Trendforum: Speicher, Flexibilität, Versorgungssicherheit

wolke 19, Wien

Die Sicherheit der Stromversorgung in Österreich benötigt durch die geplante Umstellung auf 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien ein neues Fundament. „Strom aus Österreich muss auch in Zukunft sicher, sauber und leistbar bleiben und für diese Sicherheit darf man sich nicht auf gutes Wetter und Stromlieferungen aus dem Ausland verlassen“, so brachte Leonhard Schitter, Präsident von Oesterreichs Energie, der Interessenvertretung der E-Wirtschaft eine der wichtigsten Aufgaben der Branche auf den Punkt. Anlass war die Präsentation einer Studie des Austrian Institute of Technology und der TU Wien im Auftrag von Oesterreichs Energie beim Oesterreichs Energie Trendforum am 7. März 2019.

Trendforum: Speicher, Flexibilität, Versorgungssicherheit
© Christian Fürthner

Eine zu 99,99 Prozent sichere Versorgung mit Strom, wie wir sie heute genießen, wird mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Ausstieg aus fossilen Energien zusehends schwieriger zu erreichen. Die in der Klima- und Energiestrategie #mission2030 angepeilte 100-prozentige Stromversorgung aus erneuerbaren Energien (bilanziell, national) ist ein gewaltiges Ausbauprogramm, das die erneuerbare Stromproduktion gegenüber heute um 30 Mrd. Kilowattstunden steigern soll, zu einem Fünftel durch den Ausbau der Wasserkraft und Speicher, zu jeweils zwei Fünfteln durch den Ausbau von Windenergie und Photovoltaik. Der große Anteil von Windenergie und Photovoltaik wird zu wetterbedingten Schwankungen der Leistung der Stromeinspeisung von 10 Gigawatt führen. Damit wird die Stromproduktion in Österreich so stark schwanken, wie aktuell an elektrischer Leitung maximal im gesamten Netz gebraucht wird. Dafür muss ein Ausgleich gefunden werden.

Studie von AIT und TU sieht enorme Schwankungen der Stromproduktion aus Erneuerbaren

Überlässt man das dem Markt, so Wolfgang Hribernik, Leiter des Center for Energy des Austrian Institute of Technology (AIT) wird Österreich stark abhängig von Strombezügen aus dem Ausland und Stromlieferungen an das Ausland. Zwar sind grundsätzlich vielfältige Flexibilitätsoptionen denkbar - etwa Erzeugungsanlagen wie Kraft-Wärme-Kopplungen, Speicher in unterschiedlichen Formen von Pumpspeichern bis zu Lithium-Ionen-Batterien und Power-to-Gas, Lastmanagement durch Umwandlung von Strom in Wärme (Power-to-Heat), durch Elektromobilität und durch die Nutzung der Flexibilität industrieller Anlagen, der Einsatz der verschiedenen Technologien ist jedoch stark vom Preisgefüge abhängig.

Dr. Wolfgang Hribernik, Head of Center for Energy, AIT Austrian Institute of Technology
© Christian Fürthner

Alle Anlagen stehen im Wettbewerb und bis 2030 ergibt sich daraus, dass die Schwankungen der Stromproduktion zu mehr als zwei Dritteln durch Stromexporte und Stromimporte abzufangen wären. Für den von der E-Wirtschaft geplanten massiven Ausbau der Pumpspeicher sieht Hribernik durchaus einen Markt. Die Speicher seien eine Voraussetzung für die weitestgehend erneuerbare Stromversorgung. Notwendig sind aber auch thermische Kraftwerke, die gerade in kritischen Zeiten wie Dunkelflauten maßgeblich zur Versorgungssicherheit beitragen. Für ihre Rentabilität spielt die künftige Höhe der CO2-Preise eine wesentliche Rolle. Für unverzichtbar hält Hribernik, sowohl auf europäischer als auch auf österreichischer Ebene kontinuierlich zu prüfen, ob die Versorgungssicherheit auf absehbare Zeit gewährleistet ist. Bestehen diesbezüglich Bedenken, muss umgehend gegengesteuert werden.

 

E-Wirtschaft definiert Maßnahmen für Versorgungssicherheit

„Österreichs Elektrizitätswirtschaft“, so Oesterreichs Energie-Präsident Leonhard Schitter, „bekennt sich zum Ausbauziel für die erneuerbaren Energien. Jedoch bedarf es extremer Anstrengungen um dieses zu erreichen.“ Es genügt nicht, sich nur auf die erneuerbaren Energien zu konzentrieren, um die Versorgungssicherheit weiterhin zu gewährleisten, ist laut Schitter „ein leistungsfähiges Netz unabdingbar“. Die E-Wirtschaft betrachtet die Versorgungssicherheit als den zentralen Angelpunkt des Energiesystems und tut alles ihr Mögliche, um diese zu garantieren. Eindringlich warnte Schitter davor, die Stromversorgung als „Schönwetterphänomen“ zu betrachten: „Sie muss immer funktionieren, Tag für Tag, rund um die Uhr.“ Deshalb ist es notwendig, in mehrerer Hinsicht Vorsorge zu treffen - für Rekordschlechtwetterphasen wie Anfang 2019, für lange Dunkelflauten, womöglich noch kombiniert mit niedrigen Speicherständen, für Jahre mit geringer Wasserführung und für Probleme im Zusammenhang mit dem nach wie vor zu langsamen Netzausbau in Deutschland, der mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien längst nicht mehr Schritt hält.

Klar ist laut Schitter deshalb, dass die Übertragungs- und Verteilernetze in Österreich ertüchtigt und erweitert werden müssen. Die Verteilernetze müssen mit „intelligenter“ IT-Technologie zu Smart Grids werden. Die Übertragungsnetze wiederum sind so zu verstärken, dass sie zeitweilige Überschreitungen der benötigten Einspeiseleistung um bis zu 7,7 Gigawatt ohne Risiko für ihren sicheren Betrieb bewältigen können. In ihrem derzeitigen Zustand kämen sie damit in bedenkliche Nähe ihrer Belastungsgrenzen. Laut Schitter reichen die derzeitigen Großhandelspreise nicht aus, um die notwendige Infrastruktur - Kraftwerke und Netze - dauerhaft bereithalten zu können: „Daher müssen wir auch andere Wege finden.“

× Dr. Leonhard Schitter, MA, Präsident Oesterreichs Energie
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Die Ökostromförderung sollte deshalb auf variable Marktprämien mit 20 Jahre langer Auszahlungsdauer umgestellt werden. Für die Vergabe der Mittel empfiehlt Oesterreichs Energie technologiespezifische Ausschreibungen. So wäre gewährleistet, dass alle Technologien zum Zuge kommen und ein optimaler Anlagenpark entsteht, innerhalb dessen zeitweilige Produktionsschwankungen zumindest teilweise aufgefangen werden können. Erfolgt dies nicht, müsste der Ausgleich mit noch mehr Leistung von Speichern und thermischen Kraftwerken erfolgen. Außerdem müssten die Netze noch deutlich stärker ausgebaut werden.

Für Schitter ist es unverzichtbar, in Österreich selbst in ausreichendem Maß Speicher sowie flexible Kraftwerke vorzuhalten, um kritische Situationen bewältigen zu können. „Der Import und Export von Strom auf Basis ausgebauter Netzkapazitäten ist wichtig. Wir dürfen aber weder davon ausgehen, dass andere Länder um uns ihre Ausbaupläne zeitgerecht realisieren, noch sollten wir unsere Abhängigkeit von fossilen Importen durch eine Abhängigkeit von Strom aus dem Ausland ersetzen“, betonte Schitter. Die Politik müsse die notwendigen Rahmenbedingungen für Investitionen in Kraftwerke, Netze und Speicher zu sichern.

Gewaltiges, großartiges Investitionsprogramm

Zum Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das im Ressort von Josef Plank, Generalsekretär des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus ausgearbeitet wird und bis 2020 in Kraft sein soll, werde es einen breiten politischen Konsens geben müssen, so Plank. Dabei müssten Bund, Länder und Gemeinden in eine Richtung marschieren. Mit dem geplanten Ausbauziel für zusätzliche 30 Terawattstunden (TWh) Erneuerbaren-Erzeugung bis 2030 stehe in Österreich ein „tolles Ausbauprogramm“ bevor, US-Präsident Donald Trump würde sagen „great, great again“, so Plank schmunzelnd.

Als ebenso wichtig wie den Ausbau der erneuerbaren Energien erachtet Plank die massive Steigerung der Energieeffizienz: „Das ist die Voraussetzung für alles andere, was wir tun.“ Österreich müsse seinen Energiebedarf bis zur Mitte des Jahrhunderts um etwa die Hälfte vermindern, wobei die Umstellung von fossilen Energieträgern auf Elektrizität eine wesentliche Rolle spielen könne. Jedenfalls „steigt der Druck, die richtigen Maßnahmen zu setzen“. Sicher ist laut Plank auch, dass 2030 keineswegs das Ende der österreichischen Energiewende erreicht ist: „Zu dieser Zeit sind wir erst richtig aufgewärmt.“

× DI Josef Plank, Generalsekretär Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus
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DI Dr. Christine Materazzi-Wagner, Leiterin der Abteilung Strom, E-Control
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E-Control will Marktkräfte so weit wie möglich anwenden

Laut Christine Materazzi-Wagner, Leiterin der Abteilung Strom der Regulierungsbehörde E-Control, sollte Österreich bei der Umsetzung von #mission2030 so weit wie möglich auf Marktkräfte setzen. Wie auch die AIT-Studie einmal mehr illustriere, ist Österreich eng in das gesamteuropäische System für die Stromversorgung eingebunden. Noch immer arbeiten die Regulatoren und die Marktteilnehmer an der Umsetzung des 3. Energiebinnenmarktpakets der Europäischen Union aus dem Jahr 2009. Und mit dem Ende 2018 finalisierten „Clean Energy for all Europeans“-Paket steht schon die nächste umfassende Vorgabe zur Implementierung an. Gerade in Bezug auf die Übertragungs- und Verteilernetze werden dabei auch die Regulierungsbehörden eine gewichtige Rolle spielen, stellte Materazzi-Wagner fest.

Industrie will Potenziale anbieten

René Stadler, beim Papierkonzern Mondi für den Energieeinkauf in 30 Ländern zuständig, versicherte, die Industrie könne einen wesentlichen Teil der in Österreich benötigten Flexibilität zum Ausgleich von Stromerzeugung und Stromverbrauch bereitstellen. Nützlich für solches „systemdienliches“ Verhalten von Unternehmen wären laut Stadler Anreize, die in Zusammenarbeit mit der E-Wirtschaft entwickelt werden könnten. Dies könnte der Industrie dabei helfen, ihre Kosten aus der Förderung der erneuerbaren Energien wenigstens teilweise auszugleichen: „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Ökostromförderung auch in Zukunft ein Umlagesystem sein wird. Zahlen werden letzten Endes die Verbraucher und damit auch die energieintensive Industrie.“

Dipl.-Ing. Rene Stadler, Head of Energy Procurement, Mondi AG
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