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Versorgungssicherheit im Winter 2022

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Eine Studie des Beratungsunter­nehmens Consentec im Auftrag von Oesterreichs Energie zieht eine erste Bilanz über die Maßnahmen, die zur Versorgungssicherheit im vergangenen Winter geführt haben. Welche Lehren kann die E-Wirtschaft aus den letzten Monaten ziehen?

© AdobeStock/thieury

1. Herausforderung Versorgungssicherheit

ie Energiekrise in Europa hat dazu geführt, dass in den vergangenen Monaten Fragen der Versorgungs­sicherheit in das Zentrum der politischen Debatte gerückt sind. Auch wenn der laufende Winter ohne gravierende Einschränkungen der Versorgungs­sicherheit bewältigt werden kann, haben die Energiekrise und jüngste Untersuchungen wie die Stresstests des österreichischen Übertragungsnetzbetreibers APG oder der deutschen Übertragungsnetzbetreiber bisher wenig beachtete Vulnerabilitäten aufgezeigt. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass mit den Reaktionen auf die Energiekrise, die EU-weit von Preiseingriffen bis hin zu einem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien reichen, zwar bekannte Probleme adressiert, aber auch neue Herausforderungen für die Versorgungssicherheit geschaffen werden können.

Das war Grund genug für Oesterreichs Energie, gemeinsam mit Consentec eine erste Bilanz des vergangenen Winters zu ziehen und dabei insbesondere zu prüfen, welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der Energiekrise für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit in der Zukunft zu ziehen sind.
 

2. Versorgungssicherheit im Winter 2022/23

Im Vorfeld des Winters haben unterschiedliche Analysen mögliche Risiken für die Versorgungssicherheit in Österreich und Europa aufgezeigt. Am kritischsten wurde die Lage in Frankreich eingestuft. Aber auch in Österreich hat der Übertragungs­netz­betreiber APG in seinem Stresstest in bestimmten – allerdings unwahrscheinlichen – Risikoszenarien Lastdeckungsprobleme nicht ausgeschlossen. Entscheidend für die besonders angespannte Lage im Stromversorgungssystem war die Überlagerung mehrerer krisenhafter Entwicklungen. So war im Herbst 2022 nicht nur eine Gasknappheit, die im schlimmsten Fall auch Einschränkungen für den Betrieb einzelner Gaskraftwerke bedeutet hätte, zu befürchten. Hinzu kamen – für das Stromsystem besonders kritisch – eine historisch niedrige Verfügbarkeit der französischen Atomkraftwerke (sowie weitere Verfügbarkeitsprobleme bei dieser Technologie in anderen europäischen Ländern) und die extreme Dürre im vergangenen Sommer mit Folgen für die Stromproduktion aus Laufwasserkraftwerken und Problemen für den Transport von Kraftwerkskohle per Binnenschiff.

Strommast
© AdobeStock/Артур Ничипоренко

Hätten diese Probleme uneingeschränkt über den Winter angehalten, hätte es insbesondere in einer längeren Kälteperiode, die möglicherweise auch mit einer niedrigen Verfügbarkeit erneuerbarer Energien einhergegangen wäre, zu Problemen mit der bedarfsgerechten Versorgung kommen können. Zudem war insbesondere in Deutschland zu befürchten, dass grundsätzlich verfügbare Erzeugungsleistung wegen Netzproblemen nicht voll eingesetzt hätte werden können und im schlimmsten Fall sogar Exporte in die Nachbarländer reduziert hätten werden müssen.

Letztendlich haben sich die Risikofaktoren glücklicherweise nicht oder nicht in vollem Umfang realisiert. Der Herbst war feucht und die Wasserstände haben sich normalisiert. Frankreich hat seine verfügbare Erzeugungskapazität aus Atom­kraft­werken im Dezember und Januar deutlich steigern können (wenn auch bei weitem nicht auf ein normales Niveau) und der milde Winter hat Strom- und Gasverbrauch gebremst.

Damit sollte die Energiekrise jedoch nicht zu den Akten gelegt werden. Auch 2023/24 wird der Winter aus Versorgungssicherheitsperspektive herausfordernd werden. Energiesparen, u. a. um die Heizperiode mit möglichst hohen Füllständen der Gasspeicher beenden zu können, bleibt deshalb wichtig. Insbesondere sollten die Erfahrungen der Energiekrise aber auch genutzt werden, um mehr über Vulnerabilitäten des bestehenden Systems zu lernen und die Versorgungssicherheit für die Zukunft gezielt zu verbessern.
 

3. Lehren aus der Krise

Auf einer sehr grundsätzlichen Ebene zeigt die Energiekrise, dass Versorgungs­sicherheit nicht selbstverständlich ist und nur durch aktives Handeln gewährleistet werden kann. Dabei ist es zunächst wichtig, die fundamentalen Ursachen für die beobachtete Gefährdung der Versorgungssicherheit zu analysieren und Vorsorge sowie Risikomanagement zu optimieren. Darüber hinaus hat die Krise aber auch zu energiepolitischen Reaktionen wie Marktinterventionen geführt, die wiederum Rückwirkungen auf die Versorgungssicherheit haben können. Auch diese Rückwirkungen müssen betrachtet werden, wenn langfristig Versorgungssicherheit gewährleistet werden soll.
 

Unmittelbare Erkenntnisse aus der Krise

Rückblickend fällt auf, dass die Debatte um die Gewährleistung von Versorgungssicherheit im vergangenen Winter und dafür notwendige Maßnahmen überwiegend im nationalen Rahmen z. B. auf Basis national erstellter Stresstests geführt wurde. Europäisch abgestimmte Analysen wie der ENTSO-E Winter Outlook lagen erst relativ spät vor. Maßnahmen wie die Aktivierung von Reserven wurden von den EU-Mitgliedsstaaten national entschieden. Gleichzeitig wird aber zunehmend klarer, dass eine stärkere Koordination und Kooperation zu Versorgungs­sicherheits­fragen auf europäischer Ebene nicht nur effizient, sondern für die Wirksamkeit von Maßnahmen auch unverzichtbar ist. Eine Intensivierung der europäischen Abstimmungsprozesse bis hin zu einer Stärkung der Kompetenzen im Bereich Versorgungssicherheit auf EU-Ebene ist hier wünschenswert.

Ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Zusammenarbeit besteht in Vorhaltung und Ausbau grenzüberschreitender Transportinfrastrukturen. Eng ausgebaute europäische Netze für Strom und Gas verringern Abhängigkeiten und erhöhen die Reaktionsmöglichkeiten im Krisenfall. Ausbaubedarfe bestehen hier in Österreich sowohl im Gas- als auch im Stromsystem, wobei der drohende endgültige Ausfall von Gasimporten aus Osteuropa die Ausweitung der Gas-Importkapazitäten aus Deutschland und Italien dringend notwendig macht. Über die Überwindung historischer Importabhängigkeiten hinaus besteht Bedarf zur Ausweitung der Importkapazitäten auch mit Blick auf den anstehenden Wasserstoffhochlauf und den zumindest zeitweise notwendigen parallelen Import von Methan und Wasserstoff.

Kritisch geprüft werden sollten auch die Methoden und Verfahren, mit denen Gefährdungen für die Versorgungssicherheit frühzeitig erkannt werden sollen, wie Versorgungssicherheitsmonitorings/Resource Adequacy Assessments auf europäischer Ebene. Trotz großer methodischer Fortschritte können derartige Verfahren für die Versorgungssicherheit besonders relevante, aber probabilistisch kaum beschreibbare „Klumpenrisiken“ wie die pandemiebedingt verzögerten Wartungsarbeiten und befürchtete Serienfehler bei den französischen AKWs oder korrelierte Nicht­verfügbar­keiten von Kohle- und Wasserkraftwerken aufgrund extremer Trockenheit aktuell nicht angemessen berücksichtigen. Die Vorhaltung von zusätzlichen Reserven (über den mit o. g. Monitorings quantifizierten Bedarf hinaus) für Extremereignisse kann vor diesem Hintergrund sinnvoll sein.

Die Energiekrise hat Verwundbarkeiten auf dem Feld der Versorgungssicherheit offengelegt, die zuvor nicht im Fokus des öffentlichen Interesses standen.

In der Krise ist auch deutlich geworden, wie sehr die Sicherheit der Versorgung nicht nur vom Zusammenspiel zwischen Erzeugung und Nachfrage, sondern auch vom Stromnetz abhängt. Transportrestriktionen bilden sich im heutigen Strommarkt aber oftmals nicht ab. Was im Normalfall „nur“ zu teuren Engpassmanagementmaßnahmen (Redispatch) führt, kann sich in Situationen mit grundsätzlich angespannter Versorgungslage aber als krisenverschärfend erweisen. Wenn Preise fundamental vorhandene Knappheiten nicht signalisieren, werden Lastmanagementpotenziale nicht erschlossen oder aktiviert, und langfristig notwendige Investitionen finden nicht im effizienten Maß statt. Gerade auch mit Blick auf die zunehmende aktive Teilnahme von Verbrauchern am Strommarkt sollte ein dauerhaftes Auseinanderlaufen von Physik und deren Abbildung im Strommarkt vermieden werden. Dazu sind u. a. Rahmenbedingungen für einen ausreichenden Netzausbau (durchaus mit Vorsorgecharakter) als auch stärkere lokal und zeitlich differenzierte Preissignale z. B. über zeitvariable Netzentgelte zu diskutieren.
 

Rückwirkungen von Krisenreaktionen

Die Energiekrise hat eine Debatte um das europäische Strommarktdesign mit Forderungen nach Preiseingriffen und Erlösbegrenzungen für Erzeugungsanlagen ausgelöst. In einer gerade abgelaufenen Konsultation der EU-Kommission zur Anpassung des Strommarktdesigns spielen derartige Mechanismen eine wesentliche Rolle. Aus Versorgungssicherheitsperspektive sind viele dieser Forderungen kritisch zu sehen. So könnte durch grundlegende Marktdesignänderungen das Vertrauen der Investoren in die Stabilität der regulatorischen Rahmenbedingungen erschüttert werden und dadurch die zur fundamentalen Überwindung der Energiekrise dringend notwendigen Investitionen ausbleiben. Preis-Eingriffe könnten die Bereitschaft von Verbrauchern, das System durch flexibles Verbrauchsverhalten zu unterstützen, verringern. Die Folgen für die Gewährleistung von Versorgungssicherheit und die Rentabilität notwendiger Investitionen sollten bei der Marktdesign-Debatte deshalb unbedingt mitgedacht werden.

Schließlich sollte bei den nun initiierten Beschleunigungsmaßnahmen für den Ausbau der erneuerbaren Energien in gleichem Maße und mit gleicher Schnelligkeit auch die Aufnahmefähigkeit der Stromnetze gesteigert werden. Netzausbau auf allen Spannungsebenen sowie neue technische Lösungen für die Erbringung von Systemdienstleistungen wie Blindleistung und Momentanreserve sind eine Voraussetzung für den sicheren Betrieb eines überwiegend auf (großteils volatilen) erneuerbaren Energien basierenden Stromsystems.
 

4. Fazit

Auch wenn sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bestätigt haben: Die Energiekrise hat Verwundbarkeiten auf dem Feld der Versorgungssicherheit offengelegt, die zuvor nicht im Fokus des öffentlichen Interesses standen. Erkannte Schwachstellen wie bei Importkapazitäten sollten zügig behoben und eine aktivere, möglichst europäisch koordinierte Risikovorsorge für Extremereignisse betrieben werden. Gleichzeitig sollten Wirkungen auf die Versorgungssicherheit bei allen energiepolitischen Reaktionen auf die Krise wie den aktuell laufenden Diskussionen zum europäischen Strommarktdesign berücksichtigt werden.