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Entscheidungshilfe für Energiegemeinschaften

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Im Auftrag von Oesterreichs Energie haben Fachleute der Technischen Universität Graz einen Algorithmus entwickelt, der auch unter komplexen Bedingungen die faire Verteilung von Energie ermöglicht.

PV-Anlage auf Dächer
© KWG/OTS

Im Energiesystem der Zukunft sollen sie eine wesentliche Rolle spielen: Gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen (GEA), Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (EEG) und Bürgerenergiegemeinschaften (BEG), die, grob gesprochen, Privatpersonen sowie Unternehmen ermöglichen, Energie zu erzeugen und gemeinsam zu nutzen. Eine der wesentlichsten Herausforderungen dabei ist die Energieverteilung. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Teilnehmer mehreren Gemeinschaften angehören. Methoden dafür untersuchte die Leiterin des Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation (IEE) der Technischen Universität Graz, Sonja Wogrin, mit ihren Assistenten Lia Gruber und Thomas Klatzer im Auftrag von Oesterreichs Energie. Ihnen gelang es, einen Algorithmus zu entwickeln, der die Kriterien der Lösbarkeit, Komplexität, Verständlichkeit und Fairness erfüllt. Dieser sollte daher bei der weiteren Ausgestaltung der Regeln für die Mehrfachbeteiligung an Energiegemeinschaften berücksichtigt werden. Seit kurzem liegt der diesbezügliche Bericht vor.

PV-Anlage auf Dächer
© TIGER Coatings / OTS

Zur Erinnerung: Laut dem Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG) seien GEA „Erzeugungsanlagen, die elektrische Energie zur Deckung des Verbrauchs der teilnehmenden Berechtigten erzeugen“. Eine EEG wiederum sei „eine Rechtsperson, die es ermöglicht, die innerhalb der Gemeinschaft erzeugte Energie gemeinsam zu nutzen; deren Mitglieder oder Gesellschafter müssen im Nahebereich angesiedelt sein“. Als BEG schließlich definiert das ElWOG „eine Rechtsperson, die elektrische Energie erzeugt, verbraucht, speichert oder verkauft, im Bereich der Aggregierung tätig ist oder Energiedienstleistungen für ihre Mitglieder erbringt und von Mitgliedern bzw. Gesellschaftern kontrolliert wird“. Energieunternehmen dürfen bekanntlich weder an EEG noch an BEG teilnehmen. Sehr wohl gestattet ist ihnen jedoch, Dienstleistungen im Zusammenhang mit Energiegemeinschaften zu erbringen. Außerdem spielen die jeweiligen Verteilnetzbetreiber eine wesentliche Rolle bei der Energieverteilung und bei der Abrechnung. Angesichts der Komplexität der Prozesse ist die Professionalität der Energie- und insbesondere der E-Wirtschaft immer häufiger gefragt.

Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts mit Oesterreichs Energie erstellten die Fachleute der TU zunächst ein mathematisches Modell, das die Mehrfachbeteiligung an Energiegemeinschaften beschreibt und entsprechende Simulationen möglich macht. In einem zweiten Schritt entwickelten sie Lösungsalgorithmen hinsichtlich des Modells, die sie in einem dritten Schritt umfassend testeten und analysierten. Insgesamt untersuchten sie zwölf verschiedene Fälle mit zwei Szenarien, nämlich der Teilnahme an mehreren unterschiedlichen Energiegemeinschaften sowie der Teilnahme an mehreren gleichartigen Energiegemeinschaften. „Die Fälle stellen die verschiedenen Stufen der Komplexität dar, die mit der Mehrfachbeteiligung verbunden sind. Es beginnt damit, dass nur ein Erzeuger oder Verbraucher an mehreren Energiegemeinschaften teilnimmt (Fälle 1-2 und 3-4), und steigert sich bis zur Teilnahme mehrerer Erzeuger und Verbraucher an mehreren Gemeinschaften (Fall 12)“, heißt es in dem Bericht.
 

Komplexe Berechnungen

Bei der mathematischen Formulierung des Modells waren die Eigenheiten der GEA und EEG einerseits sowie der BEG andererseits ebenso zu berücksichtigen wie statische und dynamische Arten der Energieverteilung. Unter anderem in Betracht gezogen wurden die Anzahl und Art der Teilnehmenden, der prozentuelle Anteil an Anlagen bei statischer Verteilung, die Zugehörigkeit der Teilnehmenenden zu einer oder mehreren Energiegemeinschaften, die Art der Energiegemeinschaften, die Gesamterzeugung in Kilowattstunden (kWh) aus elektrischen Anlagen pro Erzeugungsanlage und Zeiteinheit sowie der Gesamtverbrauch pro Verbraucher und Zeiteinheit in kWh. Zu berechnen waren jeweils folgende Variablen: die Aufteilung der Erzeugung pro Erzeugungsanlage und Zeiteinheit je Energiegemeinschaft in kWh, die Zuordnung des Gesamtverbrauches pro Verbrauchsanlage und Zeiteinheit je Energiegemeinschaft, der Energiefluss zwischen den jeweiligen Energiegemeinschaften, die Einspeisung ins Netz durch die Lieferanten je Energiegemeinschaft und Zeiteinheit in kWh sowie der Bezug aus dem Netz durch Lieferanten je Energiegemeinschaft und Zeiteinheit in kWh.

Zusätzlich ist dieser Lösungsalgorithmus prognosefähig durch die prozentuelle Vor­verteilung von Verbrauch/Produktion.

Die unterschiedlichen Fälle hinsichtlich der Teilnahme an den GEA, EEG und BEG werden in dem Bericht wie folgt beschrieben: „Einfache Fälle sind solche, in denen nur eine Einheit (Verbraucher oder Produzent) in zwei oder mehr als zwei Gemeinschaften gleichzeitig Mitglied ist. Die nächste Stufe der Komplexität liegt vor, wenn ein einziger Produzent und ein einziger Konsument Mitglied mehrerer Gemeinschaften sind. In den Fällen 7-10 gibt es mehrere Verbraucher oder Produzenten in zwei oder mehr EGs. Am schwierigsten sind die Fälle 11 und 12, in denen mehrere Produzenten und mehrere Konsumenten gleichzeitig an mehreren EGs teilnehmen.“
 

Vier Systeme

Zur Lösung des Problems der Energieverteilung entwickelten die Fachleute vier Entscheidungssysteme mit entsprechenden Algorithmen. Das erste davon beinhaltet keine Vorgaben hinsichtlich der Priorisierung der Zuteilung: „Hier ist die Willkürlichkeit, in welcher Gemeinschaft die Energie zuerst verteilt wird, der maßgebende Faktor.“ Zwar konnte der Algorithmus für sämtliche zwölf Fälle Lösungen ermitteln. Das Problem ist allerdings: „Die Reihenfolge, in der die Gemeinschaften abgearbeitet werden, hat großen Einfluss auf das Ergebnis. Eine andere Reihenfolge wird in den meisten Fällen ein anderes Ergebnis zur Folge haben. Das macht diesen Lösungsansatz nicht nachvollziehbar für die Kunden.“ Dazu komme, dass der Algorithmus wegen der zufälligen Reihenfolge der Energiezuteilung „nicht prognosefähig“ sei. Die Kunden wüssten damit nicht, was sie zu erwarten hätten.

Das zweite System geht von fixen Priorisierungen der Zuteilung aus. Jeder Verbraucher und Erzeuger muss beim Beitritt in die Energiegemeinschaft angeben, an welche andere Gemeinschaft die von ihm erzeugte überschüssige bzw. im Fall des Verbrauchers gerade nicht benötigte Energie weitergegeben werden soll. Dies ist unproblematisch, solange in jeder Energiegemeinschaft nur ein Erzeuger oder Verteiler auch an anderen Energiegemeinschaften beteiligt ist: „Nachdem in der ersten Gemeinschaft die Energie verteilt wurde, wird im Fall einer Verbraucher-Mehrfachteilnahme der Restnetzbezug und im Fall einer Erzeuger-Mehrfachteilnahme der Überschuss an die nächste Gemeinschaft weitergegeben. Danach wird die Energie in der zweiten Gemeinschaft verteilt, die dann die Information wieder zur nächsten Gemeinschaft oder zum Lieferanten weitergibt. Dies ist mit jeder Priorisierung möglich.“ Sind jedoch in einer Energiegemeinschaft beispielsweise ein Erzeuger und ein Verbraucher auch Mitglieder anderer Energiegemeinschaften, kann der Algorithmus keine Lösung ermitteln, wenn nicht der Erzeuger wie auch der Verbraucher dieselbe andere Gemeinschaft priorisieren.

Der Vorteil dieses Systems ist seine „Netzdienlichkeit“: Es sorgt dafür, dass die erzeugte Energie, soweit möglich, lokal verbraucht wird.

Das dritte System ist hierarchisch strukturiert. Zuerst arbeitet der Algorithmus die GEAs ab, dann die EEGs und schließlich die BEGs. Der Vorteil dieses Systems ist seine „Netzdienlichkeit“: Es sorgt dafür, dass die erzeugte Energie, soweit möglich, lokal verbraucht wird. Solange kein Erzeuger oder Verbraucher an mehreren gleichartigen Gemeinschaften teilnimmt, ist die Zuteilung der Energie kein Problem. Nimmt jedoch auch nur ein Erzeuger oder Verbraucher beispielsweise an zwei EEGs teil, besteht zwischen diesen keine Hierarchie. Der Algorithmus kann somit nicht entscheiden, welcher der EEGs die Energie zuzuteilen ist. Entweder müsste somit ein weiterer Algorithmus zugeschaltet werden, der diese Entscheidung trifft. Dies würde die Komplexität der Berechnungen stark erhöhen und das System für die Kunden intransparenter machen. Die Alternative bestünde darin, rechtlich festzulegen, dass ein Erzeuger bzw. Verbraucher nur an mehreren unterschiedlichen Energiegemeinschaften teilnehmen darf.

Im vierten System mit der Bezeichnung „Verteilter Verbrauch / Verteilte Produktion“ schließlich müssen die Erzeuger und Verbraucher angeben, wie viel Prozent ihrer Erzeugung bzw. ihres Verbrauchs welcher der Gemeinschaften zuzuweisen ist, an denen sie teilnehmen. Festgelegt wird also nicht die Reihenfolge der Energiezuteilung, sondern der zuzuweisende Anteil. Damit sind sämtlichen Gemeinschaften ihre Eingangsparameter bekannt. Aufgrund dessen können sie ihre eigene Energieverteilung berechnen. „Zusätzlich ist dieser Lösungsalgorithmus prognosefähig durch die prozentuelle Vorverteilung von Verbrauch/Produktion“, heißt es in dem Bericht. Das Resümee: „Die Empfehlung, die aus dieser Studie hervorgeht, ist, den vierten Lösungsalgorithmus ‚Verteilter Verbrauch‘ in das juristische Regelwerk für die Mehrfachteilnahme an Energiegemeinschaften als präferierten Ansatz aufzunehmen.“