen Elektrizitätsmärkte gewann der Stromhandel aber stark an Bedeutung. Im liberalisierten Strommarkt herrscht freier Wettbewerb und jede Kundin/jeder Kunde kann ihren/seinen Lieferanten frei wählen. Davor wurde der Strom bei einigen wenigen Lieferanten, meist aus eigener Erzeugung, bezogen und an einen definierten Kundenkreis weiterverkauft. Die Kundinnen und Kunden haben von der Liberalisierung durch stark sinkende Strompreise profitiert.
Für die Netze ist diese Entwicklung aber eine Herausforderung. Sie müssen nun jene Energiemengen transportieren, die auf den internationalen Strommärkten gehandelt werden. Zusammen mit dem Trend hin zu erneuerbaren Energiequellen schafft das neue Möglichkeiten und neue Herausforderungen bei grenzüberschreitenden Übertragungen. Im sogenannten Solargürtel Baden-Württembergs und Bayerns wird beispielsweise in den Sommermonaten deutlich mehr Strom aus Solarpaneelen gewonnen als vor Ort verbraucht werden kann. Tagsüber fließt der Überschuss zu Pumpspeicherkraftwerken in Österreich und in die Schweiz. Während der Nacht kehrt sich der Stromfluss um – dann fließt Strom aus Wasserkraft in die Solarregion.
Im gesamteuropäischen System kommt dem österreichischen Netz zunehmend eine wichtige Brückenfunktion zu – etwa, wenn Strom aus den großen Windparks im Norden des Kontinents oder Solarstrom aus dem Süden weitertransportiert werden soll. Österreich hat damit ganz wörtlich eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, ganz Europa auf erneuerbare Energie umzustellen. So kann die Energie dort produziert werden wo sie verfügbar ist und dort verbraucht werden wo sie benötigt wird.
Auch deshalb muss Österreich in den kommenden Jahren massiv in den Ausbau seiner Stromnetze investieren. Neben dem Ausbau der Verteilernetze geht es dabei vor allem um den Lückenschluss im 380-kV-Ring. Über diese Leitungen auf höchster Spannungsebene kann Strom in großen Mengen über weite Strecken transportiert werden und so eine leistungsfähige Verbindung zwischen den Windkraftwerken im Osten des Landes und den Pumpspeichern im Westen hergestellt werden.