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Versorgungssicherheit: Wasserstoff kann helfen

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„Grüner“ Wasserstoff kann dazu beitragen, die Sicherheit der Versorgung mit elektrischer Energie unter den Bedingungen der Klimaneutralität zu gewährleisten. Allerdings gibt es dafür einige wesentliche Voraussetzungen, wie eine Kurzstudie im Auftrag von Oesterreichs Energie zeigt.

Die Nutzung von „grünem“, also elektrolytisch mithilfe von Ökostrom aus Wasser gewonnenem Wasserstoff gilt als wesentlich für das Gelingen der Energiewende. Wie „grüner“ Wasserstoff zur Versorgungssicherheit im Stromsektor beitragen könnte und welche Rahmenbedingungen dafür notwendig sind, untersuchte das deutsche Beratungsunternehmen Consentec in einem Kurzgutachten für Oesterreichs Energie. Wie es darin heißt, sind mit Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke als steuerbare Stromerzeugungsanlagen grundsätzlich „geeignet, die wesentlichen Funktionen der heute mit Erdgas betriebenen Kraftwerke zu übernehmen“. Freilich muss dafür die Brennstoffversorgung ebenso zuverlässig gewährleistet sein wie in den vergangenen Jahrzehnten die Versorgung mit Erdgas. Als besonders empfehlenswert erachtet Consentec den Einsatz mit „grünem“ Wasserstoff betriebener Kraft-Wärme-Kopplungen (KWK). Diese können „sowohl mit Blick auf die Deckung der saisonalen Lücke zwischen erneuerbarem Stromangebot und -nachfrage im Winter wie auch durch die Bereitstellung von flexibler Backup-Kapazität z. B. für Extremwettersituationen unterstützen.

Der sichere Systembetrieb kann von wasserstoff­basierten Erzeugungs­anlagen an geeigneten Standorten profitieren.

Auch der sichere Systembetrieb kann von wasserstoffbasierten Erzeugungsanlagen an geeigneten Standorten profitieren, insbesondere wenn diese auch zur Bereitstellung von Systemdienstleistungen beitragen.“ Wesentlich ist gerade die Flexibilität derartiger Anlagen. Flexibel, also nach den jeweiligen Erfordernissen des sicheren Netzbetriebs einsetzbar, müssen freilich auch die Elektrolyseure sein, mit denen der „grüne“ Wasserstoff hergestellt wird. Dabei ist laut Consentec eine „systemdienliche Standortwahl entscheidend, um in optimaler Weise zur Versorgungssicherheit beizutragen“.

Klar ist dem Beratungsunternehmen allerdings, dass der benötigte Wasserstoff nur zum Teil in Österreich erzeugt werden kann. Beträchtliche Mengen müssen importiert werden, wofür eine „hinreichende“ Anzahl unterschiedlicher Lieferanten zu finden wäre. Nach Ansicht von Consentec ist daher „die Etablierung eines liquiden Wasserstoffmarktes entscheidend für die Versorgungssicherheit auch im Strombereich“. Ebenso ist es notwendig, zügig die Infrastrukturen für den Import „grünen“ Wasserstoffs zu schaffen. Letzten Endes geht es dabei um ein „transeuropäisches Wasserstoffnetz“ sowie ausreichende Speichermöglichkeiten „zur zeitlichen Entkopplung von Angebot und Nachfrage“. Dies betrifft nicht zuletzt den saisonalen Ausgleich zwischen der Erzeugung und der Nutzung des „grünen“ Wasserstoffs.
 

Zweifacher Hintergrund

Im Detail argumentiert Consentec wie folgt. Der Hintergrund für den gewünschten vermehrten Einsatz von „grünem“ Wasserstoff liegt einerseits in den Debatten über die Sicherheit der Versorgung mit Erdgas, andererseits in der Klimapolitik. Was die letztere anlangt, „stuft der ergänzende delegierte Rechtsakt der EU-Kommission zur EU-Taxonomieverordnung Investitionen in Gaskraftwerke nur dann als nachhaltig ein, wenn diese spätestens 2035 vollständig mit erneuerbaren und/oder CO2-armen Gasen betrieben werden“, heißt es in der Kurzstudie. Auch wird die im Gang befindliche Reform des EU-internen Emissionshandelssystems (EU-ETS) im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets der EU-Kommission den Einsatz fossiler Energieträger zu Zwecken der Stromerzeugung verteuern. Daher steigt der Druck zur „Dekarbonisierung“. Und bekanntermaßen verfolgt Österreich noch ambitioniertere Ziele als die EU insgesamt, konstatiert Consentec.

Ab 2030 soll die Versorgung mit elektrischer Energie bilanziell vollständig mit Ökostrom erfolgen. Damit ist zwar der Einsatz mit Erdgas befeuerter Kraftwerke grundsätzlich weiterhin möglich. Bis 2040, dem Jahr, ab dem Österreich den Plänen der Bundesregierung zufolge „klimaneutral“ sein soll, „müsste aber ein Ausstieg aus der Erdgasverstromung stattfinden“. Überlegungen und Pläne nach Art derer Österreichs verfolgt auch Deutschland: „Es ist absehbar, dass ähnliche Diskussionen in weiteren Mitgliedsstaaten geführt und durch die unsichere Verfügbarkeit und möglicherweise längerfristig erhöhte Preise für Erdgas weiter beschleunigt werden.“ Dazu kommt die Taxonomie, die Anreize zur Verwendung klimaneutraler Gase bietet. „Aktuell wird erwartet, dass klimaneutral hergestellter Wasserstoff bzw. Wasserstoff-Derivate wie Ammoniak in diesem Bereich die größte Bedeutung haben und Produktion und Nutzung von Wasserstoff innerhalb der nächsten Jahre integraler Bestandteil des Stromsystems werden“, heißt es in der Kurzstudie.
 

Doppelter Beitrag

Zur Versorgungssicherheit im Stromsystem beitragen kann „grüner“ Wasserstoff laut Consentec auf zwei Arten, nämlich einerseits, indem er zur Stromerzeugung genutzt wird, andererseits, indem er selbst aus überschüssigem Strom gewonnen wird. Hinsichtlich der Stromerzeugung sehen die Consentec-Berater Möglichkeiten vor allem darin, den erhöhten Bedarf im Winterhalbjahr zu decken, wenn Ökostrom nur begrenzt zur Verfügung steht und Importe aus Gründen mangelnder Netzkapazität nur schwer in ausreichendem Maß zu bewerkstelligen sind. Dies gilt umso mehr, als trotz des im internationalen Vergleich außerordentlich hohen Bestands an Pumpspeicher­kraftwerken „auch in Österreich, z. B. bei Extremwetterlagen, Bedarfe für steuerbare Regel- und Spitzenleistung auftreten können, die alleine mit erneuerbaren Energien und hydraulischen Kraftwerken nicht zu decken sind. Wasserstoffbasierte Kraftwerke können in einer solchen Situation flexibel zur Deckung der residualen Nachfrage beitragen.“

Trotz des im internationalen Vergleich außerordentlich hohen Bestands an Pumpspeicherkraftwerken können bei Extremwetterlagen Bedarfe für steuerbare Regel- und Spitzenleistung auftreten.

Ausdrücklich hält Consentec fest, dass mit Wasserstoff betriebene Kraftwerke als Backup-Anlagen wirtschaftlich „vergleichsweise günstig“ sind. Allerdings gibt es auf dem Markt noch keine Turbinen, die sich für den Betrieb mit reinem Wasserstoff eignen. Daher müssen „normale“ Gasturbinen entsprechend umgerüstet werden, was je nach Spezifikation mit etwa 10 bis 20 Prozent ihrer Gesamtkosten zu Buche schlägt.

Bezüglich der Wasserstofferzeugung mithilfe von (Öko-)Strom heißt es in der Kurzstudie, ähnlich wie die Kraftwerke müssten auch die Elektrolyseure flexibel gestaltet werden. Das bedeutet, sie „technisch so auszulegen, dass ein flexibler Betrieb mit hohen Leistungsänderungsgeschwindigkeiten und damit eine schnelle Reaktion auf Residuallastveränderungen bis hin zum Angebot von Regelleistung und Regelenergie möglich ist. Andererseits müssen auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so ausgestaltet sein, dass ein flexibler Betrieb beanreizt und wirtschaftlich attraktiver wird als eine Maximierung der Vollbenutzungs­stundenzahlen.“

Mit dem „flexiblen Betrieb“ ist insbesondere eine Fahrweise der Elektrolyseure gemeint, die die Stromnetze entlastet oder wenigstens nicht belastet. Der Netzentlastung dienen kann neben der Fahrweise der Elektrolyseure auch deren Standort. Sie sollten nach Möglichkeit bei großen Stromerzeugungseinheiten wie etwa Wasserkraftwerken oder leistungsstarken Windparks positioniert werden. „Hingegen ist eine last- bzw. verbrauchsnahe Positionierung von Elektrolyseanlagen z. B. im Rahmen von integrierten Projekten zur Wasserstoffherstellung und -nutzung vielfach aus Stromsystemperspektive nicht optimal, weil dadurch der Stromtransportbedarf von Erzeugungs- zu Lastzentren weiter erhöht wird“, warnt Consentec.

Neben Wasserstoff könnte sich der Kurzstudie zufolge auch die Nutzung von synthetischem Methan (also methanisiertem Wasserstoff) oder Biomethan sowie Ammoniak als sinnvoll erweisen.
 

Verfügbarkeit sichern 

Eine wesentliche Frage ist die der Verfügbarkeit des „grünen“ Wasserstoffs. Laut Consentec belief sich der Gasbedarf für die Strom- und Wärmeerzeugung in Österreich 2019 auf rund 98 Terawattstunden (TWh). Den künftigen Bedarf an Wasserstoff hält das Beratungsunternehmen für „deutlich“ geringer, weil mehr Strom mittels erneuerbarer Energien erzeugt werden dürfte und die Kosten von Wasserstoff nicht zu unterschätzen sind. Den Strombedarf für die elektrolytische Erzeugung von 1 Megawattstunde (MWh) Wasserstoff beziffert Consentec mit 1,4 bis 1,5 MWh. Wenn diese in Österreich erfolgen soll, ist daher ein entsprechender Ökostromausbau notwendig. „Die erneuerbaren Energien forciert auszubauen, ist somit ein expliziter Beitrag zur Versorgungssicherheit“, hält Consentec fest. Dennoch sind „vermutlich zur Deckung der Wasserstoffnachfrage Energieimporte in erheblichem Maße notwendig.

Neben dem Ausbau der heimischen Wasserstoffproduktion wird daher die Erschließung von Importmöglichkeiten durch Politik und Wirtschaft sowie die Etablierung eines liquiden Wasserstoffmarktes zu einer wesentlichen Voraussetzung für wasserstoffbasierte Versorgungssicherheit auch im Strombereich.“ Dringend erforderlich ist überdies „eine zeitnahe Netzentwicklungsplanung für ein Wasserstoffnetz inklusive der Speicherinfrastrukturen. Insbesondere muss für Investoren in Elektrolyseure und gasbasierte Erzeugungsanlagen klar absehbar sein, ob und wann sie mit einem Anschluss an das Wasserstoffnetz rechnen können.“

Geschaffen werden muss des Weiteren ein „berechenbarer und verlässlicher Investitionsrahmen für den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft und insbesondere die Wasserstoffproduktion und -verstromung“, resümiert Consentec.