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TOR-Wächter für Österreichs Stromnetz

Ausgehend von den Rechtsvorschriften der EU beschreiben die Technische(n) und organisatorische(n) Regeln (TOR) Anforderungen an Anlagen, die an öffentliche Stromnetze angeschlossen werden. Diese gewinnen bei der Bewältigung der Energiewende und der Elektrifizierung von Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft zunehmend an Bedeutung.

Grob gesprochen legen die Technische(n) und organisatorische(n) Regeln (TOR) fest, welche Anforderungen eine Anlage zur Erzeugung oder Nutzung elektrischer Energie erfüllen muss, um in Österreich mit einem öffentlichen Stromnetz verbunden werden zu dürfen. Netze selbst müssen ebenfalls die entsprechenden Teile der TOR erfüllen. Die Grundlage der TOR sind die Vorschriften der EU für das europäische Verbundnetz, die sogenannten Network Codes und Guidelines (siehe Infokästchen). Erstellt werden die TOR von Oesterreichs Energie gemeinsam mit der Regulierungsbehörde E-Control. Laut dem E-Control-Gesetz hat diese „mit den Betreibern von Stromnetzen technische und organisatorische Regeln für Betreiber und Benutzer von Netzen zu erarbeiten und diesen zur Verfügung zu stellen“. 

Üblicherweise verlangen die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), aber auch in den Netzanschlussverträgen die Einhaltung der TOR als Voraussetzung für die Nutzung ihrer Infrastrukturen. Zur Erarbeitung und kontinuierlichen Weiterentwicklung der TOR besteht bei Oesterreichs Energie der „Arbeitskreis (AK) TOR“. Dieser koordiniert die „Expertenpools“, in denen die eigentliche Erarbeitung der TOR zu den verschiedenen wesentlichen Themen erfolgt, etwa zum Anschluss von Erzeugern, Verbrauchern und Verteilernetzen, aber auch zur Vermeidung von Großstörungen und Begrenzung ihrer Auswirkungen. 

Alexander Stimmer, Austrian Power Grid (APG)
„Die Network Codes und Guidelines der EU sind sehr komplex und selbst für Fachleute schwer verständlich. Die TOR fassen sämtliche Bestimmungen kompakt und verständlich in themenbezogenen Dokumenten zusammen.“ Alexander Stimmer Austrian Power Grid (APG)

Für die Anwender bzw. Netznutzer hätten die TOR einen wesentlichen Vorteil, berichtet Alexander Stimmer, der Leiter des Teams „Betriebliche Standards“ beim Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) und Vorsitzender der Expertenpools RfG und DCC bei Oesterreichs Energie: „Die Network Codes und Guidelines der EU sind sehr komplex und selbst für Fachleute schwer verständlich. Dazu kommen nationale Rechtsvorschriften sowie weitere Vorgaben, die allesamt einzuhalten sind. Für Netznutzer wäre es mit kaum zumutbarem Aufwand verbunden sich zurechtzufinden.“ Deshalb fassen die TOR sämtliche Bestimmungen möglichst kompakt und verständlich in themenbezogenen Dokumenten zusammen, die allen Interessierten kostenlos zur Verfügung stehen. 
 

Aufwendige Erstellung 

Eines der größten diesbezüglichen Projekte der jüngsten Zeit war die Erarbeitung der „TOR Erzeuger“. Notwendig war dies, weil sich im Zuge der Energiewende die Struktur der Erzeugung elektrischer Energie grundlegend wandelt. Die traditionellen Großkraftwerke werden durch eine Vielzahl von Kleinanlagen auf Basis erneuerbarer Energien ergänzt bzw., soweit sie auf fossilen Energieträgern beruhen, aus klimapolitischen Gründen wenigstens teilweise ersetzt. Die Arbeiten an den TOR Erzeugern begannen bereits 2015, im Jahr 2019 wurden sie von der E-Control veröffentlicht. Dazwischen seien rund 200 Besprechungen sowie fünf Konsultationen gelegen, verbunden mit einem umfassenden E-Mail-Schriftverkehr, schildert Martin Lenz, Mitarbeiter im Team „Betriebliche Standards“ bei APG. Wie Lenz erläutert, hätten die TOR Erzeuger vier Teile, die sich auf Anlagen unterschiedlicher Größen beziehen würden, von den sprichwörtlichen Photovoltaikanlagen auf den Dächern von Privathäusern bis zu Großkraftwerken, wie z. B. Pumpspeicher- oder Laufwasserkraftwerke. 

Zu berücksichtigen war bei der Erarbeitung der TOR Erzeuger eine Vielzahl weiterer technischer Entwicklungen. So sind moderne Ökostromanlagen – anders als die „traditionellen“ Großkraftwerke mit ihren drehenden Maschinen – aus Kostengründen meist mit Leistungselektronik (Umrichtern) ausgestattet. Umrichter ermöglichen per Software, den individuellen Betrieb zu optimieren, bringen aber auch einige Nachteile für das Netz mit sich. Wichtige Eigenschaften für die Netzstabilität, die Großkraftwerke mit den „rotierenden Massen“ ihrer Turbinen und Generatoren quasi gratis erbringen, können umrichterbasierte Erzeugungsanlagen nicht inhärent zur Verfügung stellen. Also ist es notwendig, diese Eigenschaft mit der Software der neuen Anlagen wenigstens ansatzweise nachzubilden. Nicht zuletzt wie dies zu geschehen hat, regeln die TOR Erzeuger. 

Ausdrücklich betont Lenz, die TOR Erzeuger seien kein Hindernis für den Anschluss von Ökostromanlagen, „sondern sichern im Gegenteil die Integration der erneuerbaren Energien in die Stromversorgung langfristig ab. Das erfolgt, indem festgelegt wird, welchen Beitrag welche Anlage zum Funktionieren des Gesamtsystems leisten muss.“ Anders wäre es den Netzbetreibern laut Stimmer nicht möglich, ihre Netze sicher zu betreiben. Es sei notwendig, das automatisierte Verhalten auch der Kleinanlagen in ihrer Vielzahl beobachten und bei relevanten Anlagen eingreifen zu können, wenn das Netz an die Grenzen seiner Belastbarkeit stoße. Und Stimmer warnt: „Wenn die Netzbetreiber diese Möglichkeit nicht hätten, könnte der gesicherte Netzbetrieb künftig nicht mehr gewährleistet werden.“ 

Die TOR

Bestimmungen wie die TOR existieren seit Beginn öffentlicher Stromversorgung. 

Heute basieren die TOR auf den Network Codes und Guidelines der Europäischen Union. Sie dienen dazu, das Funktionieren des gesamteuropäischen Stromnetzverbunds sicherzustellen. Jedem EU-Network Code und jeder EU-Guideline sind ergänzend themenspezifische TOR zugeordnet. Diese selbst sind nicht unmittelbar rechtsverbindlich, sondern einzuhaltende Regelwerke, um einen möglichst reibungslosen Betrieb der Übertragungs- und Verteilernetze zu gewährleisten. 

Eine Aufstellung sämtlicher TOR findet sich unter www.e-control.at/bereich-recht/tor

TOR für die Verteilernetze 

Die Energiewende und die Elektrifizierung von Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft seien auch der Grund für die im Gang befindliche Erstellung der neuen TOR „Netze und Lasten – Verteilernetze“, berichtet der Leiter des diesbezüglichen Expertenpools Lukas Schober, der bei der Vorarlberger Energienetze GmbH im Bereich Netzentwicklung und -planung tätig ist. In diesen werden die zukünftigen Anforderungen an Netze und Lasten beim Anschluss an Verteilernetze mit ≤ 110 kV Spannung definiert. Notwendig ist das auch wegen der zunehmenden Elektrifizierung der Wärmeversorgung und des Verkehrs. Hohe Durchdringungsraten von Elektromobilität können bei unbeeinflusstem Laden die Netze überfordern.

Zur Erschließung vorhandener Optionen für ein netzdienliches Verhalten müssen neue Anforderungen und Funktionen für solche Anwendungen eindeutig festgelegt werden, nachgelagert zu und unbenommen von den Möglichkeiten des Lastmanagements der Ladestellenbetreiber. Insgesamt bedarf es einer verstärkten Nutzung der Flexibilitäten, wie eben z. B. Lastmanagement, Smart-Home-Lösungen u.a. Um diese Potenziale nutzen zu können braucht es auch Geräte, die die Kriterien der Ansteuerbarkeit erfüllen. So können sowohl Mobilitätswandel als auch Versorgungssicherheit gewährleistet werden Die Arbeiten am Entwurf der TOR „Netze und Lasten – Verteilernetze“ seien laut Schober bereits weit gediehen. Ein innerhalb der Verteilernetzbetreiber abgestimmter Entwurf wurde der E-Control übermittelt. Geplant ist, diesen mit der Regulierungsbehörde sowie externen Partnern 2022 zu finalisieren. Wie üblich wird dazu eine öffentliche Konsultation stattfinden. Klar ist freilich: Ohne Ertüchtigung und Erweiterung der Stromnetze lässt sich die Energiewende nicht bewältigen. Die TOR machen es jedoch möglich, den kapital- und ressourcenintensiven sowie mit oft überlangen Genehmigungsverfahren belasteten Netzausbau auf ein unabdingbares Minimum zu begrenzen.

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