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Aktualisierung des theoretischen Wasserkraftpotenzials in Österreich

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Im Auftrag von Oesterreichs Energie haben Experten von AFRY Austria das theoretische Wasserkraft­potenzial in Österreich mithilfe von aktualisierten hydrologischen und topografischen Daten neu abgeschätzt.

Wasserkraftwerk Ybbs-Persenbeug: Mehr als ein Drittel des Rohpotenzials ist entlang von Donau und Inn
sowie ihrer seitlichen Zubringer verortet.

Das Wasserkraftpotenzial beschreibt grundsätzlich die potenziell mögliche Energieerzeugung aus Wasserkraft in einem bestimmten Gebiet. Für die Berechnung sind Kenntnisse des Abflusses in den Flüssen sowie der Höhendifferenzen entlang der Flüsse nötig. Je nach Berücksichtigung von möglichen Energieverlusten und möglicherweise ausgeschlossenen Fließstrecken gibt es verschiedene Definitionen des Wasserkraftpotenzials. Eine Studie zum Wasserkraftpotenzial im gesamten österreichischen Bundesgebiet wurde erstmals im Jahr 1982 unter der Federführung des Verbunds erstellt. Diese Studie wurde von Pöyry (heute AFRY Austria) in den Jahren 2008 und 2018 aktualisiert. Dabei wurde sowohl das theoretische Linienpotenzial als auch das technische Rohpotenzial (Linienpotenzial netto), bei dem der Anlagenwirkungsgrad berücksichtigt wird, abgeschätzt. Basierend darauf erfolgte eine Bestimmung des technisch-wirtschaftlichen Potenzials, also jenes Potenzial, das aus technischer und wirtschaftlicher Sicht nutzbar erscheint. Ermittelt wurden dabei das Gesamtpotenzial, welches zu großen Teilen bereits genutzt wird, sowie das zukünftig noch nutzbare Restpotenzial. In der letzten Aktualisierung aus dem Jahr 2018 wurde für das technische Rohpotenzial ein Jahresarbeitsvermögen von ca. 75 TWh geschätzt. Für das technisch-wirtschaftliche Gesamtpotenzial wurde ein Wert von 56 TWh ermittelt, wobei das nutzbare Restpotenzial mit ca. 11 TWh beziffert wurde. Restpotenziale in sensiblen Gebieten wie Nationalparks und Welterbestätten (z. B. Wachau) wurden dabei nicht einberechnet.

Die genannten früheren Studien und ihre Aktualisierungen beruhen alle auf ähnlichen Ausgangsdaten und auf der gleichen Datenstruktur. Diese umfasst eine Tabelle aller wesentlichen Fließgewässer in Österreich, die weiter in Gewässerabschnitte unterteilt wurden. Jedem Abschnitt wurden dabei ein bestimmter Mittelwasserdurchfluss und eine bestimmte Brutto-Fallhöhe zugeordnet. Diese dienten als Basis für die Berechnung der verschiedenen Potenzialgrößen. Dabei galten allerdings auch einige Einschränkungen: Gewässer, die an ihrer Mündung einen Mittelwasserdurchfluss von weniger als 1 m³/s aufwiesen, wurden beispielsweise nicht erfasst.

Außerdem wurden einige Randgebiete, die für größere und mittlere Wasserkraftanlagen als ungeeignet erschienen (z. B. die Einzugsgebiete von Moldau, Raab, Thaya, aber auch einige kleinere Einzugsgebiete an der Grenze zu Bayern) nicht in die Potenzialabschätzungen einbezogen. Aus Gründen der Konsistenz mit früheren Studien wurden diese Einschränkungen auch in die Aktualisierungen 2008 und 2018 übernommen.


Mittlerer Abfluss im Gewässernetz

Ziel der nun im Jahr 2023 durchgeführten Analyse war es, eine lückenlose Studie für ganz Österreich zu erstellen und dabei flächige hydrologische und topografische Daten zu verwenden. Anders als 1982 liegen diese Daten heute als digitale Karten vor und können mit Geoinformationssystemen (GIS) rasch und effizient verarbeitet werden. Konkret wurde der mittlere Abfluss im Gewässernetz aus dem digitalen hydrologischen Atlas von Österreich entnommen und die Fallhöhen entlang der Gewässer aus dem digitalen Höhenmodell des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen (BEV) abgeleitet. Die Bestimmung des Wasserkraftpotenzials entlang der betrachteten Gewässerlinien erfolgte mit GIS-basierten Algorithmen. Betrachtet wurden in einem ersten Schritt alle Gewässerabschnitte, die einen mittleren Durchfluss von 1 m³/s aufweisen. In einem zweiten Schritt wurde dieser Schwellenwert auf 0.1 m³/s gesenkt und damit auch kleinere Gewässer mitberücksichtigt.

Für den Schwellenwert von 1 m³/s ergaben die GIS-basierten Analysen ein technisches Rohpotenzial von ca. 82 TWh. Der Zuwachs gegenüber dem Rohpotenzial aus früheren Studien (75 TWh) erklärt sich dabei größtenteils durch die Verwendung von höher auflösenden hydrologischen und topografischen Daten sowie in geringerem Maß auch durch die Einbeziehung der früher nicht berücksichtigten Randgebiete. Reduziert man den Schwellenwert auf 0.1 m³/s, erhöht sich das Rohpotenzial auf rund 100 TWh. Etwa 20 % des österreichischen Wasserkraftrohpotenzials liegen also in kleineren Gewässern, die in den bisherigen Studien nicht vollständig berücksichtigt wurden. Diese Gewässer befinden sich zum überwiegenden Teil in höheren Lagen, teilweise auch oberhalb der Fischregionen. Aus technischer Sicht könnte ihr Potenzial beispielsweise durch Kleinwasserkraftanlagen oder durch Beileitungen zu größeren Kraftwerken genutzt werden.

Betrachtet man die Verteilung des Rohpotenzials auf die Einzugsgebiete der größeren Flusssysteme, so lässt sich feststellen, dass mehr als ein Drittel des Rohpotenzials entlang von Donau und Inn sowie ihrer seitlichen Zubringer verortet ist. Ein weiteres Drittel des Rohpotenzials befindet sich in den Einzugsgebieten von Drau, Salzach und Enns. Der Rest verteilt sich auf die Einzugsgebiete von Mur, Lech und anderen kleineren Flüssen. Beträchtliche Anteile des Rohpotenzials werden bereits genutzt, es befinden sich in allen Flusssystemen aber auch noch ungenutzte Gewässerabschnitte, deren Ausbau zumindest theoretisch in Betracht gezogen werden könnte.

Die durchgeführten GIS-basierten Auswertungen beruhen auf automatischen Berechnungsansätzen und sind als vereinfachte Abschätzungen zu verstehen. In den nördlichen und südlichen Kalkalpen mit eher tiefliegenden Quellhorizonten werden die Abflüsse in höheren Lagen und damit auch das Wasserkraftpotenzial möglicherweise überschätzt. Umgekehrt gibt es aber auch Regionen, in denen der GIS-basierte Ansatz das Wasserkraftpotenzial in höheren Lagen vermutlich deutlich unterschätzt. Das gilt insbesondere für Gebirgsregionen, in denen es eine starke Zunahme des Niederschlags mit der Seehöhe gibt. Diese ist in den regionalisierten Abflussdaten des hydrologischen Atlas nicht in vollem Umfang berücksichtigt. In diesen Regionen sind die aktualisierten Abschätzungen des technischen Rohpotenzials daher immer noch zu konservativ. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass der berechnete Gesamtwert des technischen Rohpotenzials von ca. 100 TWh realistisch ist und verglichen mit früheren Studien einen verbesserten Richtwert darstellt.

Es ist weiters davon auszugehen, dass sich aus der Steigerung des Rohpotenzials um mehr als 20 % auch eine Erhöhung des technisch-wirtschaftlichen Restpotenzials ergibt. Zu dieser Erhöhung tragen auch zusätzliche Optimierungspotenziale im Kraftwerksbestand bei, deren Wirtschaftlichkeit früher sehr vorsichtig bewertet wurde. Die Erfahrungen der letzten Jahre und die veränderte Strommarktsituation zeigten allerdings, dass viele geplante bzw. ausgeführte Anlagenoptimierungen durchaus wirtschaftlich darstellbar sind.

Im Zuge der aktuellen Studie wurde nur das Rohpotenzial untersucht. Für eine aktualisierte Abschätzung des technisch-wirtschaftlichen Restpotenzials wären neben den erhöhten Rohpotenzialen auch die zukünftig erwartbaren Ausbau- und Optimierungsgrade zu berücksichtigen. Vorbehaltlich dieser genaueren Analysen erscheint eine Erhöhung des Restpotenzials um 10 % bis 20 % durchaus realistisch.