Trendforum: Energieversorgung gestern - heute - morgen
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Vor zwanzig Jahren wurde der österreichische Strommarkt liberalisiert und ein Marktmodell etabliert, das bis heute gilt. In den nächsten zwanzig Jahren soll Österreich klimaneutral werden. Aber eignen sich die Regeln der Vergangenheit für die Erreichung diese Ziele? Welche Lehren können für die Herausforderungen der Zukunft gezogen werden?
Die Elektrizitätswirtschaft habe die Vollliberalisierung des österreichischen Strommarktes in den vergangenen zwanzig Jahren gut gemeistert. Mit der Energiewende stünde nun aber ein Totalumbau der Stromsystems bevor, der mit den derzeitigen regulatorischen Rahmenbedingungen nicht zu bewältigen sei, betonte Michael Strugl, Präsident von Oesterreichs Energie im Rahmen des „Trendforums“ am 16. September in Wien.
Für die Errichtung von Anlagen zur Flexibilisierung des Stromsystems, etwa Speichern unterschiedlicher Art, seien Preissignale notwendig, ebenso für den Bau neuer Erzeugungseinheiten mit sicher verfügbarer Leistung, so Strugl. Diese Anlagen, die die witterungsbedingt schwankende Stromproduktion von Windparks und Solaranlagen ausgleichen können, leisten einen wichtigen Beitrag zur Wahrung der Versorgungssicherheit. Der bestehende „Energy-Only-Markt“ mit ausschließlicher Fokussierung auf die Betriebskosten der Kraftwerke bietet derartige Signale allerdings nicht, so Strugl.
Energiewende ist NetzwendeNotwendig für das Gelingen der Energiewende sei laut Strugl weiters die Ertüchtigung und der Ausbau der Übertragungs- und Verteilernetze. Dafür müsse das Regulierungssystem entsprechende Anreize bieten, gerade auch in Form einer angemessenen Verzinsung der Investitionen: „Es muss für die Netzbetreiber wirtschaftlich rentabel sein, in ihre Infrastrukturen zu investieren“, so Strugl. Ebenso unverzichtbar sei, dass sämtliche Marktteilnehmer ihr Verhalten so weit wie möglich an den Erfordernissen des sicheren Betriebs der Stromnetze orientieren. Wer dem nicht nachkomme, solle als Konsequenz die höheren Kosten für seine Art der Netznutzung tragen.
Weitere Herausforderungen für das Gelingen der Energiewende sieht Strugl in der Zersplitterung der Kompetenzen zwischen den Gebietskörperschaften. Dies behindere den Ausbau der erneuerbaren Energien. Auch die teils überlangen Genehmigungsverfahren insbesondere für Leitungsprojekte seien alles andere als förderlich. „Die Energiewende ist eine Netzwende. Wir müssen die Netze synchron mit den Erzeugungskapazitäten ausbauen“, betonte Strugl. Ein weiteres Hindernis sei die oft fehlende Akzeptanz der Bevölkerung. „Wenn die Menschen nicht verstehen, dass wir die erneuerbaren Energien brauchen, schaffen wir die Energiewende nicht“, warnte Strugl.
Barbara Schmidt, die Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, wies darauf hin, dass die Stromproduktion mithilfe erneuerbarer Energien im Zuge der Energiewende bis 2030 um 27 Terawattstunden (TWh) pro Jahr oder etwa 50 Prozent gesteigert werden soll. Im Zuge dieses Ausbaus müssten die Stromnetze ausgebaut und in erheblichem Ausmaß zusätzliche Möglichkeiten zur Stromspeicherung geschaffen werden. „Das alles sind große Aufgaben, die wir in nicht einmal zehn Jahren zu bewältigen haben. Dafür brauchen wir raschere Genehmigungsverfahren, Flächen, auf denen wir die Leitungen errichten können, sowie ein System zur Regulierung des Strommarktes, das Anreize für Investitionen setzt“, so Schmidt. Erforderlich sei zudem die Unterstützung der E-Wirtschaft durch die Politik und die öffentliche Verwaltung. Außerdem muss die Bevölkerung die Energiewende akzeptieren: „Denn die dafür notwendigen Erzeugungsanlagen und Stromleitungen wird man in der Landschaft sehen.“
Fairer CO2-Preis
Nach Einschätzung von Marco Nicolosi, Geschäftsführer der deutschen Connect Energy Economics GmbH, ist der Energiemarkt allerdings in der Lage, die meisten dieser Probleme zu lösen. Nicolosi zufolge sei es lediglich notwendig, eine CO2-Bepreisung einzuführen, die gleichermaßen auf sämtliche Sektoren der Wirtschaft und alle Bereiche der Gesellschaft wirkt: „Wenn wir allen Akteuren die wahren Kosten der Energieversorgung zeigen, passt sich das System kontinuierlich an die Herausforderungen der Energiewende an.“ Der Markt sei „viel kreativer, als es Behörden je sein könnten“. Und gerade das werde dabei helfen, die Zukunft zu meistern.
Auch Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand der Regulierungsbehörde E-Control, betonte den Erfolg der Strommarktliberalisierung. „Das sollte uns Hoffnung und Mut für die neuen Herausforderungen durch die Energiewende geben.“ Bedarf, die Regulierungssystematik tiefgreifend zu ändern, sieht Urbantschitsch vorerst nicht.
Bis auf weiteres solle mit den bestehenden Regelwerken gearbeitet werden, bei künftigem Bedarf könnte der regulatorische Rahmen aber angepasst werden. Als wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende betrachtet Urbantschitsch das Unbundling, also die Trennung des Netzbetriebs von den übrigen Bereichen der Energieunternehmen. Mit dem Ausbau der dezentralen Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Energien und dem Entstehen von Energiegemeinschaften wachse die Bedeutung der Verteilernetzbetreiber als Ansprechpartner für Stromkunden. „Umso mehr müssen die Netzbetreiber absolut neutral sein“, betonte Urbantschitsch.
Beteiligung als Schlüssel zur Akzeptanz
Herbert Greisberger, der Geschäftsführer der Energie- und Umweltagentur des Landes Niederösterreich, warnte davor die Zukunft als Fortschreibung der Vergangenheit aufzufassen. Mit der Energiewende werde es für Haushalte interessanter, sich am Strommarkt zu beteiligen, etwa in Form von Energiegemeinschaften. Fraglich sei allerdings, ob dies in der derzeitigen Systematik der Energiemarkt-Regulierung bereits angemessen abgebildet sei.
Greisberger plädierte dafür, die geltenden Unbundlingbestimmungen zu verschärfen. Gleichzeitig sollten die Netzbetreiber jedoch stärkere Anreize erhalten, in innovative Technologien zu investieren. Laut Greisberger gelte es, die Energiewende auch als „geistige Wende“ aufzufassen: „Wir müssen die Menschen daran beteiligen. Wenn das gelingt, wird die Akzeptanz für den Ausbau der Windkraft und der Photovoltaik wachsen.“ Notwendig seien professionelle Dienstleister, die engagierte Bürger bei ihren Aktivitäten zum Vorantreiben der Energiewende unterstützen.
Monika Köppl-Turyna, Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria, sprach sich ähnlich wie Nicolosi für eine „umfassende CO2-Bepreisung für alle Sektoren“ aus. Außerdem solle die Politik technologieneutral agieren. Weder dürfe der Einsatz bestimmter Technologien forciert noch andere Technologien von vorneherein ausgeschlossen werden. Stattdessen empfehle es sich, auf den Markt zu setzen: „Mittels des Wettbewerbs der Ideen werden wir die Energiewende schaffen."