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Kostenabschätzung für die Verkabelung von 110-kV-Leitungen

Das deutsche Beratungsunter­nehmen Consentec hat im Auftrag von Oesterreichs Energie in einer Studie ermittelt, welche Kosten­wirkungen aus den technischen Herausforderungen der Erdver­kabelung von 110-kV-Leitungen entstehen. 

Oftmals wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob Stromnetze besser als sichtbare Freileitungen oder als unsichtbare Erdkabelverbindungen ausgeführt werden sollen. 

Kabelrolle
Studie: In Abwägung der technischen Lösungsvarianten sind die entstehenden Kosten
beim Einsatz von Trenntransformatoren am geringsten. © AdobeStock/Edler von Rabenstein

Oesterreichs Energie ließ daher zwei Studien erstellen, die sich mit genau diesen Fragen befassen. Die technischen Aspekte bearbeiteten Experten der Technischen Universität Graz. Ihre Erkenntnisse wurden in der „Strom Linie“ II/2020 zusammengefasst. Die Quintessenz: Die massive Forcierung und Einbindung von Erdkabeln wäre bei der bestehenden Betriebsweise ohne aufwendige, zusätzliche Maßnahmen nicht möglich. 

Das deutsche Beratungsunternehmen Consentec, das auf ingenieurwissenschaftliche und wirtschaftliche Fragestellungen im Bereich der Strom- und Gasversorgung spezialisiert ist, hat eine „Abschätzung der Kostenwirkung einer zunehmenden Verkabelung von 110-kV-Leitungen“ erstellt. Das Ergebnis fällt deutlich aus: Eine ambitionierte Verkabelung des 110-kV-Stromnetzes verursacht gegenüber der Beibehaltung des bisherigen sehr geringen Verkabelungsgrades bis zum Jahr 2050 Mehrkosten in Milliardenhöhe. Abhängig von den gesetzten Rahmenbedingungen reicht die Mehrkostenspanne von rund 4,5 bis rund 9 Milliarden Euro. 


Notwendigkeit des Netzausbaus unbestritten

Damit die österreichischen Stromnetze die Herausforderungen der Zukunft meistern können, sind nachhaltige Investitionen in den Netzausbau erforderlich. Die breite Öffentlichkeit hat die Notwendigkeit dieses Netzausbaus erkannt, in Diskussion steht in der Regel aber die Art des Leitungsbaus – Erdkabel oder Freileitung. Sichtbar oder unsichtbar. 

Die Consentec-Studie soll eine objektiv belastbare Grundlage für künftige Entscheidungen bilden. Es wird zwischen zwei verschiedenen Kostenwirkungen unterschieden:

  • direkte Kostenwirkung: Kosten, die auf eine konkrete Trasse bzw. einen konkreten Leitungsabschnitt bezogen sind
  • indirekte Kostenwirkung: Kosten, die durch einen Anpassungsbedarf im bestehenden Stromnetz entstehen und keinem konkreten Leitungsbauprojekt zugeordnet werden können

Laut Consentec fallen hinsichtlich des Aufwands für die Errichtung von Kabeltrassen (direkte Kostenwirkung) mehrere Faktoren ins Gewicht. Der wichtigste Kostentreiber sind dem Beratungsunternehmen zufolge die Bauarbeiten im engeren Sinne. Diese Kosten werden wesentlich von der Beschaffenheit des Geländes, möglichen Erdeinbauten und dem jeweiligen Boden- und Oberflächentyp beeinflusst. 

Nachteil im gelöschten Netz ist, dass für den sicheren Betrieb nur ein bestimmter Anteil der Gesamtlänge als Erdkabel betrieben werden kann.

Da sich Freileitungs- und Erdkabeltrassen grundsätzlich unterscheiden, verweist Consentec auf die Erfahrungen beim Kabelbau: Im Mittel sind Trassen bei Verkabelung einer Freileitungsstrecke um etwa 20 Prozent länger. 
In der wirtschaftlichen Studie wurden zwei Szenarien festgelegt, um das Thema der Verkabelung im Hochspannungsnetz konkret mit Kosten vergleichbar zu machen:

  • Fortführen des „Status quo“ mit aktuell niedrigem Verkabelungsgrad („Referenzszenario“): In diesem Szenario wird das Hochspannungsnetz wie bisher ausgebaut. Die Vorgabe ergibt sich aus den physikalisch bedingten Rahmenbedingungen des gelöschten Netzes mit Nutzung von Erdkabel-Leitungen im dicht verbauten, urbanen Raum sowie Freileitungen in ländlichen Gebieten.
  • Szenario „ambitionierte Verkabelung“: Hier wird davon ausgegangen, dass bei Erneuerung von Freileitungsstrecken und Netzerweiterungen ca. 75 Prozent der Strecken verkabelt werden könnten. Das führt zu einem Verkabelungsgrad von rund 45 Prozent bis zum Ende des Betrachtungszeitraumes im Jahr 2050. Die Verkabelung von weiteren 30 Prozent des heutigen Bestandsnetzes kann erst nach 2050 erfolgen. 


Variante „Umstellung der Betriebsweise“

Wie die Autoren erläutern, besteht das österreichische 110-kV-Netz zurzeit fast ausschließlich aus Freileitungen. Ein Sonderfall ist Österreich damit keineswegs. Auch in den weitaus meisten anderen Staaten werden für überregionale Stromtransporte meist Freileitungen verwendet. Dänemark wollte seine Stromnetze auf Verteilernetzebene vollständig verkabeln. Das Vorhaben wurde wenige Jahre später teilweise gestoppt, weil die Kosten für Verkabelung und der notwendigen Zusatzmaßnahmen einen deutlichen Anstieg der Netztarife verursacht haben. 

Das 110-kV-Hochspannungsnetz wird in Österreich als sogenanntes „gelöschtes Netz“ (Netz mit Erdschlusskompensation) betrieben. Das ermöglicht, dass bei einpoligen Fehlern das Netz ohne Beeinträchtigung der Kunden weiterbetrieben werden kann. Derartige Fehlerszenarien treten österreichweit mehrmals täglich auf. Die aktuell verwendete gelöschte Betriebsweise der 110-kV-Verteilernetze führt zu keiner Abschaltung, sondern zu einer weiteren sicheren Versorgung der Kunden. 
Nachteil im gelöschten Netz ist allerdings, dass für den sicheren Betrieb des Netzes nur ein bestimmter Anteil der Gesamtlänge als Erdkabel betrieben werden kann. Bei einer maximalen Ausdehnung von ca. 2.500 km Freileitung (Doppelsystem) können nur rund 40 bis 50 km als Erdkabel (je nach verwendetem Kabeltyp, Doppelkabelsystem) betrieben werden. 

Mit der Umstellung auf eine andere Betriebsweise (z. B. auf eine niederohmige Sternpunkterdung) könnte diese Einschränkung aufgehoben werden. Erdkabel-Verbindungen könnten dann nahezu uneingeschränkt errichtet werden. Allerdings verliert man die Vorteile des „gelöschten Netzes“. Im Falle eines einpoligen Fehlers (häufigste Fehlerart) führt diese Betriebsweise immer zu einem Ausfall des jeweiligen Leitungssystems. Für die Umstellung auf diese Betriebsweise sind aber auch umfangreiche Umbauten am bestehenden Netz erforderlich. Diese Maßnahmen sind so intensiv, dass sie im Wesentlichen einem sehr umfangreichen Umbau der bestehenden Anlagen zwischen Bodensee und Neusiedlersee gleichkommen. 

Es ist zu prüfen, inwieweit bestehende Genehmigungen aufgrund einer geänderten Betriebsweise weiterhin ihre Gültigkeit behalten oder es einer erneuten Bewilligung bedarf. Im Zuge der wirtschaftlich sinnvollen Netzerneuerung ergibt sich ein Umstellungszeitraum zwischen 20 und 50 Jahren und lässt sich mit der Lebensdauer dieser kostenintensiven Netzanlange begründen. 


Variante „zusätzliche Netztrennungen“

Der Einsatz zusätzlicher Netztrennungen mit Netzübergabepunkt an das Übertragungsnetz ermöglicht die Aufteilung der bestehenden 110-kV-Netze in kleinere Netzbezirke bzw. Teilnetze. Durch diese Maßnahme ist es möglich, unter Einhaltung der Bedingung für einen sicheren Betrieb von Netzen mit Erdschlusskompensation in den jeweils neu gebildeten Netzgruppen die Verkabelungsstrategie weiter fortzuführen. 

Gegen die Bildung neuer Teilnetze spricht hingegen, dass jedes Umspannwerk, das als neuer Netzübergabepunkt genutzt wird, über eine entsprechend leistungsfähige Anbindung an das übergeordnete Übertragungsnetz, in diesem Fall das Höchstspannungsnetz mit 220 kV bzw. 380 kV Spannung, verfügen muss. Das würde in Summe zu einem deutlichen Zubau an leistungsstärkeren 220- und 380-kV-Freileitungssystemen führen. Diese Variante würde also dem eigentlichen Ziel der vermehrten Verkabelung widersprechen.


Variante „Einsatz von Trenntransformatoren“

Eine Variante, um deutlich mehr Erdkabelverbindungen als bisher umsetzen zu können, wäre der Einsatz von sogenannten „Trenntransformatoren“. Diese trennen aus einem bestehenden „gelöschten Netz“ Leitungsteile zwischen den Trenntransformatoren heraus. Diese können dann physikalisch isoliert als Erdkabel betrieben werden. 

Diese Trennung bringt aber auch Nachteile: Trenntransformatoren sind an beiden Enden jedes Systems einzusetzen und stellen einen zusätzlichen Kostenfaktor dar. 
 

Variantenentscheidung

In Abwägung der technischen Lösungsvarianten sind die entstehenden Kosten beim Einsatz von Trenntransformatoren am geringsten. Diese Variante wurde in der wirtschaftlichen Studie nur als der Einsatz von Trenntransformatoren zur Erhöhung des Erdkabelanteils kostentechnisch im Detail analysiert.
 

Abwägung der Gesamtkosten

Für den Netzausbau (direkte Mehrkosten) entsteht gegenüber dem Referenzszenario für das gewählte Szenario „ambitionierte Verkabelung“ ein Mehrkostenfaktor von 1,6 bis 2,7 (direkte und indirekte Mehrkosten von 4,5 Mrd. bis 9 Mrd. Euro). Kumuliert bis zum Ende des Beobachtungszeitraums 2050 – zu dem dann ein Verkabelungsgrad von rund 45 Prozent im Hochspannungsnetz erreicht wird – ergeben sich Gesamtinvestitionskosten von 8 bis 12,5 Mrd. Euro. 
 

Negative Auswirkungen für den Wirtschaftsstandort

Was aber bedeutet das für die Netztarife? Zurzeit haben in den Verteilernetzen angeschlossene Stromkunden Kosten von rund 1,8 Milliarden Euro pro Jahr zu tragen. Laut Consentec erhöhen sich die Kapitalkosten (CAPEX) für die zusätzlichen Investitionen um 16 bis 30 Prozent. Nach Einschätzung des Beratungsunternehmens ist davon auszugehen, dass die Netztarife in etwa gleicher Höhe anwachsen werden. 
Industriekunden wären aller Voraussicht nach erheblich stärker betroffen als die Haushalte. Bei Haushalten steigen die Netzkosten „im einstelligen“, bei Industrie und Gewerbe „im deutlich zweistelligen Prozentbereich“. Letzteres würde sich „negativ auf die Attraktivität des Standorts Österreich“ auswirken. 


Systemumbau bringt Kosten, aber keine Vorteile

Aus Sicht von Oesterreichs Energie ist daher klar: Die Erdkabeltechnik hat im Vergleich zu der Freileitungstechnik keine technischen Vorteile. Im Gegenteil ist sogar durch den komplexeren technischen Aufbau mit erhöhten Risiken für den Netzbetrieb zu rechnen. Die Studie von Consentec zeigt klar die wirtschaftlichen Nachteile der Erdverkabelung gegenüber Freileitungen auf. „Wenn die Technik nicht besser wird und die Versorgungssicherheit leidet, ist die Fortführung des Status quo zu bevorzugen“, resümiert der Verband. 

Ermittlung jährlicher Netzausbaumaßnahmen und Kosten


Ausgehend von typischerweise zu erwartenden technischen Lebensdauern für Freileitungen und Erdkabel (Studie der TU Graz) ergeben sich folgende durchschnittliche Netzausbaumaßnahmen pro Jahr bis 2050:

  • 1,25 % Ersatz im Freileitungsbestand
  • 2 % Ersatz im Kabelbestand 
  • 1 % Neubau als Erdkabel

Die Errichtungskosten wurden aus realen österreichischen 110-kV-Projekten der jüngeren Vergangenheit abgeleitet und enthalten neben Material-, Montage- und Tiefbaukosten auch Engineering-, Servituts- und Entschädigungskosten. Sie verstehen sich jeweils für 2-systemige Leistungsausführung:

  • Erdkabel bei günstigen Verlegebedingungen: 1.250.000 €/km
  • Erdkabel bei aufwendigen Verlegebedingungen: 2.500.000 €/km
  • Freileitungen: 650.000 €/km

Für notwendige Systemintegrationsmaßnahmen wurden in der Studie folgende Ansätze berücksichtigt:

  • Blindleistungskompensation: ca. 100.000 € pro km Doppelkabel.
  • Netztrennung bei Erreichung einer max. Kabellänge von 100 km je Netzgruppe: ca. 800.000 €/km Einzelkabel bzw. ca. 1.600.000 €/km Doppelkabel
  • Alternativ Einsatz von Trenntransformatoren: 800.000 €/km Doppelkabel