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Stromversorgung: Stressmonat Jänner

Im Jänner ist in Österreich der Stromverbrauch am höchsten, die Produktion aber am niedrigsten. Was bedeutet das in der aktuellen Krisenlage? Eine gesamteuropäische Suche nach Antworten.

Schneelandschaft mit Strommasten
© AdobeStock/Konstiantyn

Die publikumswirksame Interpretation des Problems hat bereits vor zehn Jahren Marc Elsberg geliefert. In seinem Bestseller „Blackout“ beschreibt der Wiener Autor, wie das Leben in Europa ohne eine sichere Stromversorgung aussehen würde: Unruhen, Menschen, die Geld horten, Panik.

Mit der Realität, wie sie als Folge des Ukraine-Kriegs auf uns zukommen könnte, hat das Buch allerdings wenig zu tun. Allein schon deshalb, weil Elsberg an vielen Stellen seines Romans weit über die Grenzen des tatsächlich Vorstellbaren hinausschießt. Vor allem aber weil das Bedrohungsszenario, auf das sich alle europäischen Länder derzeit vorbereiten, nicht Blackout heißt, sondern, zugegebenermaßen etwas sperrig: Strommangellage.

Jens Görke, Manager des deutschen Netzbetreibers Tennet und am dortigen Strom-Stresstest beteiligt, erklärt den Unterschied zwischen den beiden Szenarien Blackout und Strommangellage mit den Begriffen „unkontrolliert“ und „kontrolliert“: „Wir gehen aktuell nicht von einem erhöhten Risiko von Blackouts aus, also von unkontrollierten Netzausfällen“, sagt er. Was alle europäischen Netzbetreiber derzeit aber massiv beschäftige, sei die Frage, ob man in diesem Winter als Notmaßnahme zu kontrollierten Abschaltungen oder anderen einschränkenden Maßnahmen greifen müssen werde, um das Netz stabil zu halten.

Droht Österreich eine Mangellage?In Österreich, erklärt Jürgen Schneider, Sektionschef in der Sektion Klima und Energie des Klimaschutzministeriums, seien solche Maßnahmen durch das Energielenkungsgesetz 2012 definiert.

Dr. Jürgen Schneider
„Energielenkung ist eine Ultima Ratio und wird nur in dem Ausmaß ergriffen, das unbedingt erforderlich ist.“ Jürgen Schneider Sektionschef in der Sektion Klima und Energie des Klimaschutzministeriums

Sie könnten je nach Situation von der Verpflichtung zum Stromsparen über die Zuteilung der elektrischen Energie nach Dringlichkeitsstufen bis zu Einschränkungen bei Großverbrauchern oder der Vorschreibung von Kontingenten reichen. Zugleich betont Schneider aber: „Energielenkung ist eine Ultima Ratio und wird nur in dem Ausmaß ergriffen, das unbedingt erforderlich ist.“

Für sehr wahrscheinlich hält Schneider das aber ohnehin nicht: „Die Versorgungssicherheit ist stabil“, urteilt der Sektionschef, „aus aktueller Sicht sind keine Lastdeckungsprobleme zu erwarten.“ Eine Sichtweise, der sich Alfons Haber, Vorstand der E-Control, anschließt: „Wir können derzeit davon ausgehen, dass im kommenden Winter alle Kunden mit Strom versorgt werden.“

Risikofaktor StandortDie Entso-E, der Dachverband aller europäischen Stromnetzbetreiber, stellt in ihrem Ausblick für den Winter 2022/23 ein regional unter­schiedlich hohes Risiko von Stromunterversorgung in Europa fest.Österreich wird in dem Ausblick nicht als ein potenziell gefährdetes Land genannt. Kritischer sieht der Bericht die Situation in Frankreich, Irland, teilweise auch in Malta, Deutschland und Polen.

Dabei verweist er unter anderem auf den Winter Outlook Report der Entso-E, der Dachorganisation aller europäischen Netzbetreiber. Der Report benennt einige europäische Länder, in denen es unter bestimmten Annahmen in diesem Winter zu Versorgungsengpässen kommen kann, etwa Frankreich, Irland, teilweise auch Malta, Deutschland und Polen. Österreich wird aber nicht erwähnt.


Lastunterdeckung möglich, aber unwahrscheinlichDer im November abgeschlossene nationale österreichische Stresstest der APG, der Austrian Power Grid, die das heimische Übertragungsnetz betreibt, bestätigt diese Einschätzung. In seinen Berechnungen variiert der APG-Stresstest im Wesentlichen vier Faktoren: die Verfügbarkeit von französischem Atomstrom am europäischen Strommarkt, die für Österreichs Stromimporte wichtige Kraftwerksleistung in Deutschland, eine mögliche Verknappung des Erdgasangebots und eine mögliche Laststeigerung aufgrund des Umstiegs von Gas auf elektrische Energie, etwa in der Hauswärme oder bei industriellen Prozessen.

Nur in einer sehr unwahrscheinlichen negativen Kombination all dieser Faktoren könnte sich eine Strommangellage in Österreich entwickeln. Das wäre etwa dann der Fall, wenn die deutsche Kraftwerksleistung zumindest um zwei Gigawatt niedriger ausfällt als normal, es zugleich in Europa zu einer Stromnachfragesteigerung um mehr als fünf Prozent kommt und außerdem eine Verknappung des Erdgasangebots auf achtzig oder weniger Prozent eintritt. In einem solchen Fall würde in Österreich an rund 500 bis 800 Stunden des kommenden Winters eine Lastunterdeckung herrschen: Nicht mehr alle Netznutzer könnten dann so viel Strom entnehmen, wie sie brauchen, Reglementierungen wären notwendig.

Einflussfaktor StromverbrauchKritisch würde die Versorgungslage in Europa vor allem dann werden, wenn die Substitution von Erdgas durch Strom, etwa bei Hauswärme, zu einer um fünf oder gar zehn Prozent höheren Stromnachfrage führt. Die EU versucht das im Vorfeld zu verhindern. Mit dem Ziel, zwischen Anfang Dezember und Ende März den Verbrauch um zehn Prozent, die Lastspitzen um fünf Prozent zu senken.

In der Praxis scheint allerdings ein anderes Szenario viel wahrscheinlicher: Die einzelnen Risikofaktoren werden zwar einmal stärker und einmal weniger stark eintreten, doch nie in einer Kombination, die zu einer akuten Gefahr führen würde. Aus diesem Grund fasst die APG die Lage vor dem Winter als „herausfordernd, aber beherrschbar“ zusammen. Eine ausführliche Darstellung des APG-Strom-Stresstests und seiner Methodik finden Sie in unserem Dossier.
 

Viele VariablenWas freilich nicht bedeutet, dass Österreich sich bequem zurücklehnen könnte. Denn vor allem eines gilt es im Auge zu behalten: Sowohl beim nationalen Stresstest der APG als auch bei den Berechnungen der Entso-E handelt es sich um Modellrechnungen. Sie versuchen, die Zukunft unter der Annahme bestimmter Prämissen abzubilden, haben aber nicht die Aussagekraft exakter Prognosen. Je mehr Variablen im Spiel sind, desto größer werden auch die Unwägbarkeiten.

Zu ihnen gehört zunächst einmal die Frage, wie gut es Europa gelingt, den nicht zwingend nötigen Stromverbrauch so weit zu reduzieren, dass selbst bei ungünstigen Wetterbedingungen das Szenario einer Laststeigerung vermieden werden kann. Zwischen dem 1. Dezember und dem 31. März soll, so die Entscheidung der Europäischen Kommission, der Verbrauch um zehn Prozent fallen, die Lastspitzen sollen um fünf Prozent gesenkt werden.
 

Schlüsselfaktor: FrankreichEine andere Variable bildet Frankreich. Dort bleibt die Lage weiter sehr angespannt. Nach wie vor ist ungewiss, wie viele der im Sommer abgeschalteten französischen AKWs wieder in Betrieb gehen können. Wie Modellrechnungen der Entso-E zeigen, ist dieser Punkt für ganz Europa zentral. Kehren in Frankreich nämlich nicht ausreichend Kraftwerke ans Netz zurück, kann Frankreich seine Rolle als Stromlieferant für andere europäische Länder nicht im gewohnten Ausmaß erfüllen.

Schlüsselfaktor FrankreichWie sehr Europas Stromversorgung in diesem Winter an seine Grenzen gelangt, hängt auch von der Lage in Frankreich ab. Frankreich, ein wichtiger Stromlieferant für viele EU-Länder, hat im Sommer zahlreiche Atomkraftwerke wegen technischer Probleme abschalten müssen. Können weniger als zwei Drittel davon wieder in Betrieb genommen werden, ist in einigen Ländern Europas eine Unterversorgung mit Strom nicht ausgeschlossen.

Was weitreichende Folgen hätte: Stehen zum Beispiel in Frankreich heuer nur zwei Drittel des dort sonst verfügbaren Atomstroms zur Verfügung, wären, so formuliert es jedenfalls der Bericht zum deutschen Netz-Stresstest, Stromabschaltungen nicht auszuschließen. Für Österreich stellen sich die direkten Auswirkungen nicht so dramatisch dar. Der Stresstest der APG zeigt aber, dass in Kombination mit anderen Ereignissen ein Unterangebot aus Frankreich auch hierzulande zu Problemen führen kann.

Eine weitere Variable bildet das Wetter. Ein kalter Winter würde sich für die Stromversorgung vor allem dort negativ auswirken, wo viel mit Strom geheizt wird. Da ausgerechnet Frankreich zu diesen Ländern gehört, wäre das besonders schlimm, weil Frankreich dann seine in diesem Jahr ohnehin niedrigen Exportkapazitäten weiter kappen müsste.
 

Angelpunkt: WasserkraftDoch auch ein warmer Winter könnte seine Tücken haben, nämlich dann, wenn er niederschlagsarm bleibt. Das hätte spätestens im nachfolgenden Frühling massiven negativen Impact auf die Energieverfügbarkeit, vor allem in jenen Ländern, die wie Österreich einen beträchtlichen Anteil ihres Stroms aus Wasserkraft generieren.

Alfons Haber
„Wir können derzeit davon ausgehen, dass im kommenden Winter alle Kunden mit Strom versorgt werden.“ Alfons Haber Vorstand E-Control

Schon im aktuellen Jahr gab es bei Wasserkraft in den Alpen eine sehr angespannte Erzeugungssituation – rund ein Drittel weniger als in einem durchschnittlichen Jahr. Ähnlich betroffen war aber auch das außeralpine Norwegen, aufgrund seines Wasserreichtums im Normalfall ein wichtiger Stromlieferant für die Europäische Union.

„Ganz unabhängig von der aktuellen Lage werden sich Stromproduzenten und Verbraucher darauf einstellen müssen, dass das Wettergeschehen nicht mehr so stark jenen Abläufen folgt, wie wir sie bisher gewohnt waren“, kommentiert daher E-Control-Vorstand Alfons Haber.

Prädikator WetterDass ein kalter Winter die Lage verschärfen würde, ist offensichtlich. Besonders negativ würde er sich aber in Ländern auswirken, in denen es einen hohen Anteil an Stromheizungen gibt. Ungünstigerweise gehört zu diesen Ländern auch Frankreich, ein wichtiger Stromlieferant für viele europäische Länder.

Andererseits, und das zeigt die Komplexität der aktuellen Lage, hat Österreich in diesem Jahr von dem extrem milden und langen Herbst sehr profitiert, weil in dieser Zeit kaum Gas zur Produktion von Strom genutzt werden musste und die für etwaige Mangellagen aufgebauten Reserven geschont wurden.
 

Gut gefüllte SpeicherAuch bei den Pumpspeichern ist die Lage trotz des in diesem Jahr geringen Wasserdargebots recht günstig. Pumpspeicher spielen angesichts möglicher Gasknappheit eine besondere Rolle, da die mit ihrer Hilfe gespeicherte Energie zur Netzstabilisierung genützt werden kann und die Importabhängigkeit Österreichs begrenzt.

Helmut Mennel
„Bei den drei Jahres­speichern soll zum Jahreswechsel ein Füllstand von 80 Prozent nicht unterschritten werden. Derzeit sind die Speicher zu über 90 Prozent gefüllt.“ Helmut Mennel Mitglied des Vorstandes der illwerke vkw

Die großen österreichischen Wasserkraftwerksbetreiber, der Verbund, die Tiwag und die illwerke vkw, melden derzeit hohe Speicherstände. „Unsere Speicher sind beinahe zu hundert Prozent gefüllt“, ist etwa aus Tirol zu erfahren. Helmut Mennel, Mitglied des Vorstandes der Vorarlberger illwerke vkw, berichtet wiederum: „Bei den drei Jahresspeichern Lünersee, Kopssee und Silvrettasee soll im kommenden Winter zum Jahreswechsel ein Füllstand von 80 Prozent nicht unterschritten werden. Derzeit sind die Speicher zu über 90 Prozent gefüllt.“

Karl Heinz Gruber
„Die Reservoirs der Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke in Österreich sind gut gefüllt. Sie werden in den kommenden Monaten eine Trumpf-Karte sein.“ Karl Heinz Gruber Mitglied der Geschäftsführung bei VERBUND Hydro Power und Spartensprecher Erzeugung bei Oesterreichs Energie

Und auch Karl Heinz Gruber, Mitglied der Geschäftsführung bei VERBUND Hydro Power und Spartensprecher Erzeugung bei Oesterreichs Energie, blickt zuversichtlich in die Zukunft: „Die Reservoirs der Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke in Österreich sind gut gefüllt. Sie werden in den kommenden Monaten eine Trumpf-Karte sein, weil sie, je nach Bedarf, Ausgleichs- und Regelenergie bereitstellen und damit maßgeblich zur Netzstabilität und Versorgungssicherheit beitragen.“

Zugleich warnt Gruber allerdings davor, die Hände in den Schoß zu legen: „Die grundsätzlich gute Ausgangslage kann über eines nicht hinwegtäuschen: Eine versorgungssichere Energiewende kann nur gelingen, wenn wir rasch die erneuerbare Erzeugung, die Speicher und die Netze ausbauen.“
 

Fazit: Es bleibt viel zu tunZu tun ist tatsächlich viel. In den vergangenen fünf Jahren, führt E-Control-Vorstand Alfons Haber aus, habe Österreich pro Jahr in den Wintermonaten Oktober bis März durchschnittlich 36,5 TWh an Strom verbraucht, aber nur 31,1 TWh in den österreichischen Kraftwerken produziert. Kurzfristig, betont Haber, werde ein Verzicht auf Importe daher nicht erreichbar sein. „Umso mehr entlastet uns jede eingesparte Kilowattstunde, und deshalb zählen in der aktuellen Lage auch kleine Schritte, etwa die Reduzierung von Hausbeleuchtungen oder der Verzicht auf elektrische Weihnachtsdekoration. Wenn viele Menschen das tun, ergibt das eine wichtige Signalwirkung.“

Variable DeutschlandFür die Stromversorgung in Österreich sind im Winter Importe aus Deutschland ein wichtiger Faktor. Fällt die Kraftwerksleistung in Deutschland um mehr als zwei bis drei Gigawatt und kommen weitere negative Ereignisse wie zum Beispiel eine stark erhöhte Stromnachfrage dazu, könnte die Situation auch für Österreich schwierig werden. Sehr wahrscheinlich ist dieses Szenario aber nicht.

Denkbar sind aber auch weitere verstärkte offizielle Sparaufrufe, wenn sich eine mögliche Mangellage anbahnen sollte. Frankreich will zu diesem Zweck eine Stromampel einführen. Dieser Schritt hat allerdings den Hintergrund, dass in Frankreich wegen der vielen Stromheizungen Privatpersonen auch kurzfristig ziemlich starke Verbrauchssenkungen herbeiführen können. In Österreich würden derzeit ebenfalls konkrete Maßnahmen zur Erfüllung der von der Europäischen Kommission vorgegebenen Sparquoten erarbeitet, berichtet Jürgen Schneider vom Klimaschutzministerium. Um die Versorgungslage aktuell kommunizieren zu können, startet die APG ab Dezember außerdem einen wöchentlichen Power Monitor.
 

Zerstörte Infrastruktur in der UkraineZumindest in einem Punkt kann indessen Entwarnung gegeben werden. Auch wenn niemand in der Lage ist vorherzusagen, wie sich das Kriegsgeschehen in der Ukraine im kommenden Winter entwickeln wird: Die mancherorts zitierte Ansicht, die Zerstörung der ukrainischen Energieinfrastruktur könnte auch die Versorgung Europas gefährden, besteht nicht. Zwar wurde das ukrainische Netz knapp nach Kriegsbeginn im Rahmen einer Notsynchronisation an den Entso-E-Netzverbund angeschlossen, auf dem kontinentaleuropäischen Strommarkt wurde die Ukraine in der Folge aber nicht aktiv. Importe aus der Ukraine gab es keine, sie sind und waren auch nicht vorgesehen.

Jens Görke, Manager in der Systemführung des deutschen Netzbetreibers Tennet, erklärt die aktuelle Situation daher folgendermaßen: „Um die Stromversorgung in der Ukraine zu unterstützen, exportieren kontinentaleuropäische Übertragungsnetzbetreiber derzeit in begrenztem Umfang Strom in die Ukraine als sogenannte Frequenzwiederherstellungsreserve, damit das dortige Netz ordnungsgemäß funktioniert. All dies liegt innerhalb der Grenzen des europäischen Stromnetzes, das somit stabil ist und keine Frequenzprobleme aufweist.“

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