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Wie lastflussbasierte Marktkopplung funktioniert – und was verbessert werden muss

Ein Algorithmus mit dem Namen  EUPHEMIA soll den grenzüber­schreitenden Stromhandel in Zentral-­ und Westeuropa optimieren.  Wie effizient ist das Instrument?  Und: Bringt es die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Strombinnenmarktes tatsächlich voran?  Eine Studie im Auftrag von Oesterreichs Energie gibt Antworten. 

Die lastflussbasierte, grenzüberschreitende Day-Ahead-Marktkopplung  (Flow-Based Market Coupling, FBMC) ist seit mehreren Jahren im Stromhandel der Marktregion Zentral- und Westeuropa (CWE, bestehend aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich) etabliert.

Im grenzüberschreitenden Stromhandel regelt ein Algorithmus die lastflussbasierte Day-Ahead-Marktkopplung. Dieser koordiniert die Kapazitäten, und das liefert als Ergebnis die Preise für die einzelnen Gebotszonen.

Die resultierenden Preise sind für Erzeuger, Lieferanten, Stromhändler und Verbraucher das wesentliche Marktsignal. Von CWE soll sie in letzter Konsequenz auf die gesamte Europäische Union sowie auf den untertägigen Handel mit elektrischer Energie, den Intraday-Handel, ausgedehnt werden. Das Ziel des FBMC besteht darin, die Kapazitäten der grenzüberschreitenden Leitungen in ganz Europa optimal auszunutzen und so die Entwicklung des europäischen Strombinnenmarktes wesentlich voranzubringen. Wegen immer wieder auftretender Kritik von Marktteilnehmern am FBMC beauftragte Oesterreichs Energie die Österreichische Energieagentur mit einer Untersuchung des gegenwärtigen Standes des FBMC sowie mit der Erstellung von Vorschlägen für dessen mögliche Verbesserung im Hinblick auf Transparenz. Seit kurzem liegt der diesbezügliche Endbericht mit dem Titel „Mehr Transparenz für den Stromhandel im Flow-Based Market Coupling – Barrieren, Lösungen und Schlüsselindikatoren“ vor. In diesen flossen auch die Erfahrungen österreichischer Marktteilnehmer ein, die die Österreichische Energieagentur erhob. 

Was bedeutet  Market Coupling?


In ihrer Studie für Oesterreichs Energie beschreibt die österreichische Energieagentur Market Coupling als „das Verfahren zur effizienten Nutzung der begrenzten Übertragungskapazitäten zwischen verschiedenen Gebotszonen. Die Organisation der Marktkopplung übernehmen die Übertragungsnetzbetreiber und die Strombörsen gemeinsam“. Lastflussbasiert („flow-based“) ist das Market Coupling, wenn es sich an den physikalischen Stromflüssen (Lastflüssen) im Übertragungsnetz orientiert. 

Wie die Österreichische Energieagentur erläutert, unterscheide sich das FBMC von anderen Methoden zur Kapazitätsberechnung und -optimierung, wie etwa dem bekannten Net-Transfer-Capacity-Verfahren (NTC-Verfahren). Im Rahmen des FBMC identifizieren die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) zunächst die Kapazität jener technischen Elemente im Netz, die den grenzüberschreitenden Handel besonders limitieren („Pre-Coupling“). Damit bestimmen sie den Lösungsraum für die Berechnungen im eigentlichen Marktkopplungsprozess, dem „Coupling“. Diese Berechnungen erfolgen mit dem Algorithmus EUPHEMIA (EU Pan-European Hybrid Electricity Market Integration Algorithm), der von den europäischen Strombörsen betrieben wird. Als Grundlage nutzt EUPHEMIA neben den von den ÜNB ermittelten Übertragungskapazitäten die Gebote der Händler, die von den Strombörsen übermittelt werden. Überdies berücksichtigt der Algorithmus neben den physikalischen Rahmenbedingungen auch regulatorische Einschränkungen auf nationaler und europäischer Ebene. Auf dieser Basis ermittelt EUPHEMIA, welche Handelstransaktionen am jeweiligen Folgetag möglich sind, um europaweit eine „Wohlfahrtsoptimierung“, d. h. ein „volkswirtschaftliches Optimum“ zu erzielen. Übersetzt bedeutet dies, dass der Algorithmus vor dem Hintergrund dieser Restriktionen versucht, möglichst viel Handel zuzulassen.  
Der Code von EUPHEMIA ist nicht öffentlich zugänglich. Eine Dokumentation mit seinen grundlegenden Eigenschaften steht jedoch zur Verfügung. 
 

Optimierung in Systemgrenzen 

Laut der Österreichischen Energieagentur optimiere EUPHEMIA täglich die nutzbaren Übertragungskapazitäten und damit die Wohlfahrt, allerdings „nur innerhalb der vorgegebenen Systemgrenzen. Kosten, die im Algorithmus nicht definiert wurden, aber in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kapazitätsvergabe stehen – wie beispielsweise Engpassmanagementkosten – werden bei der Berechnung der optimalen Zuweisung der knappen Übertragungskapazitäten nicht berücksichtigt.“ Überdies beziehen sich die Berechnungen ausschließlich auf den Day-Ahead-Markt.

Was sind FAIR-Prinzipien?


Die FAIR-Prinzipien sind allgemein anerkannte wissenschaftliche Standards für die Bereitstellung von Daten. Nach diesen Prinzipien sollen Daten auffindbar (findable), zugänglich (accessible), interoperabel (interoperable) sowie wiederverwendbar (reusable) sein. Dies gewährleistet die größtmögliche Transparenz der Ergebnisse von Forschungs- bzw. Berechnungsprozessen. 

Für eine gesamthafte Betrachtung des volkswirtschaftlichen Optimums wäre es laut Österreichischer Energieagentur theoretisch erforderlich, den „Strommarkt in seiner Gesamtheit ab(zu)bilden“, also etwa den Handel auf dem Intraday-Markt und auf dem Regelreservemarkt sowie die Kosten für das Engpassmanagement zu berücksichtigen. Dies ist vor allem für Diskussionen zum zukünftigen Marktdesign ein Thema. Eine direkte Möglichkeit für die Steigerung der Wohlfahrt bestehe nach Auffassung der Österreichischen Energieagentur in der „Verringerung von Such- und Transaktionskosten durch eine erhöhte Transparenz im FBMC“.

Darüber hinaus weist die Österreichische Energieagentur auf die „Doppelfunktion“ der Übertragungsnetzbetreiber hin: Sie würden wesentliche Daten für die Berechnungen von EUPHEMIA liefern und seien gleichzeitig „wirtschaftlicher Akteur im Rahmen der Grenzkapazitätsbewirtschaftung“. Somit würden sie „in unterschiedlichen Rollen an zentralen Stellen Einfluss auf den lastflussbasierten Marktkopplungsprozess“ nehmen. Dies erfolgt unter anderem durch ihre Entscheidungen zu allfälligen Engpassmanagementmaßnahmen nach dem tagesaktuellen Marktkopplungsprozess („Post-Coupling“). Einerseits entstehen den ÜNB durch das FMBC Kosten, etwa aufgrund von Maßnahmen für das Engpassmanagement. Andererseits können sie Eröse erzielen, beispielsweise durch die Abgeltungen, die sie für die Abwicklung der grenzüberschreitenden Handelstransaktionen erhalten. „Diese Situation ist mit ein Grund für die Forderung nach mehr Transparenz im FBMC“, stellt die Österreichische Energieagentur fest.

Was ist das Joint Allocation Office?


Das JAO ist ein 2015 gegründetes Dienstleistungsunternehmen mit Sitz in Luxemburg, das die Auktionierung der Übertragungskapazitäten auf den grenzüberschreitenden Stromleitungen organisiert. Seine Inhaber sind 25 europäische Übertragungsnetzbetreiber, darunter die deutsche Tennet, die österreichische Austrian Power Grid (APG), die ungarische MAVIR, die italienische Terna und die französische RTE. Das JAO entstand durch die Fusion des Central Allocation Office (CAO) und der CASC.EU S.A., die die Kapazitätsauktionen zuvor organisiert hatten. Näheres unter www.jao.eu.

Barrieren für den Handel

Aufgrund ihrer Analyse der öffentlich zugänglichen Dokumente und Datensätze zum FBMC „sowie Umfragen und Workshops mit Marktteilnehmern und Rückfragen bei relevanten Stakeholdern“ konstatiert die Österreichische Energieagentur, dass sich der Prozess des FBMC nicht „mit vertretbarem Aufwand“ nachvollziehen lasse. Insbesondere sieht sie folgende „Barrieren“, die die Transparenz behindern würden: 
Aktuelle Versionen wesentlicher Dokumente seien nur mit „unverhältnismäßig hohen Such- und Transaktionskosten auffindbar“. Der Österreichischen Energieagentur zufolge würden eine Reihe von Plattformen und Websites mit teils ähnlichen Informationen existieren, die aber unterschiedlich strukturiert seien und nur mangelhafte Such- und Übersichtsfunktionen bieten würden. „Auch die Bezeichnung und Struktur der Dokumente, Versionierung, Angaben zur Aktualität usw. zeigen hohes Verbesserungspotenzial auf und entsprechen nicht den gängigen Standards. Zusammen mit dem Fehlen konsolidierter Fassungen wichtiger Dokumente stellt dies eine massive Einschränkung der Transparenz dar“, kritisiert die Österreichische Energieagentur.

Auch innerhalb einer für das FBMC zentralen Plattform wie JAO (Joint Allocation Office) liegen nicht alle Daten an einem Zugriffspunkt vor.“

Überdies würden wesentliche Infor-mationen nicht an alle Marktteilnehmer „in gewünschtem Ausmaß“ kommuniziert. 

Wie groß ist der Markt?


Der Österreichischen Energieagentur zufolge liege das tägliche Handelsvolumen in der Day-Ahead-Marktkopplung (Flow-Based Market Coupling) in der Marktregion Zentral- und Westeuropa (CWE) bei rund 1.500 Terawattstunden (TWh). Das entspricht etwa dem 21-Fachen des jährlichen Stromverbrauchs in Österreich. Der damit erwirtschaftete Umsatz beläuft sich auf etwa 200 Millionen Euro täglich.

Dies erschwere der Österreichischen Energieagentur zufolge insbesondere kleineren sowie neuen Teilnehmern den Zugang zum Markt und sei für diese ein wesentlicher Wettbewerbsnachteil. Ausdrücklich konstatiert die Österreichische Energieagentur: Ein „Level Playing Field“ bestehe nicht. 

Weiters sei die laufende Beurteilung der Qualität der von EUPHEMIA ermittelten Lösung „mit (den) derzeit zur Verfügung gestellten Informationen nicht möglich“. Die Ergebnisse ihrer Analyse fasst die Österreichische Energieagentur so zusammen: 
„Transparenz bedeutet, dass die Nachvollziehbarkeit sowohl der Eingangsparameter als auch der Ergebnisse der Marktkopplung gewährleistet sein soll. Die bloße (unstrukturierte) Zurverfügungstellung von Informationen erzeugt lediglich Scheintransparenz. Die Aufbereitung der Informationen und Daten muss in einer Art und Weise erfolgen, dass mit möglichst geringen Such- und Transaktionskosten 

ein grundlegendes Verständnis für die Marktprozesse, Eingangsparameter und das Marktergebnis erreicht werden kann. Dies ist in einem so komplexen System wie dem FBMC notwendig, um Marktvertrauen, Markteffizienz und systemische Effizienz zu verbessern.“


„One-Stop-Shop“ als Lösung 

Als „optimale Maßnahme zur Förderung der Transparenz“ erachtet die Österreichische Energieagentur die Einrichtung eines „One-Stop-Shops“, also einer Institution bzw. Plattform, die den Marktteilnehmern, den Regulierungsbehörden und anderen interessierten Stakeholdern online den Zugang zu sämtlichen wichtigen Daten und Dokumenten im Zusammenhang mit dem FBMC bietet. Diese sollte online (HTML-basiert) alle Informationen bereitstellen und zusätzlich auch die Möglichkeit beinhalten, die Dokumente in gängigen Formaten (beispielsweise als PDF) herunterzuladen. Zur Verfügung zu stellen seien die aktuellen Versionen in konsolidierter Fassung, aber auch „in einer Art und Weise, die die Entwicklung nachvollziehbar macht“. Für die gesamte Website, aber auch für die einzelnen Dokumente sollten Filter- und Suchfunktionen zur Verfügung stehen. Daten sollten auch maschinenlesbar angeboten werden und mit einem Zeitstempel versehen sein. Zur Darstellung der Prozessabläufe eigne sich ein Flussdiagramm, verlinkt mit der HTML-basierten Beschreibung. „Zur Wissensvermittlung ideal wäre zusätzlich eine Visualisierung der Daten angelehnt an die Network-Map der ENTSO-E mit Zoomfunktion und Querverweisen zu den Datensätzen“, konstatiert die Österreichische Energieagentur. Grundsätzlich habe sich die Bereitstellung der Daten an den sogenannten „FAIR“-Prinzipien zu orientieren. Diesen zufolge sollten Daten auffindbar (findable), zugänglich (accessible), interoperabel (interoperable) sowie wiederverwendbar (reusable) sein.

Ein rascher und leicht verständlicher Marktüberblick lasse sich der Österreichischen Energieagentur zufolge mithilfe einer Reihe von Schlüsselindikatoren (Key Performance Indicators, KPIs) erreichen. Die erste Gruppe der Indikatoren sollte dazu dienen zu verdeutlichen, dass das FBMC anderen Formen der Marktkopplung überlegen sei. Dazu zählt die Österreichische Energieagentur die Preiskonvergenz in jener Region, in der das FBMC angewandt wird, sowie Daten hinsichtlich der Wohlfahrtsoptimierung. Mithilfe der zweiten Indikatorengruppe lasse sich die Performance von EUPHEMIA beurteilen. Zu veröffentlichen sei unter anderem die Zeit, die der Algorithmus zur Ermittlung der finalen Lösung benötige. Die dritte Gruppe von Indikatoren schließlich bietet „Informationen für den Markt“, darunter solche über die verfügbaren Leitungskapazitäten für den Day-Ahead-Handel sowie über die Preisdivergenzen in der Region, für die das FBMC erfolgt. 

Die Etablierung einer solchen „zentralen Transparenzlösung“ entspreche „gerade den Intentionen der Implementierung von EUPHEMIA, nämlich die gesamteuropäische Wohlfahrt zu maximieren“, resümiert die Österreichische Energieagentur.