Studie: Kostet die Transformation weniger als gedacht?
Diese BCG-Studie schlug wenig überraschend Wellen in Deutschland. Mehr als 300 Milliarden Euro könnte der Systemumbau bis 2035 weniger kosten, wenn er nur effizienter laufe. Das gilt nicht nur für unsere nördlichen Nachbarn. Viele Aussagen der Studie dürften auch auf Österreich übertragbar sein. Zu dieser Einschätzung kommt zumindest BCG-Energieexperte Jens Burchardt.

„Sicher ist, dass wir Emissionen senken und die Energiewende vorantreiben müssen“, stellt Burchardt im Gespräch mit der „StromLinie“ von vornherein klar. Sparen bei der Energiewende heiße nicht, sie anzuhalten. Im Gegenteil: Die Elektrifizierung müsse an vielen Stellen beschleunigt werden, mit den richtigen Anreizen ohne Geldverschwendung. „Entscheidend für die Kosten der Energiewende ist, wie wir sie umsetzen“, sagt er. „Wir werden sie viel besser als bisher koordinieren müssen.“
Warum die Stromkosten wirklich gestiegen sind.
Ungleichgewichte im Netz, überschießende Erzeugung mit Negativpreisen sind keine seltenen Phänomene mehr, sondern Daueranforderungen, die in Summe teuer sind, auch in Österreich.
In Deutschland waren die Probleme durch den schnellen Atomausstieg verschärft, eine Rückkehr ist ausgeschlossen, auch unter der neuen CDU-SPD-Regierung von Friedrich Merz (CDU). Schnell hat er allen deutschen Stromkundinnen und -kunden deutlich niedrigere Stromrechnungen versprochen. Bis zum 11. Juli sollen die Details stehen. Schnitte bei Stromsteuern, Umlagen und Netzentgelten sind geplant, finanziert das der Staat, wird es teuer. Mit Umlenkungen, wie sie BCG vorschlägt, hat das wenig zu tun. Das Institut der Deutschen Wirtschaft IW in Köln beurteilt das Paket als „kurzfristiges Pflaster“ für ein „größeres Problem“. Die Kosten würden nur von einzelnen Verbraucherinnen und Verbrauchern in den Bundeshaushalt verschoben.

Insgesamt sind die deutschen Stromkosten laut BCG-Experten seit 2010 um 70 Prozent gestiegen. Sie sind nur ein Teil des Cocktails explodierter Energiekosten, Gas spielt die größte Rolle. Burchardt zufolge geht eine Hälfte des Strompreisanstiegs auf Putins Kosten, die andere Hälfte sei aber hausgemacht mit Kernkraftausstieg, Lernkurve bei den Erneuerbaren und hohen Redispatch-Kosten durch anhaltende Netzengpässe.
Weniger Ausbau an der falschen Stelle – mehr dort, wo nötig.
Insgesamt 20 Hebel sieht BCG, mit denen die Einsparungen realisiert werden sollten. Zentraler Punkt der BCG-Studie ist eine straffe Steuerung der Energiewende entlang der tatsächlichen Strombedarfe, die offenbar deutlich niedriger sind als angenommen. Mit 50 Prozent mehr Strombedarf rechnete die einstige Ampelregierung bis 2030. Nur müssten dafür längst viel mehr E-Autos unterwegs sein, viel mehr Häuser saniert und mit Wärmepumpen ausgerüstet sein und viel mehr Unternehmen Produktionen umgestellt haben. BCG schätzt die künftige Stromnachfrage deshalb um 15 Prozent niedriger ein. Die Infrastrukturplanung sei daran anzupassen. In einigen Bereichen sei weniger Ausbau-Ambition notwendig, woanders mehr, auch regional unterschiedlich, etwa beim Ausbau des Stromnetzes und der Erneuerbaren-Erzeugung. Einfach ausgedrückt: Kein Geld für Dinge aus dem Fenster werfen, die so vorerst oder vielleicht gar nicht gebraucht werden, dafür woanders anschieben. Der gesamte Erneuerbaren-Ausbau könnte bis 2030 um rund 25 Prozent kleiner ausfallen, so das Fazit von BCG.
Konkret auf die Realität umgelegt lauten die Fragen: Wie viele E-Autos werden bis 2030 fahren und Strom tanken, wie viele Wärmepumpen werden betrieben und wie schnell stellt die Industrie ihre Prozesse auf Strom oder mittelfristig sogar Wasserstoff um. Diese Abnehmer sind millionenfach notwendig, systemdienlich ausgestattet mit Energiepuffern, um möglichst oft teure Phasen von Negativpreisen zu verhindern. In dem Zusammenhang spart natürlich auch die Abregelung von Erzeugungsspitzen Geld.
„Wichtig zu verstehen ist, dass wir mehr Elektrifizierung brauchen,“ so Burchardt. Die Flexibilität der Nachfrage müsse dringend erhöht werden. Burchardt: „Was wir nicht brauchen, ist das Motto: Wir müssen egal welche Erneuerbaren-Kapazität egal an welchem Ort und egal zu welchem Preis ins Netz integrieren.“
Derzeit stünden sich noch zu sehr zwei Lager gegenüber, jenes der Verfechter eines größtmöglichen Erneuerbaren-Ausbaus und jenes der Kritiker, die die Stopptaste drücken wollen, weil der Ausbau zu hohe Systemintegrationskosten produziere – denn Recht haben beide Seiten, zumindest teilweise.
Bei bester Koordination könnte laut BCG die Megawattstunde Strom in Deutschland künftig 40 Euro weniger kosten als jetzt. Eine vierköpfige Familie mit einem E-Auto und einem Haus mit Wärmepumpe würde so 600 Euro pro Jahr sparen.
In der mehr als 60-seitigen Studie werden die Beträge akribisch aufgelistet, die zusammenkommen, wenn Windkraftparks nicht Offshore, sondern an Land bebaut werden; oder bei Photovoltaik auf effizientere Großflächenanlagen statt Aufdach-PV gesetzt werde. Das Verlegen von Erdkabeln sei gegenüber dem Bau von Freileitungen so viel teurer, dass man darauf möglichst verzichten sollte.
Batterietechnologie statt Wasserstoff.
Ein bedeutender Teil des errechneten Sparpotenzials entfällt auf die Vermeidung unnötiger Risiken, deshalb seien alle Investitionen in die Versorgungssicherheit elementar. In Deutschland ist deshalb schon lange eine Reihe von Gaskraftwerken geplant, in denen ab 2035 auch Wasserstoff rückverstromt werden soll. Die neue deutsche Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) will das Thema ebenfalls schnell vorantreiben. Ob sie dabei den Empfehlungen der BCG zum Thema Wasserstoff folgen wird, ist fraglich.
Denn bei BCG glaubt man nicht an billigen grünen Wasserstoff Made in Germany, auch nicht in zehn oder 15 Jahren. Viel eher wird günstiger Wasserstoff dann aus anderen Regionen der Welt kommen. BCG sieht in der Wasserstoff-Infrastruktur die schwierigen letzten zehn Prozent der Energiewende. Auf die Rückverstromung von Wasserstoff bereits ab 2035 sollte man verzichten. Zehn Gigawattstunden Wasserstoffproduktion waren dafür bisher veranschlagt. Das sei unrealistisch, die Kostenrisiken enorm, wenn teure Infrastruktur unausgelastet bliebe.
Günstiger seien Batteriespeicher, deren Leistungsfähigkeit und Ressourcenverträglichkeit rasant steige. Auch biogene Energieträger müssten stärker in den Fokus rücken, nicht CO2-neutraler blauer Wasserstoff sollte kein absolutes Tabu sein. Nicht zuletzt müsse Carbon Capture and Storage CCS eine Rolle bei der Reduktion von Emissionen spielen dürfen. Das Verpressen von Kohlendioxid unter die Erde ist in Deutschland genauso verboten wie in Österreich. Hierzulande wurden im Vorjahr aber erste Vorstöße unternommen, um ein Gesetz für CCS zu schaffen.
Studie zum Download
Studie: Energiewende auf Kurs bringen |

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