Positionspapier Sektorkopplung
Mehrwert der Sektorkopplung
Dekarbonisierung des Energiemarktes vorantreiben
Die österreichische Regierung bekennt sich zum Ausbau aller Formen heimischer erneuerbarer Energieerzeugungsarten. Bis 2030 soll die nationale Stromversorgung bilanziell zu 100 % mit Ökostrom abgedeckt sein. Ein Zubau von rund 27 TWh erneuerbarem Strom sowie eine Steigerung der Erzeugungskapazität bei Photovoltaik um 11 TWh und bei Wind um 10 TW sind im aktuellen Regierungsprogramm 2020–2024 verankert. Dazu sollen noch 5 TWh aus der Wasserkraft und 1 TWh aus Biomasse hinzukommen.
Um das Dekarbonisierungsziel zu erreichen, sollen neben Strom auch Gas und Raumwärme zur Gänze bis 2040 klimaneutral werden. Zu diesem Zweck sollen bis 2030 etwa 5 TWh Grünes Gas in das Gasnetz sowie Grüne Wärme in die Fernwärmenetze eingespeist werden. Kapazitäten dafür sind ausreichend vorhanden: Studien belegen ein heimisches Potenzial an erneuerbarem Gas von ca. 40 TWh bis 2050 und auch die technischen Möglichkeiten bei erneuerbarem Strom liegen weit über den Ausbauplänen des Regierungspro-gramms. Die Versorgung mit Fernwärme wird bereits heute zu 55 % mit Erneuerbaren oder Müllverbrennung bewerkstelligt. Rund die Hälfte der 100 größten Städte Österreichs wird mit Fernwärme aus erneuerbaren Energieträgern versorgt. Die Tendenz ist stark steigend, weshalb davon auszugehen ist, dass die Klimaneutralität der Fernwärme bis 2040 erreicht werden kann.
Die Dekarbonisierung der einzelnen Sektoren ist nur mithilfe von erneuerbarem Strom (aus Wasserkraft, Windkraft, Photovoltaik und Biomasse) und durch Einspeisung von erneuerbarem Gas (z.B. Biomethan, Wasserstoff, synthetisches Gas) in das Gasnetz sowie Grüne Wärme in die Fernwärmenetze möglich. Es ist wichtig, auf eine breite Vielfalt bei Energieträgern und Erzeugungs-, Speicher- bzw. Umwandlungstechnologien zu setzen, um die Energieversorgung Österreichs aufrechtzuerhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass kein Energieträger bevorzugt werden soll.
Versorgungssicherheit gewährleisten und Flexibilität bereitstellen
Der große Mehrwert der Sektorkopplung liegt in der Gewährleistung der notwendigen Versorgungssicherheit und Flexibilität des Energiesystems. Die gesteigerte Nutzung lokal erzeugter, erneuerbarer Energie (Ökostrom, Grünes Gas und Grüne Wärme) reduziert die Importabhängigkeit deutlich und macht Österreichs Energieversorgung unabhängiger.
Da mit dem Ausbau der Stromerzeugung aus Photovoltaik und Windkraft auch der Anteil an volatil einspeisender Stromerzeugung stark zunehmen wird, müssen Wege gefunden werden diese Schwankungen in der Energieerzeugung (Tag/Nacht und Sommer/Winter) auszugleichen und eine maximale Nutzung zu ermöglichen. Etwaige Abriegelungen von „Überschussstrom“ gilt es durch Anwendungen der Sektorkopplung sowie durch den Ausbau von Speichern zu vermeiden.
Anwendungen der Sektorkopplung (Power-to-Gas, Power-to-Heat, Pufferbatterien bei der E-Ladeinfrastruktur und Wärmepumpen) können neben den Stromspeichern diese Schwankungen kurz- und mittelfristig gut abfedern. Langfristige Schwankungen, z.B. zwischen Sommer und Winter, lassen sich vor allem durch die Umwandlung von erneuerbarem Überschussstrom in Gas (Wasserstoff, synthetisches Gas), Speicherung im bereits vorhandenen Gasnetz sowie saisonale Wärmespeicher ausgleichen und optimal nutzen.
Die Kombination von Überschussstrom und Gasnetz ermöglicht einen hohen Grad an Versorgungssicherheit. Ergänzt wird diese durch die Fernwärme, welche sich aufgrund ihrer Flexibilität beim Brennstoffeinsatz bestens eignet, die Wärmewende in zumutbaren Schritten umzusetzen, ohne dass bei Versorgungssicherheit und Leistbarkeit Abstriche gemacht werden müssen. Auch thermische Kapazitäten (Gaskraftwerke, Gasspeicher) sowie Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind für die Versorgungssicherheit und die Stabilität im Energiesystem weiterhin unverzichtbar. Daher ist die Bestandssicherung und Nutzung hocheffizienter Erzeugungsformen (KWK) sowie weiterer flexibler Kapazitäten (Gaskraftwerke) erforderlich.
Bestehende Energieinfrastruktur effizient nutzen
Die Kopplung der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze führt zu höherer Effizienz des Energiesystems und senkt die Gesamtkosten der Energieumstellung, da bereits bestens ausgebaute Systeme verwendet werden können. Daher spielt die bestehende Infrastruktur eine wichtige Rolle.
Das österreichische Gasnetz stellt mit seinen über 44.500 km Leitungen ein riesiges und flächendeckend vorhandenes Speichermedium dar. Zusätzlich können in den unterirdischen Gasspeichern 93,2 TWh (8,25 Mrd. m3) Gas eingelagert werden – damit lassen sich derzeit über 100 % des österreichischen Jahresbedarfs an Gas speichern.
Bereits heute kann ohne Adaptierungen Biomethan im Gasnetz eingespeist und transportiert werden. Auch eine Beimengung von 10 % Wasserstoff ist technisch unproblematisch. Forschungen für bis zu 100 % Wasserstoff im Gasnetz sowie zur Überwindung der derzeitigen Herausforderungen der Wirtschaftlichkeit sind europaweit in vollem Gange. Die Umstellung bestehender, fossiler KWK-Anlagen auf dekarbonisierte Gase (Biomethan, Wasserstoff, synthetische Gase etc.) ist mit vergleichsweise geringem Aufwand technisch machbar.
Die bestehende Gas- und Kraftwerksinfrastruktur ist nicht auf die Nutzung fossiler Energieträger beschränkt, sondern hervorragend dazu geeignet, erneuerbare Energie bereitzustellen, zu transportieren und zu speichern. Daher ist ein Rückbau der Anlagen weder unter ökonomischen noch ökologischen Aspekten sinnvoll. Die Gasinfrastruktur unterstützt mit der Power-to-Gas-Produktion auch den weiteren Ausbau von erneuerbaren Strom.
Leistbarkeit der Energiewende sicherstellen
Viele Studien auf nationaler und europäischer Ebene zeigen, dass zur Erreichung der Klimaneutralität eine Kopplung der bestehenden Energieinfrastrukturen volkswirtschaftlich kostengünstiger ist als eine direkte Elektrifizierung aller Energieanwendungsbereiche. Die Sektorkopplung ermöglicht die Nutzung großer und kostengünstiger Energiespeicher außerhalb des Stromsektors sowie eine starke Erhöhung der Flexibilität in der Stromnachfrage.
Der Mix verschiedener Energieträger optimiert die Effizienz der Energieversorgung – etwa durch geringeren Bereitstellungsbedarf an Systemdienstleistungen und reduzierten Netzausbau im Strombereich – und ermöglicht in Kombination mit der Benutzung bereits getätigter volkswirtschaftlicher Investitionen (z. B. Gasinfrastruktur) eine leistbare Energiewende.
Erforderliche Rahmenbedingungen
Ganzheitliche Betrachtung des Energiemarktes
Emissionen in einem Teilbereich zur Gänze zu eliminieren, wenn sie in anderen kostengünstiger vermieden werden könnten, ist im Sinne der Umwelt und Wirtschaftlichkeit zu vermeiden. Neben dem Fokus auf die kosteneffiziente Vermeidung von Treibhausgasemissionen muss jedoch in Hinblick auf das Dekarbonisierungsziel bis 2040 auch die Bereitstellung von klimaneutralen Energieträgern für alle Nachfragebereiche (Industrie, Verkehr, Raumwärme etc.) gewährleistet werden. Durch die gemeinsame Betrachtung der Strom-, Gas- und Fernwärmeinfrastruktur kann die Energiewende zu geringeren Kosten und dabei ein höherer Grad an Versorgungssicherheit erzielt werden.
Technologieoffenheit
Zur Umsetzung einer umfassenden Sektorkopplung stehen bereits viele Technologien zur Verfügung. Vor allem die Elektrolyse für das Power-to-Gas-Verfahren, Power-to-Heat usw. haben ihre Funktionstüchtigkeit nicht nur in Forschungs- und Demonstrationsprojekten bewiesen.
Das Verbot von Technologien, die derzeit fossile Energieträger benutzen (Gasinfrastruktur, Gasheizkessel etc.), wäre kontraproduktiv, da diese bei Einsatz von Grünem Gas schnell und kostengünstig zur Energiewende beitragen können. Technologieoffenheit und Gleichbehandlung aller Energieträger auf Basis der Emissionen müssen gewährleistet sein.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität sind im Verkehrsbereich emissionsarme Antriebstechnologien zu berücksichtigen. Neben dem vermehrten Einsatz von E-Mobilität, ist auch der Einsatz von Gas (vor allem im Langstrecken-, Bus- und Schwerverkehr) und in weiterer Zukunft von Wasserstoff unverzichtbar.
Abbau regulatorischer Hemmnisse
Kurz- und mittelfristig müssen nachhaltige Geschäftsmodelle gefunden werden, um die Sektorkopplung marktwirtschaftlich attraktiv zu gestalten. Dies muss unter Maßgabe diskriminierungsfreier Rahmenbedingungen und ohne neue und dauerhafte Privilegierungen erfolgen, um damit ein Level Playing Field zu gewährleisten. Zudem sind die Rahmenbedingungen zur Schaffung von „Regulatory Sandboxes“ festzulegen. Essentiell ist generell der Abbau von regulatorischen Hemmnissen.
Eine umweltfreundliche Mobilitätswende kann durch an den Emissionen orientierte steuerliche Entlastungen der Gas- und Elektromobilität im Rahmen einer Sektorkopplung erreicht werden.
Impulse setzen und Entlastungen schaffen
Förderprogramme sowie Förderschwerpunkte für Technologien zur Umsetzung der Sektorkopplung, inkl. Implementierungsprojekte, sind dringend erforderlich. Die Produktion von Wasserstoff ist zwar technisch bereits möglich, um ihn jedoch in bedeutenden Mengen zur Verfügung stellen zu können, müssen Anreize für Produzenten und Nachfrager geschaffen werden.
Dies ist nur mit ausreichend Förderung bzw. Entlastung möglich. Die Einspeisung von Wasserstoff ins Gasnetz kann z.B. auch durch Ausnahme von den Netztarifen forciert werden. Technologien wie Power-to-Heat sind weiterhin hohen Belastungen (Netzgebühren, Abgaben etc.) ausgesetzt. Existierende Förderschienen wie das Wärme und Kälteleitungs-Ausbau-Gesetz (WKLG) und die Umweltförderung im Inland (UFI) müssen ausreichend dotiert werden, um Sektorkopplung zu unterstützen.
Bei der Sektorkopplung finden vielfältige und oft auch aufeinander folgende Umwandlungsprozesse statt. Um Doppelbesteuerungen zu vermeiden, sollten sich Abgaben der Energienutzung nur am Letztverbrauch orientieren. Daher sollten Sektorkopplungs-Prozesse, soweit rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll, von Netzgebühren, Abgaben und Umlagen befreit werden.