Abschätzung der Kostenwirkung einer zunehmenden Verkabelung von 110-kV-Leitung
Das österreichische 110-kV-Netz ist heute mit Ausnahme von städtischen Gebieten nahezu vollständig als Freileitungsnetz aufgebaut und wird praktisch ausschließlich mit Erdschlusskompensation betrieben. Im Rahmen von Aus- und Umbaumaßnahmen im 110-kV-Netz werden in jüngerer Zeit vermehrt Forderungen nach einer Verkabelung auch auf der 110-kV-Ebene erhoben. Auch in anderen Ländern gibt es Verkabelungsbestrebungen der 110-kV-Ebene, wie z. B. in der Schweiz und Dänemark. In Dänemark ist allerdings die im Jahr 2009 von der Politik gefällte Entscheidung, die 132- und 150-kV-Netze langfristig praktisch vollständig zu verkabeln, nach einigen Jahren der Umsetzung in Teilen wieder zurückgenommen worden, u. a. um die Tarifsteigerungen, die durch die teurere Erdverlegung entstanden sind, zu begrenzen.
Oesterreichs Energie (OE) hat Consentec daher damit beauftragt, die infolge einer vermehrten Verkabelung in Österreich zu erwartenden direkten, das heißt auf die jeweiligen Trassen oder Leitungsabschnitte bezogenen, und indirekten Mehrkosten, die infolge eines systembedingten Anpassungsbedarfs entstehen, näherungsweise zu quantifizieren. Hierzu werden in der Studie modellgestützt die Kosten für zwei Szenarien mit deutlich unterschiedlichen Verkabelungsgraden („Referenz“ und „ambitionierte Verkabelung“) und hieraus die mit der verstärkten Verkabelung verbundenen Mehrkosten abgeschätzt.
Entwicklung des Verkabelungsgrads im Szenario „ambitionierte Verkabelung“
Im Szenario „ambitionierte Verkabelung“ sinkt die Freileitungssystemlänge entsprechend den Vorgaben kontinuierlich ab, während der Verkabelungsgrad binnen 10 Jahren auf gut 20% und bis 2050 auf ca. 45% ansteigt. Mit einem etwa hälftigen Anteil tragen Netzerweiterungen nennenswert zur Menge der Erdkabellänge bei. Allerdings steigt allein durch die Verkabelung von Bestandstrassen die Gesamttrassenlänge um ca. 600 km und die Systemlänge um ca. 1.200 km bis 2050 an, bedingt durch erforderliche Umwege und zusätzliche Leitungen aus Zuverlässigkeitsgründen.
Ergebnisse direkte Mehrkosten
Beim Referenzszenario ergibt sich ein Investitionsbedarf infolge von Ersatz- und Erweiterungsmaßnahmen zwischen knapp 110 Mio. €/a und 125 Mio. €/a. Die Bandbreite bei den Kosten ergibt sich aus der Bandbreite der angenommenen spezifischen Kosten für die Erdkabelverlegung. In der Praxis ist damit zu rechnen, dass die Verkabelungskosten innerhalb dieser Bandbreite liegen.
Im Szenario „ambitionierte Verkabelung“ sind jährlich Investitionskosten zwischen 180 Mio. € und 335 Mio. € zu erwarten, sodass gegenüber dem Referenzszenario Mehrkosten in Höhe von 70 Mio. €/a bis 210 Mio. €/a entstehen. Kumuliert bis zum Ende des Betrachtungszeitraums im Jahr 2050 ergibt sich eine Mehrkostenbandbreite von 2,2 Mrd. € bis 6,4 Mrd. €. Im Vergleich mit der im Referenzszenario zu erwartenden Bandbreite der bis 2050 kumulierten Kosten von 3,3 Mrd. € bis 3,8 Mrd. € erhöhen sich somit die Kosten der 110-kV-Ebene bei „ambitionierter Verkabelung“ auf das 1,6 bis 2,7-fache gegenüber dem Referenzszenario.
Wie bereits wegen der spezifischen Kostenunterschiede zwischen der Verlegung von Erdkabeln und der Errichtung von Freileitungen zu erwarten war, muss bei einer Entwicklung hin zu einem deutlich steigenden Verkabelungsgrad mit signifikanten Mehrkosten gerechnet werden. Selbst ohne Berücksichtigung von Netzerweiterungsmaßnahmen, deren Umfang naturgemäß nur mit Unsicherheiten abgeschätzt werden kann, ergeben sich bis 2050 kumuliert bereits direkte Mehrkosten, die in der Größenordnung der im Referenzszenario insgesamt anfallenden Investitionskosten liegen. Darüber hinaus sind zur Systemintegration der Erdkabel zusätzliche Maßnahmen erforderlich, die weitere Kosten verursachen.
Ergebnisse indirekte Mehrkosten Indirekte Mehrkosten entstehen dadurch, dass bei „ambitionierter Verkabelung“ Maßnahmen zur Blindleistungskompensation und zur Aufrechterhaltung des Betriebs mit Erdschlusskompensation erforderlich werden. Grundsätzlich könnte alternativ zum Betrieb mit Erdschlusskompensation auch auf Betrieb mit niederohmiger Sternpunkterdung übergegangen werden. Allerdings sind dafür umfangreiche vorbereitende Netzumstrukturierungsmaßnahmen und temporäre Übergangsmaßnahmen erforderlich, die insgesamt dazu führen, dass während des hier betrachteten Zeitraums bis zum Jahr 2050 mit höheren Kosten als bei Aufrechterhaltung des Betriebs mit Erdschlusskompensation zu rechnen ist. Daher wird ein Übergang auf einen Betrieb mit niederohmiger Sternpunkterdung hier nicht weiter betrachtet. Da die spezifischen Kosten der alternativ betrachteten Maßnahme „Einsatz von Trenntransformatoren“ geringer sind als die der weiteren untersuchten Maßnahme „Netztrennung“ und die Studie das Ziel verfolgt, Mehrkosten überschlägig zu quantifizieren, erfolgt die Darstellung der indirekten Mehrkosten ausschließlich für die Maßnahme „Einsatz von Trenntransformatoren“.
Da entsprechend den Annahmen in jedem Betrachtungsjahr eine gleichbleibende Menge Erdkabel errichtet werden, ist die jährliche Investitionshöhe für Kompensationselemente im Betrachtungszeitraum ebenfalls konstant. Diese Kosten für die Ladestromspulen und deren Anbindung betragen gut 10 Mio. €/a. Im Gegensatz dazu steigen die Kosten für Trenntransformatoren schrittweise, jedoch wesentlich zwischen 2025 und 2030 an und erreichen ab 2033 ihr Maximum von ca. 85 Mio. €/a. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Grenzwert für die Erdkabellänge zunächst nur in wenigen Netzgruppen, die bereits heute hohe Erdkabellängen aufweisen, erreicht wird, und erst mit insgesamt zunehmender Erdkabellänge diese Grenze in immer mehr Netzgruppen überschritten wird. Rechnerisch ist ab 2033 in praktisch allen Netzgruppen die Kabelreserve erschöpft, so dass dann jede neue Erdkabelstrecke mittels Trenntransformatoren eingebunden werden muss.
Die indirekten Mehrkosten liegen in ähnlicher Größenordnung wie die direkten Mehrkosten und dürfen daher keinesfalls vernachlässigt werden. Die Gesamtinvestitionskosten bis 2050 liegen im Szenario „ambitionierte Verkabelung“ in einer Bandbreite von ca. 8 Mrd. € bis 12,5 Mrd. € gegenüber gut 3 Mrd. € bis knapp 4 Mrd. € im Referenzszenario. Somit liegen die Mehrkosten in einem Bereich von etwa 4,5 Mrd. € bis knapp 9 Mrd. €.
Auswirkungen auf Tarife Zur Abschätzung der Auswirkungen auf die Netztarife müssen zunächst die im Szenario „ambitionierte Verkabelung“ zu erwartenden zusätzlichen Investitionskosten in Kapitalkosten (CAPEX) umgerechnet werden. Die CAPEX wachsen im Betrachtungszeitraum sukzessive an und liegen im Jahr 2050 zwischen ca. 280 Mio. € und 540 Mio. €.
Die Höhe der jährlichen Netzkosten der österreichischen Verteilnetze (Netzebene 3 bis 7) und der an diese Netzebenen weitergewälzten Übertragungsnetzkosten, die durch an die Netzebenen 3 bis 7 angeschlossenen Netzkunden zu tragenden sind, beträgt heute ca. 1,8 Mrd. €. Die infolge der Mehrkosten im Szenario „ambitionierte Verkabelung“ am Ende des Betrachtungszeitraums (2050) entstehenden zusätzlichen CAPEX liegen somit zwischen 16% und 30% der heutigen jährlichen Netzkosten. Wird davon ausgegangen, dass die zusätzlichen CAPEX die Erlöse in gleichem Umfang erhöhen, resultieren über alle Netzebenen durchschnittliche Tarifsteigerungen in gleicher Höhe (16% bis 30%). Da die CAPEX erst sukzessive anwachsen, nehmen entsprechend auch die Tarifsteigerungen erst schrittweise zu.
Diese überschlägige Betrachtung bildet die Kostenwälzung bei der Netztarifierung nicht ab. Auch ohne deren explizite rechnerische Berücksichtigung lässt sich aber feststellen, dass die Tarife in den höheren Netzebenen – und zwar v. a. in der 110-kV-Ebene – stärker ansteigen werden als in den unteren Netzebenen. Daher wären bei Umsetzung des Szenarios „ambitionierte Verkabelung“ für Haushaltskunden etwas geringere Tarifsteigerungen – voraussichtlich im einstelligen Prozentbereich – zu erwarten, für Industriekunden insbesondere auf der 110-kV-Ebene hingegen höhere Tarifsteigerungen im deutlich zweistelligen Prozentbereich, was sich negativ auf die Attraktivität des Standorts Österreich für Industrieunternehmen auswirken kann. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der sich im Szenario „ambitionierte Verkabelung“ langfristig im Mittel einstellende Verkabelungsgrad von ca. 75% zum Ende des Betrachtungszeitraums noch nicht erreicht ist, sodass auch nach 2050 bei weiter zunehmender Verkabelung von Freileitungen weiter steigende CAPEX und entsprechend zunehmende Tarife zu erwarten sind.