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Warum die Großhandelspreise für Strom steigen

Noch nie in der Geschichte des europäischen Stromgroßhandels wurden Entwicklungen verzeichnet wie jene der vergangenen Monate. Über die Gründe dafür – und wann mit Entspannung zu rechnen ist. 
 

Der Befund der europäischen Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) ist eindeutig: Einen bisher „beispiellosen“ Anstieg verzeichneten im Lauf des heurigen Jahres die Großhandelspreise für elektrische Energie, heißt es in einer aktuellen Analyse. Sie stiegen gegenüber dem Jahr 2020 um rund 200 Prozent, verursacht durch den Anstieg der Gaspreise um etwa 400 Prozent, der seinerseits bedingt durch das Wiederanspringen der Wirtschaft nach dem „Corona-Jahr“ 2020 war. Dieses führte zu einer verstärkten Nachfrage nach Erdgas insbesondere auf den asiatischen Märkten. In der Folge flossen große Mengen verflüssigten Erdgases (LNG) dorthin und fehlten somit auf den europäischen Gasmärkten. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass Europa etwa 60 Prozent seines Erdgasbedarfs mit Importen deckt, vor allem solchen aus Russland und Norwegen. Eurostat-Daten zufolge entfallen etwa 20 Prozent der Stromerzeugung in der EU auf Gaskraftwerke. Entsprechend schlagen Entwicklungen auf den globalen Gasmärkten auf den Gasgroßhandel in Europa durch.

 

Karina Knaus
"Im zweiten Quartal 2022, also nach Ende der Heizsaison, dürften die Gaspreise nachlassen. Und das sollte sich auch bei den Strompreisen bemerkbar machen." Karina Knaus Head of Economy, Consumers & Prices

Rund ein Fünftel des Strompreisanstiegs sieht ACER ferner durch das kräftige Anziehen der Kohlepreise bedingt. Wie bei Gas erfolgte auch dieses hauptsächlich wegen der verstärkten Nachfrage, insbesondere in Asien, in geringerem Ausmaß auch wegen der Preise für CO2-Zertifikate im Rahmen des EU-internen Emissionshandels (EU-ETS). Diese verdoppelten sich im ersten Halbjahr 2021 auf rund 60 Euro, nicht zuletzt wegen der sich verstärkenden Tendenzen in der europäischen Klimapolitik. Im November 2021 wurde sogar die 70-Euro-Marke geknackt.

Als dritten wesentlichen Grund für die Preisentwicklungen im Stromgroßhandel nennt ACER die witterungsbedingt unerwartet niedrige Stromproduktion mit erneuerbaren Energien, vor allem der Windkraft, im Sommer und Frühherbst. Diese Erzeugungsflaute bei den „Erneuerbaren“ traf auf den ohnedies angespannten Markt und verschaffte den Strompreisen zusätzlichen Auftrieb.


Entspannung im Frühjahr

Ähnlich lautet der Befund von Karina Knaus, der Leiterin des Centers Volkswirtschaft, Konsument:innen und Preise der Österreichischen Energieagentur (AEA). Auch ihrer Ansicht nach sind die Preissteigerungen bei Erdgas der wichtigste Grund für die Entwicklungen auf den Großhandelsmärkten für elektrische Energie. Hinzu kommt Knaus zufolge der Anstieg der Kohlepreise, der die Kosten für die Stromerzeugung in manchen Mitgliedsländern der EU in die Höhe treibt. Betroffen davon ist nicht zuletzt Deutschland, der weitaus wichtigste Energiemarkt in Zentraleuropa. Dort beläuft sich der Anteil der Kohlekraftwerke an der Stromerzeugung auf etwa 23 Prozent, Erdgas macht weitere knapp 17 Prozent aus.

Verstärkend hinzu kam laut Knaus, dass die Stromproduktion mittels erneuerbarer Energien, insbesondere der Windkraft, im Frühjahr und Frühsommer unterdurchschnittlich war, bevor sie sich wieder normalisierte. Genau zu dieser Zeit hatten auch die Gaspreise anzuziehen begonnen. Hinsichtlich der weiteren Entwicklung erwartet Knaus im zweiten Quartal 2022, also nach Ende der Heizsaison, eine gewisse Entspannung: „Dann dürften die Gaspreise nachlassen. Und das sollte sich auch bei den Strompreisen bemerkbar machen.“

Die „Toolbox“ der EU-Kommission


In ihrer Mitteilung „Steigende Energiepreise – eine Toolbox“ schlägt die EU-Kommission eine Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung von Haushalten und Unternehmen vor. Insbesondere will sie den Mitgliedsstaaten erlauben, einkommensschwachen Haushalten unter die Arme zu greifen. Denkbar wären der Kommission zufolge unter anderem die teilweise Begleichung von Energierechnungen durch die öffentliche Hand, die Ausgabe von Gutscheinen sowie die Überweisung von Pauschalen, mit denen die Begünstigten ihre Stromkosten decken könnten. Zur Finanzierung solcher Hilfen könnten die Mitgliedsstaaten laut der Kommission ihre Einnahmen aus dem Emissionshandel (EU-ETS) verwenden. Bekanntlich müssen die vom ETS betroffenen Branchen einen Teil der benötigten Emissionszertifikate von den Behörden erwerben. Dies dürfte den EU-Mitgliedsstaaten heuer insgesamt etwa 30 Milliarden Euro bringen.

Geplant ist seitens der Kommission überdies, eine „EU-Koordinierungsgruppe Energiearmut und schutzbedürftige Verbraucher“ zu schaffen. Von den Energiekosten entlasten will die EU-Kommission auch die Wirtschaft. So sollen Direkthilfen für Unternehmen erlaubt werden, wenn sie „den Wettbewerb nicht unangemessen verzerren und zu einer Fragmentierung des Binnenmarktes führen“ sowie technologieneutral sind.