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Erhöhung der Netzverlustkosten für Stromerzeuger kontraproduktiv

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Laut einer Kurzstudie im Auftrag von Oesterreichs Energie brächte die angedachte „systemische Lösung“ Wettbewerbsnachteile für heimische Versorger und damit letztlich auch für die Endkunden.

Umspannwerk
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Infolge des massiven Anstiegs der Großhandelspreise für Strom haben sich auch die Netzverlustkosten stark erhöht. Um die Endkunden zu entlasten, beschloss die Bundesregierung, deren Anteil an diesen Kosten im Jahr 2023 zu insgesamt 80 Prozent aus dem Budget zu decken, wofür etwa 675 Millionen Euro nötig sind. Überdies bestehen Überlegungen, eine Systemänderung bei der Anlastung der Netzverlustkosten einzuführen. Das könnte bedeuten, die Stromerzeuger noch stärker als bisher zu belasten. Oesterreichs Energie beauftragte daher das Beratungsunternehmen Consentec mit einer entsprechenden Kurzstudie. Sie zeigt, wie die Kosten für das Netzverlust-​entgelt in anderen Ländern gedeckt werden, ob eine stärkere Belastung der Stromerzeuger unter den Aspekten der Verursachergerechtigkeit sowie möglicher Anreizwirkungen sinnvoll wäre und leitet daraus Empfehlungen ab. Consentec zufolge beliefen sich die Kosten der Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber für die Beschaffung von Energie zur Deckung der Netzverluste 2022 auf rund 190 Millionen Euro. Für heuer 2023 wird dagegen mit etwa 1,2 Milliarden Euro gerechnet. 

Consentec zufolge beliefen sich die Kosten der Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber für die Beschaffung von Energie zur Deckung der Netzverluste 2022 auf rund 190 Millionen Euro.

Im Frühjahr 2023 veröffentlichte die Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden (ACER) einen Bericht über die Netztarifierung in den Mitgliedsstaaten der Union. Ihm zufolge belasten nur Österreich und Frankreich die Energieerzeuger mit Kosten für die Energie zur Abdeckung der Netzverluste. In Österreich erfolgt dies bekanntlich über das Netzverlustentgelt, das in gleicher Höhe für Entnahmen und Einspeisungen an einem Zählpunkt eingehoben und in Cent/kWh abgerechnet wird. Ab März 2023 entfiel ein Großteil des Entgelts für die Entnahmen, weil die dafür anfallenden Kosten aus dem Budget gedeckt werden. Demgegenüber wurde das Netzverlustentgelt für Einspeisungen kaum verringert. „Hierdurch hat sich die Kostentragung der nicht durch Zuschüsse gedeckten Verlustkosten stark in Richtung der Stromerzeuger verlagert“, heißt es in der Kurzstudie. Wie Consentec feststellt, ist die Höhe des Entgelts je nach Netzbereich und Netzebene unterschiedlich. Auf der Netzebene 3 beträgt es seit 1. März des heurigen Jahres 0,293 bis 0,887 Cent/kWh, etwa fünfmal so viel wie 2022.

Auch in Frankreich müssen die Erzeuger für Netzverlustentgelt bezahlen. Dies gilt aber nur bei Einspeisungen in das Übertragungsnetz. Außerdem belaufen sich die Kosten auf lediglich 0,023 Cent/kWh. Gedeckt werden damit die Kosten, die dem französischen Übertragungsnetzbetreiber RTE durch Stromexporte von Erzeugern entstehen. 
 

Versorger fast nirgendwo belastet 

In Deutschland dagegen gibt es kein Netzverlustentgelt. Die Kosten für die Energie zur Abdeckung der Netzverluste werden in die Netzentgelte eingerechnet, die ausschließlich die Endverbraucher zu tragen haben. Mehr noch: Für Anlagen, die vor 2022 in Betrieb gingen, erhalten die Betreiber laut Consentec ein Entgelt für die „durch ihre Einspeisung bewirkten Einsparungen an Netzentgelten der jeweils vorgelagerten Netzebene“. 

Strommast
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Auch in der Tschechischen Republik tragen die Stromerzeuger nicht zur Deckung der Netzverlustkosten bei. Stattdessen werden diese ausschließlich von den Endverbrauchern getragen. „Der Verzicht auf einspeisungsbezogene Netzentgelte wurde im Rahmen der ACER-Erhebung mit der Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für heimische Stromerzeuger im europäischen Strommarkt begründet“, heißt es in der Kurzstudie.

Ein „ungewöhnliches Modell“ besteht Consentec zufolge in Italien. Dort sind die Stromlieferanten verpflichtet, „zusätzlich zu der messtechnisch erfassten Menge der Stromabgabe an ihre Kunden einen regulatorisch festgelegten prozentualen Zuschlag auf diese Menge am Strommarkt zu beschaffen. Dieser ist so berechnet, dass er insgesamt das erwartete Volumen an Netzverlustenergie näherungsweise abdeckt.“ Letztlich bezahlen auch in Italien ausschließlich die Endkunden die Netzverlustenergie. Die Schweiz gehört bekanntlich nicht der EU an. Aber auch dort werden Netzentgelte „nur auf den Stromverbrauch erhoben“. 
 

Fragwürdige Argumente 

Laut Consentec heißt es immer wieder, dass aus Gründen der Verursachungsgerechtigkeit sowie im Hinblick auf mögliche Anreizwirkungen die Stromerzeuger an den Netzverlustkosten beteiligt werden sollten. Das ist dem Beratungsunternehmen zufolge aber zweifelhaft. Denn einerseits enthalten die Netzkosten einen vergleichsweise hohen Anteil an Fixkosten. „Andererseits umfassen die Netzkosten Bestandteile, die zwar grundsätzlich vom Ausmaß der Inanspruchnahme durch die Netznutzer abhängen, die sich aber dennoch nicht eindeutig einzelnen Nutzern oder Nutzungsfällen zuordnen lassen. Hierzu gehören – neben anderen Kostenanteilen wie z. B. den Systemdienstleistungskosten – die Netzverlustkosten“, stellt Consentec fest. Daher werden – wie auch in Österreich – üblicherweise die durchschnittlichen Kosten der Inanspruchnahme des Netzes ermittelt und den Nutzern verrechnet. Aus diesen Erwägungen ist aber auch das Argument der Anreizwirkung fragwürdig. 
 

Gravierende Nachteile 

Somit böte es kaum Vorteile, die Stromerzeuger mit Netzverlustentgelten verstärkt zu belasten. Sehr wohl jedoch sind mehrere gravierende Nachteile zu befürchten. Der wichtigste davon ist laut Consentec: „Das Netzverlustentgelt beeinträchtigt die Wettbewerbssituation der österreichischen Stromerzeuger im europäischen Strommarkt.“ Es zu erhöhen, brächte weitere Unannehmlichkeiten mit sich: Weil die heimischen Versorger weniger wettbewerbsfähig wären, würde mehr Strom im Ausland beschafft. Das wäre klimapolitisch falsch, weil die Stromproduktion in Österreich hauptsächlich auf erneuerbaren Energien beruht, wohingegen im Ausland oft noch Gas- und Kohle- sowie Atomkraftwerke dominieren. Auch wäre mit höheren Netzverlusten zu rechnen, weil die elektrische Energie über weitere Strecken herantransportiert werden müsste. Diese wären wiederum teilweise von den heimischen Stromerzeugern zu tragen – ein kaum wünschenswerter „selbstverstärkender Effekt“. Und schließlich „sinken mit einer Verlagerung der Verlustkostentragung von den Verbrauchern zu den Erzeugern kurzfristig die Energieeffizienzanreize für Verbraucher, da die dann von den Erzeugern zusätzlich getragenen Kosten in der Regel erst mittel- bis langfristig an die Verbraucher weitergereicht werden können“. 

Die Folgerung ist laut Consentec klar: „Die Argumente gegen eine starke Belastung von Stromerzeugern mit Netzverlustentgelten überwiegen nach unserer Auffassung deutlich die zuvor genannten Argumente für eine solche Kostenallokation.“