Start-Up: Windrad kaufen per App?
Windräder kaufen. Oder einen Photovoltaik-Park. Was bis vor Kurzem nur Großinvestoren vorbehalten war, ist nun dank eines in München und Wien ansässigen Start-ups auch für Privatanleger möglich. Per App und ab einem Mindestbetrag von 100 Euro können Interessierte in konkrete Erneuerbaren-Projekte investieren und so Teil der Klima- und Energiewende werden.
So viel lässt sich mit Gewissheit sagen: Diese Idee ist wirklich forschungsbasiert entstanden. Als Finanzwissenschaftler und inzwischen Leiter des Instituts für Bank- und Versicherungswirtschaft an der steirischen FH Joanneum beschäftigt sich Michael Murg ausgiebig mit der Frage, was Menschen dazu bringt, auf bestimmten Märkten tätig zu werden. Und was sie davon abhält.
In Kurzversion und mit der für die Praxis nötigen Verkürzung könne man, sagt Murg, drei Punkte benennen. „Zunächst einmal müssen die Anleger das Produkt verstehen oder zumindest das Gefühl haben, dies zu tun.“
Traditionelle Anlageformen wie Aktien, Anleihen oder Fonds, sagt Murg, hätten noch einen weiteren Nachteil, der sie für viele Menschen als Anlageform ausscheiden lasse: Sie seien abstrakt. „Die meisten Anleger wollen aber in ein Produkt investieren, das angreifbar ist, das man sehen kann.“ Und schließlich, setzt er fort, gebe es bei der Entscheidung für oder gegen ein Investment auch ein Home-Bias: Anleger bevorzugen in der Regel den Heimatmarkt. Deshalb investieren Österreicher im Schnitt häufiger in österreichische als in ausländische Unternehmen.
Ideales Investment
Irgendwann, erzählt Murg, der ebenso viel Begeisterung für die Wissenschaft wie für das Unternehmertum aufbringt, habe er nachzudenken begonnen, wie ein Investmentangebot aussehen könnte, das den drei oben genannten Kriterien entspreche: leicht verständlich, konkret und vor Ort vorhanden.
Auf Immobilien als Antwort zu kommen, war nicht wirklich schwer. Allerdings: Das gängige Immobilieninvestment bedarf einer starken finanziellen Basis. Einige tausend oder hundert Euro kann man in alles Mögliche investieren – ein Haus um das Geld gibt es nicht, eine Wohnung auch nicht. Und genau das war der Punkt, an dem Murg ansetzte.
Wenn man Immobilien in kleine Anteile zerlegen würde und diese Anteile dann zum Verkauf anbietet, dann könnten Anleger beliebig große Teile einer konkreten Immobilie kaufen und davon in der Folge gleich zweifach profitieren: zum einen durch die Wertsteigerung, zum anderen aber, wenn das Objekt vermietet ist, von den aliquoten Mieteinnahmen.
Was zunächst als ambitioniertes Gedankenspiel begann, erwies sich nicht zuletzt dank Digitalisierung als tatsächlich machbar. 2018 brachte Murg gemeinsam mit seinen Co-Gründern Valentin Perkonigg, Marco Neumayer und Klaus Pateter das Start-up Brickwise auf den Markt. Seitdem können über die Plattform digitale Immobilienanteile gehandelt werden. Sobald der Kauf erfolgt ist, wird im Grundbuch auch eine entsprechende Sicherheit, ein sogenanntes Kollektivpfandrecht, eingetragen. Der Begriff, mit dem man diese Form des Immobilienhandels und -investments bezeichnet, lautet übrigens Tokenisierung. Rund 23.000 Menschen nutzen inzwischen Brickwise, das Transaktionsvolumen liegt bei über 23 Millionen Euro.
Tokenisierung der grünen Wende
Inzwischen geht Brickwise aber einen Schritt weiter. Nach dem gleichen Prinzip, nach dem das Unternehmen Investitionen in Wohnobjekte ermöglichte, will es nun Privatanlegern einen Zugang zu Projekten für die Klima- und Energiewende verschaffen. „Wir wollen, dass Interessierte sich ganz einfach per App an Projekten aus dem Bereich der erneuerbaren Energien beteiligen können. Denn zum einen sehen wir hier vielfach den Wunsch, auch mit kleineren Beträgen dabei zu sein. Zum anderen sind die Renditeerwartungen nach wie vor sehr gut, und für viele Menschen wird es immer wichtiger, in Nachhaltigkeit zu investieren“, erklärt Murg.
Der Tokenisierung von Häusern soll nun also auch eine Tokenisierung der Windräder, PV-Anlagen und Speicher folgen. Ein entsprechendes Projekt, das bereits auf der Brickwise-Plattform gehandelt werden kann, ist die Photovoltaikanlage am Dach der Green-Point Immobilie in Wiener Neustadt. Ihre Leistung beträgt 178 kWp, der produzierte Strom wird zum Großteil von den Mietern des Gebäudes genutzt. Die Erträge aus dem Projekt sind daher weitgehend unabhängig von etwaigen Schwankungen am Strom-Markt.
Michael Murg (40)
hat nahezu sein gesamtes berufliches Leben damit verbracht, Wissenschaft und Unternehmertum miteinander in Einklang zu bringen. Und zwar ganz praktisch, indem er zunächst neben dem Studium und dann neben seinem Job in der Wissenschaft theoretische Szenarien in die Praxis umsetzt. Derzeit leitet Murg das Institut für Bank- und Versicherungswirtschaft an der FH Joanneum. Seine Expertise darüber, wie Finanzmärkte funktionieren und was Effizienz am Finanzmarkt bedeutet, hat er als Gründer von Brickwise in das Unternehmen eingebracht, an dem er heute als Mitglied des Advisory Boards mitarbeitet.
Seine Triebfeder sei es, sagt Murg, Dinge aufzubauen: „Zu sehen, ob eine Idee funktioniert, Lösungen zu finden, die den Markt effizienter machen, das fasziniert mich.“ Seit dem Jahr 2000 in der Finanzwirtschaft tätig, war Murg einer der Gründer von Savity, einer Online-Vermögensverwaltung, die inzwischen von Amundi übernommen wurde. In seiner Freizeit ist der 40-Jährige gern in den Bergen unterwegs, wobei er seine jüngste alpine Leidenschaft, das Paragleiten, nach einer allzu innigen Begegnung mit einer Fichte derzeit aufs Eis gelegt hat.
Doch das solle erst der Anfang sein, erzählt der Brickwise-Gründer Murg. Weitere Vorhaben aus dem Bereich grüne Energie seien bereits in der Pipeline. Inzwischen merke er auch ein starkes Interesse von Bürgermeistern, die auf den Dächern von Schulen oder Gemeinden PV-Anlagen errichten wollen und darüber nachdenken, das über Brickwise zu finanzieren. Wie bei anderen Angeboten von Brickwise können Nutzer auch bei den Projekten zur grünen Energie bereits ab 100 Euro einsteigen.
Hürden aus dem Weg räumen
„Eine Immobilie zu kaufen oder sich an einem Erneuerbaren-Projekt zu beteiligen, war für Privatpersonen bislang mit einem hohen organisatorischen Aufwand verbunden. Wir räumen all diese Hürden aus dem Weg, damit es attraktiv wird, selbst mit relativ kleinen Beiträgen dabei zu sein“, sagt Murg.
Die Plattform hat für Private aber noch einen weiteren Vorteil: Sie bietet eine deutlich höhere Liquidität als der Immobilienmarkt selbst. Wenn jemand seine Anteile an einem Haus, einer Wohnung oder eben einer PV-Anlage wieder loswerden wolle, könne man daher davon ausgehen, es in verhältnismäßig kürzerer Zeit zu tun, sagt Murg. „Bei den PV-Anlagen kann man überhaupt sagen, dass wir Liquidität in einen Markt bringen, die es bislang in dieser Form noch nicht gab. Das ist schon einmalig.“
Die Ziele, die Brickwise sich für die Zukunft setzt, sind ambitioniert: Eine Milliarde Transaktionsvolumen bis 2025 und im Jahr 2024 mindestens hundert Projekte im Energiesektor will das inzwischen 21-köpfige Team erreichen. Zugleich treibt man die Expansion in den deutschen Markt voran.
Großes Wachstumspotenzial
Wachstumspotenzial sieht Murg aber auch in einer verstärkten Kooperation mit den Errichtern von PV-Parks, Windrad-Anlagen und mit Energieversorgern. Letztere hätten zwar üblicherweise nicht unbedingt das Problem, dass sie für die Finanzierung ihrer Projekte auf den Kleininvestoren-Markt angewiesen wären, als ein Mittel der Kundenbindung könne die Plattform aber auch für sie sehr spannend sein, findet Murg.
Die Geschäftsmodelle, die Brickwise im Rahmen von Green-Energy-Solutions anbietet, sprechen zwei wichtige Aspekte an. Zum einen können über die Plattform Modelle realisiert werden, bei denen Kunden für ihr Investment eine Gutschrift oder eine Verzinsung auf ihre Energiekosten erhalten. Zum anderen kommt bei den Beteiligungen aber auch eine starke emotionale Komponente hinzu. Denn die Teilhaber können über eine App die Energiedaten in Echtzeit mitverfolgen. „Auf diese Weise fördern wir das innere Engagement und das Gefühl, dass es sich tatsächlich um eine Anlage handelt, deren Teileigentümer man ist“, erklärt Murg.
Das Unternehmen
Brickwise
Sitz: Graz
Gründung: 2018
Aktuelle Märkte: Österreich, Deutschland
Geschäftsmodell: Plattform, über die Anteile an Immobilien und Projekten der erneuerbaren Energie gekauft und verkauft werden können. Der Mindestbetrag, der investiert werden muss, liegt bei 100 Euro. Damit will Brickwise Privatpersonen Investitionen ermöglichen, die für sie bislang wegen des hohen Aufwands und der hohen Kapitalhürde nicht möglich waren.
Um Kooperationen mit institutionellen Interessenten anzukurbeln, bietet Brickwise seine Lösungen im Bereich der grünen Energie in einer White-Label-Version an. „Die Technik und das Know-how kommt von uns, das Branding macht aber der Kunde, was für ihn natürlich den Vorteil einer noch stärkeren Identifikation mit seinem Projekt hat.“
Für Privatanlegerinnen und -anleger hat man sich aber auch etwas einfallen lassen, um den Zugang zu Investitionen in grüne Energie noch bequemer zu gestalten. Seit Sommer besteht eine Partnerschaft mit Greeninfra, einem Lösungsanbieter für E-Mobilität und Smart-Home-Anwendungen. Die gemeinsame Greenmer-App, über die die Anteile an PV-Anlagen, Windrädern und Speichern gehandelt werden können, werde dem Geschäft einen weiteren Boost verpassen, ist Murg überzeugt.
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