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Studie: Elektromobilität, Photovoltaik und Netze

Eine Studie von Oesterreichs Energie errechnet den Ausbau­bedarf, den der steigende Anteil von Elektromobilität und Photovoltaik auf die heimischen Netze hat. 

Im System für die Versorgung mit elektrischer Energie sind in den kommenden Jahren erhebliche Veränderungen zu erwarten. Diese betreffen im Wesentlichen drei Bereiche:  

  1. die Dekarbonisierung der Erzeugung, also den bereits erwähnten massiven Ausbau der Stromproduktion mittels erneuerbarer Energien,
  2. die „Elektrifizierung der Bedarfsseite“, anders gesagt den verstärkten Einsatz von Strom in den Sektoren Raumheizung und -kühlung, Warmwasserbereitung und Mobilität sowie 
  3. die „Demokratisierung & Flexibilisierung“ des Energiesystems. Dies umfasst etwa die Etablierung der im „Clean Energy for all Europeans“-Paket der EU vorgesehenen Energiegemeinschaften, das Anbieten flexibler Tarife, aber auch die „Bereitstellung von Systemdienstleistungen aus dem Verteilernetz“.
Elektroauto mit Solartankstelle und Windkraft
Netzberechnung: Durchgerechnet wurden in der Studie drei Szenarien. © AdobeStock/Petair

Dies stellt insbesondere die Netzbetreiber vor beträchtliche Herausforderungen. Sie führten daher im Rahmen von Oesterreichs Energie von Juni 2019 bis Oktober 2020 koordinierte Netzberechnungen durch, um die Kosten für die rasche Ertüchtigung der Stromnetze abzuschätzen. Das Projekt und dessen Ergebnisse beschreibt die seit kurzem vorliegende Studie „Netzberechnungen Österreich – Einfluss der Entwicklungen von Elektromobilität und Photovoltaik auf das österreichische Stromnetz“. Mit der Studie leisteten die Netzbetreiber Pionierarbeit. Erstmals schätzten sie gemeinsam und für ganz Österreich ab, in welchem Ausmaß die Netze ausgebaut werden müssen, um die Ziele der #mission2030 und des Regierungsprogramms zu erreichen, und welche Kosten damit verbunden sind. 


Heterogene Verteilernetzinfrastruktur

Als wesentliche Herausforderung für die Durchführung koordinierter Netzberechnungen erwies sich die äußerst heterogene Verteilernetzinfrastruktur. Auf der Ebene der Übertragungsnetze sind in Österreich lediglich die Austrian Power Grid AG (APG) und die Vorarlberger Übertragungsnetz GmbH (VÜN) tätig. Dem gegenüber bestehen nicht weniger als 124 Verteilernetzbetreiber (VNB). Deren Netze unterscheiden sich „teilweise signifikant in einer Reihe von Faktoren voneinander“ und stellen die einzelnen Unternehmungen vor höchst unterschiedliche Herausforderungen. Als Faktoren genannt werden in der Studie insbesondere die Kundenanzahl, die Größe des Verteilernetzgebietes, topographische Unterschiede, die Struktur des Versorgungsgebietes, die Kundenstruktur im Versorgungs­gebiet, geographische Sondereffekte, die Netztopologie, bestehende Planungsansätze sowie Werkzeuge zur Netzplanung und Betriebsmittel, aber auch der Verkabelungsgrad, der Ausbaugrad erneuerbarer Erzeugungsanlagen sowie die in der Vergangenheit getätigten Investitionen in die Netze. 

 

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Mit ihrer Studie konnten die beteiligten Netzbetreiber (siehe Kasten: beteiligte Unternehmen) etwa 87 Prozent der Trafostationen bzw. 87 Prozent der Anzahl der Nieder- und Mittelspannungsnetzkunden abdecken. Die Kosten jener VNB, die nicht an der Studie beteiligt waren, wurden mit geeigneten statistischen Methoden geschätzt. So entstand ein Gesamtbild für ganz Österreich unter der Einbeziehung heterogener Netzstrukturen und Lastsituationen in unterschiedlichen Netzebenen. Dies bietet „eine fundierte Grundlage für strategische Netzplanungsprozesse, die sich mit der Integration zukünftiger Netzkunden auseinandersetzen“.

Hinsichtlich der Entwicklung der Elektromobilität orientierten sich die Netzbetreiber an den rechtlichen Vorgaben der Europäischen Union. Diesen zufolge darf der CO2-Ausstoß pro Kilometer für die Neuwagenflotte ab 2020 nicht mehr als 95 Gramm betragen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, den Anteil der Elektroautos an der Wagenflotte bis 2030 auf 30 Prozent zu steigern. Die Netzbetreiber nehmen an, dass der Autobestand in Österreich etwa fünf Millionen Fahrzeuge umfasst. Weiters gehen sie von einer flächendeckenden Gesamtladeleistung von 11 Kilowatt (kW) aus und setzen voraus, dass österreichweit etwa 20 Prozent der Autos gleichzeitig geladen werden, der Gleichzeitigkeitsfaktor sich also auf 20 Prozent beläuft. Daraus ergibt sich eine zusätzliche Netzlast von etwa 3,3 Gigawatt (GW). Ausgegangen wird davon, dass das Laden sämtlicher E-Fahrzeuge „ohne Steuerungsmaßnahmen (gesteuertes Laden, tarifbasiertes Laden etc.) an Heimladestationen“ erfolgt. Und die Autoren der Studie warnen: „In bestehenden Verteilernetzen kann eine lokale Häufung mehrerer E-Fahrzeuge in einzelnen Netzabschnitten zu einer signifikanten Erhöhung der bestehenden Netzlast führen.“

Was den Ausbau der erneuerbaren Energien betrifft, liegen der Studie die bekannten Pläne aus dem Regierungsprogramm 2020–2024 zugrunde, die eine Steigerung der Stromproduktion mittels erneuerbarer Energien um insgesamt 27 Terawattstunden (TWh) pro Jahr vorsehen, von denen allein 11 TWh auf die Photovoltaik entfallen. Dies bedarf „einer zusätzlichen installierten Gesamtleistung aller Erzeugungstechnologien von 16,9 GW“. Erheblich weniger stark auswirken sollte sich der Studie zufolge der vermehrte Einsatz von Wärmepumpen. Realistischerweise dürfte sich die dafür benötigte Netzlast auf „lediglich rund 1,0 GW“ belaufen. Dieser Faktor wurde daher nicht eigens, sondern innerhalb des „allgemeinen Lastzuwachses“ berücksichtigt. 
 

Erhebliche Zusatzkosten.

Durchgerechnet wurden in der Studie drei Szenarien. „EV10“ geht davon aus, dass im Jahr 2030 zehn Prozent aller Autos in Österreich Elektrofahrzeuge sein werden, „EV30“ veranschlagt diesen Anteil auf 30 Prozent. „PV2030“ schließlich erwartet eine Verachtfachung der Leistung der Photovoltaikanlagen im Zeitraum 2019 bis 2030 von rund 1,6 GWp auf 12,6 GWp. Ferner wird davon ausgegangen, dass die E-Autos vor allem während des späten Nachmittags bzw. am Abend aufgeladen werden, die größte Stromerzeugung mittels PV-Anlagen dagegen zu Mittag erfolgt. Nicht zuletzt wird in den beiden E-Mobilitäts-Szenarien EV10 und EV30 der PV-Ausbau nicht berücksichtigt, im PV2030-Szenario dem gegenüber die E-Mobilität nicht abgebildet. Dies bedeutet, dass die Ausbaukosten für die jeweiligen Szenarien nicht addiert werden dürfen. 

Wenn, wie geplant, der Anteil der Elektroautos an der Wagenflotte bis 2030 auf  30 Prozent steigt und etwa 20 Prozent der Autos gleichzeitig geladen werden, ergibt sich eine zusätzliche Netzlast von etwa 3,3 Gigawatt (GW).

Ohne den Ausbau der Photovoltaik, den Einsatz der Elektromobilität sowie andere außergewöhnliche Faktoren müssten die österreichischen Netzbetreiber bis 2030 rund 10,6 Milliarden Euro in ihre Infrastrukturen investieren, davon 7,3 Milliarden in die Verteiler- und 3,3 Milliarden in die Übertragungsnetze. 

Dem gegenüber ergibt sich im Szenario EV10 ein Zusatzbedarf von rund 0,9 Milliarden Euro oder acht Prozent. Im Szenario EV30 belaufen sich die Mehrkosten auf 4,3 Milliarden Euro oder 41 Prozent, im Szenario PV2030 schließlich auf 2,8 Milliarden Euro oder etwa 27 Prozent. In den beiden E-Mobilitäts-Szenarien verteilen sich etwa 80 Prozent der Zusatzkosten gleichmäßig auf die Mittel- und auf die Niederspannungsnetze. Im PV2030-Szenario entfällt dagegen jeweils rund ein Drittel der Kosten auf die Hoch-, Mittel- und Niederspannungsleitungen.


Netzausbau bleibt Mittel erster Wahl

Aus Sicht der Netzbetreiber ergibt sich daraus eine Reihe von Schlussfolgerungen. Neben einer Anerkennung einer ausreichenden Kapitalverzinsung durch den Regulator halten sie es für notwendig, auch für die Haushalte eine „spürbare Leistungspreiskomponente in den Netzentgelten“ einzuführen, wie dies die E-Control im Rahmen der „Netztarife neu“ plant. Grundsätzlich wäre es für die Netzbetreiber ferner hilfreich, für die Planung und den Betrieb der Netze alle verfügbaren Daten nutzen zu dürfen. Insbesondere betrifft dies die Daten, die künftig aufgrund des flächendeckenden Einsatzes digitaler Stromzähler (Smart Meter) verfügbar sein werden. Überdies sollte – ähnlich wie in Deutschland – die maximale PV-Netzeinspeisung aus Kundenanlagen mit bis zu 30 kW Leistung auf 70 Prozent der Nennleistung begrenzt werden. Der Ertragsverlust für die Kunden wäre mit weniger als fünf Prozent kaum spürbar, würde jedoch gleichzeitig die Netze entlasten und dennoch viel zusätzliche erneuerbare Energie ins System bringen. Große PV-Anlagen mit Leistungen im Megawattbereich sollten nur dort mit öffentlichen Geldern gefördert werden, „wo permanent nennenswerter Verbrauch vorherrscht und/oder die Netze bereits in der Lage sind, größere Einspeiseleistungen aufzunehmen (in Umspannwerksnähe)“. 

Und trotz aller Zusatzkosten sowie sonstigen Herausforderungen resümieren die Netzbetreiber: „Der konventionelle Netzausbau (Verstärkungen bei Leitungen, Transformatoren usw.) bleibt Mittel erster Wahl.“ Denn nur mit starken Netzen lässt sich die Energiewende meistern.  

Die Studie „Netzberechnungen Österreich“
 

Die Studie wurde von Oesterreichs Energie koordiniert und in einer Arbeitsgruppe des Arbeitskreises Verteilernetze mit wissenschaftlicher Begleitung des AIT, der Montanuniversität Leoben und der FH Vorarlberg durchgeführt. 

Maßgeblich beteiligt waren in alphabetischer Reihenfolge:

  • APG Austrian Power Grid AG 
  • Elektrizitätswerk der Stadtgemeinde Kindberg
  • Energie Klagenfurt GmbH
  • Energienetze Steiermark GmbH
  • Feistritzwerke-STEWEAG GmbH
  • Innsbrucker Kommunal­betriebe AG
  • KNG-Kärnten Netz GmbH
  • Linz Netz GmbH
  • Netz Burgenland GmbH
  • Netz Niederösterreich GmbH
  • Netz Oberösterreich GmbH
  • Salzburg Netz GmbH
  • Stromnetz Graz GmbH
  • TINETZ-Tiroler Netze GmbH
  • Vorarlberger Energie­netze GmbH
  • Vorarlberger Übertragungsnetz GmbH
  • Wels Strom GmbH
  • Wiener Netze GmbH