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Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert

Worauf muss sich Europa geopolitisch im 21. Jahrhundert einstellen? Dieser Frage widmete sich der Politikwissenschaftler Herfried Münkler im Rahmen des Oestereichs Energie Kongress 2024. Sein Fazit: Schafft es Europa nicht, in Zukunft auch militärische Stärke zu zeigen, wird es zum Befehlsempfänger anderer degradiert werden.

Herfried Münkler, em. Prof. für Politikwissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin © Oesterreichs Energie

Die Ordnung der vergangenen Jahrzehnte, so schien es jedenfalls, war weitgehend regelbasiert. Die entscheidende Regel lautete dabei: Machtverhältnisse werden aufgrund wirtschaftlicher Stärke ausverhandelt und nicht auf Basis militärischer Überlegenheit. „Die Vorstellung, dass eine solche Ordnung tatsächlich dauerhaft halten kann, ist spätestens mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine obsolet geworden“, sagte Politikwissenschafter und Buchautor Herfried Münkler.

Dass die europäische Politik darauf setze, dass der russische Präsident Wladimir Putin die von Europa unterstellten Spielregeln einhalten würde, sei naiv. „Jeder Spieltheoretiker weiß: In einem Spiel, in dem es keine Instanz gibt, die die Regeln überwacht, gewinnt derjenige, der die Regeln bricht.“
 

Signale an Autokraten

Lange Zeit waren es de facto die USA, die die Funktion eines globalen Kontrollorgans übernommen hätten. „Mit dem Rückzug der USA aus Afghanistan hat der Westen den Anspruch, demokratische Werte hochzuhalten aber aufgegeben“, sagt Münkler.

Die wichtigsten Aussagen

  • Das Konzept von Frieden durch wirtschaftliche Integration ist gescheitert.
  • In einer Welt ohne globale Ordnungsmacht muss Europa seine Interessen selbst durchsetzen.
  • Einheit ist in der Europäischen Union gefragter denn je.

Als ein fatales Signal sieht der Politikwissenschafter auch die Tatsache, dass der Westen Putins Begehrlichkeiten in der Ukraine lange Zeit nicht widersprach und die Annexion der Krim letztlich akzeptierte. „Für Autokraten aller Couleurs war das eine Aufmunterung. Denn sie denken nun zu Recht: Wenn Putin sich nicht an Regeln hält, können auch wir die Regeln brechen.“
 

Mit einer Stimme sprechen

Aus all dem ergibt sich laut Münkler vor allem eine Schlussfolgerung: Die EU müsse außenpolitisch mit einer Stimme sprechen und militärisch stärker werden. „Das wird nur gehen, wenn man das Einstimmigkeitsprinzip auflässt.“ Schafft es der alte Kontinent nicht, Stärke und Einheit zu zeigen, drohe er zur Provinz und zum Befehlsempfänger anderer zu werden.

Zugleich zeichnet Münkler auch einen Weg, wie dem krisenbedingten Erstarken von autoritären Tendenzen innerhalb europäischer Demokratien begegnet werden könne: „Es gilt zunächst, die derzeit weit verbreitete diffuse Angst in Furcht zu verwandeln. Denn anders als Angst ist Furcht zielgerichtet. Man fürchtet sich vor etwas Konkretem. Und sobald das klar ist, kann man auch aktiv werden und so die Furcht überwinden.“