Prinzipien der Tragung von Stromnetzverlustkosten in Österreich und anderen Ländern Europas
Die krisenbedingten Strompreisentwicklungen in 2022 haben u. a. zu einem drastischen Anstieg der Stromnetzverlustkosten von 2022 auf 2023 geführt. Diese Kosten werden in Österreich über das von Stromerzeugern und -verbrauchern zu zahlende Netzverlustentgelt refinanziert.
Um Verbraucher vor einem massiven Kostenanstieg zu schützen, hat die österreichische Bundesregierung in 2022 in zwei Schritten beschlossen, den von Verbrauchern zu tragenden Teil der Netzverlustkosten für das Jahr 2023 mit staatlichen Mitteln in Höhe von 675 Mio. EUR zu unterstützen. Das von den Stromerzeugern zu tragende Netzverlustentgelt ist in 2023 jedoch etwa auf das Fünffache des Niveaus von 2022 angestiegen. Zusätzlich kam die Forderung auf, in 2023 eine systemische Lösung zu erarbeiten, mit der über 2023 hinaus eine Entlastung der Stromverbraucher von hohen Netzverlustkosten erreicht werden kann. In der Folge hat die Regulierungsbehörde E-Control mit der Novelle 2024 der Systemnutzungsentgelte-Verordnung 2018 die Methodik zur Ermittlung des von Stromerzeugern erhobenen Netzverlustentgelts grundlegend angepasst. Die Neuordnung führt im Vergleich zu den Jahren vor 2023 zu einer erheblichen, fachlich nicht nachvollziehbaren Verschiebung der Finanzierungsverantwortung für die Netzverluste hin zu den Stromerzeugern. Vor diesem Hintergrund hat Oesterreichs Energie uns damit beauftragt, einerseits die übliche Praxis der Verlustkostentragung in Europa anhand von Länderbei-spielen im Umfeld Österreichs zu beleuchten und andererseits die Frage der Zuordnung der Verlustkosten zu Erzeugern und Verbrauchern mit Blick auf die Verursachungsgerechtigkeit und Anreizwirkungen der Netzverlustentgelte zu diskutieren, auch unter Berücksichtigung der Erläuterungen von E-Control zu der Neuregelung, und hieraus Empfehlungen für diese Kostenallokationsfrage abzuleiten.
Die Analyse der Kostentragungsprinzipien in fünf europäischen Ländern im Nahbereich Österreichs hat gezeigt, dass nur in einem dieser Länder, nämlich Frankreich, ein Teil der Netzverlustkosten von den Stromerzeugern getragen wird, und dass auch dort nur für Einspeisungen in das Höchstspannungsnetz ein erzeugerseitiges Entgelt erhoben wird, das zudem äußerst gering ist: Es beträgt mit 0,023 ct/kWh weniger als 5 % des derzeitigen Netzverlustentgelts in Österreich für Stromerzeuger auf dieser Netzebene. Gegenüber Stromerzeugern in diesen für die Wettbewerbssituation der österreichischen Erzeuger besonders relevanten Ländern erwächst aus dem in Österreich erhobenen Netzverlustentgelt somit ein klarer Wettbewerbsnachteil für die österreichischen Erzeuger. Dies führt in der Tendenz zu einer teilweisen Verdrängung der Stromerzeugung aus bestehenden sowie der Errichtung neuer Erzeugungsanlagen ins Ausland, was verschiedene nachteilige Folgen hinsichtlich der Stromversorgungskosten und der Klimaschutzziele haben kann. Darüber hinaus sind erzeugungsseitige Entgelte, die von der eingespeisten Strommenge abhängen, auch grundsätzlich problematisch, da sie zu ineffizienten Einsatzentscheidungen der Stromerzeugungskapazitäten führen können; dieser verzerrende Effekt ist umso stärker, je höher diese Entgelte sind.
Diesen Nachteilen einer bereits vor 2023 starken und mit der Neuregelung ab 2024 noch deutlich zunehmenden Belastung der Stromerzeuger mit Netzverlustentgelten stehen nur relativ schwache und in Österreich nicht mit großem Gewicht diskutierte Argumente entgegen, die für eine solche Verschiebung der Kostenallokation sprechen würden. Dies betrifft etwa Zielsetzungen einer Standortsteuerung für neue Erzeugungsanlagen und einer Abschwächung der regionalen Netzentgeltdifferenzen. Um diese Zielsetzungen zu erreichen, müsste das Netzverlustentgelt entsprechend der angestrebten Steuerungswirkung gezielt nach Standorten differenziert und somit völlig anders strukturiert werden als heute. Das ebenfalls häufig vertretene Argument, durch stärkere Beteiligung der Stromerzeuger an den Netzverlustkosten könne das Strompreisniveau für Verbraucher abgesenkt werden, ist nicht stichhaltig, da ein großer Teil der von den Erzeugern primär getragenen Kosten letztlich über die Strompreise an die Verbraucher weitergereicht wird.
Auch aus den Erläuterungen von E-Control zur SNE-V-Novelle geht keine belastbare Begründung für die Neuregelung hervor. Dort wird auf eine neue Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und die Kriterien der Kostenorientierung und Verursachungsgerechtigkeit verwiesen, ohne jedoch darzulegen, warum diese Grundsätze und Kriterien eine so gravierende Änderung rechtfertigen, die vor 2023 nicht als geboten erachtet wurde. Die nähere Analyse zeigt vielmehr, dass die neue Auslegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in direktem Widerspruch zu der Auslegung steht, die E-Control in den Erläuterungen zur SNE-V 2018 vertreten hat, und dass die Grundsätze der Kostenorientierung und Verursachungsgerechtigkeit keinerlei Anhaltspunkte liefern, warum die neue Regelung angemessener sein sollte als die alte.
Wir empfehlen daher, den Anteil der von den Stromerzeugern getragenen Netzverlustkosten keinesfalls über das in den Jahren vor 2023 erreichte Maß hinaus anzuheben. Damit würden die Wettbewerbsnachteile der österreichischen Erzeuger noch weiter verschärft. Wir halten es im Gegenteil im Sinne eines fairen Wettbewerbs im europäischen Umfeld für empfehlenswert, das Netzverlustentgelt für Erzeuger abzuschaffen, um diese Belastung der Wettbewerbssituation zu eliminieren.
Hierdurch würden keine sinnvollen Steuerungswirkungen entfallen; vielmehr würde vermieden, dass diese ökonomisch nicht zielgerechte variable Kostenkomponente bei den Erzeugern zu ineffizienten Kraftwerkseinsatzentscheidungen führt. Dieser Schritt würde es darüber hinaus ermöglichen, das Netzverlustentgelt auch für Verbraucher abzuschaffen und die Netzverlustkosten – wie in vielen anderen Ländern – in die Kalkulation des regulären Netznutzungsentgelts zu integrieren. Dies würde deutlich zur Vereinfachung der Entgeltsystematik beitragen.