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Start-up: KI-gestützte Prognosetools für die Stromerzeugung

Mit Purple Energy hat Bernhard Wüster ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Projekt gestartet – ein Start-up, das KI-gestützte Prognosetools für die Stromerzeugung und den Energieverbrauch in die traditionelle Welt eines mehr als 120 Jahre alten Kleinunternehmens integriert. Mit Erfolg.

Die besten Geschäftsideen entstehen doch an der Bar“, sagt Bernhard Wüster. Wer meint, ein Mann, der das so formuliert, müsse wohl Vertreter für Hochprozentiges oder zumindest ein Brauereiangestellter sein, täuscht sich. Denn Bernhard Wüster ist Energieunternehmer, und zwar in fünfter Generation. 2014 hat er die 1898 gegründete wüsterstrom von seinem Vater operativ übernommen.

Photovoltaikanlage
Energieerzeugung: KI-gestützte Prognosetools für Erzeugung und Verbrauch könnten ein Gamechanger für die Transformation des Energiesystems werden.
© Riedler
Wasserkraftwerk
© Klingenboeck



Wer meint, einer, der in ein solches Traditionsunternehmen hineinwächst, könne nicht zugleich ein innovativer Start-uper sein, täuscht sich allerdings auch. Bernhard Wüster ist das beste Beispiel dafür: Er hat vor drei Jahren innerhalb des wüsterstrom-Universums Purple Energy gegründet, ein Spin-Off, das KI-gestützte Prognosen für die Stromerzeugung und den Stromverbrauch liefert. Und ja, seine Geschäftsidee entstand tatsächlich an einer Bar – als er zufällig einen Freund aus Kindertagen traf, mit dem er länger keinen Kontakt hatte.

Der Freund, stellte sich heraus, arbeitete als Mathematiker in einem Unternehmen, das KI-Prognosen für den Bankensektor erstellt. „Ein Scherz ergab den anderen, eine Anekdote die andere und am Ende des Abends waren wir uns einig: Wir versuchen es mit einem Start-up, das KI-Prognosen für den Energiesektor liefert“, erinnert sich Wüster.
 

Zuverlässige Antwort auf volatile Zeiten

Das war vor drei Jahren. KI war damals noch nicht ganz so allgegenwärtig wie heute, doch natürlich experimentierte der Energiesektor auch damals schon mit diversen KI-Anwendungen. Denn der Bedarf war auch vor drei Jahren evident: „Je mehr Menschen eine PV-Anlage haben, je mehr sie mit Wärmepumpen heizen, je mehr sie auf E-Mobilität setzen, desto schwieriger wird es, Lastprofile vorherzusagen“, erklärt Wüster.

Bernhard Wüster, Purple Energy

„… am Ende des Abends waren wir uns einig: Wir versuchen es mit einem Start-up, das KI-Prognosen für den Energiesektor liefert.“
 

Bernhard Wüster Purple Energy

Die früher von Energieversorgern praktizierte Methode, mit Jahres- oder Monatsprofilen in den Markt zu gehen, funktioniert unter den neuen Marktgegebenheiten nicht mehr. „Wer falsch einkauft, bleibt auf zu viel Strom sitzen und muss ihn zu billigeren Preisen wieder verkaufen. Wer zu wenig einkauft, muss gegebenenfalls zu höheren Marktpreisen beziehen. Das ist natürlich verheerend“, sagt Wüster. „Denn da zahlt man gleich doppelt drauf: beim Einkauf und beim Verkauf.“

Genau hier setzt Purple Energy an. Das Unternehmen liefert KI-gestützt exakte Viertelstunden-Prognosen für den Folgetag: „Es geht um den Day-Ahead-Markt. Unser Ziel ist, dass unsere Kunden besser am Spotmarkt agieren können.“
 

Die Zukunft liegt im Digitalen

Purple Energy erreicht exakte Prognosen unter anderem durch den Einsatz von fortschrittlichen Machine-Learning-Technologien wie XGBoost und Neural Prophet. Die Vorhersagemodelle sind für diesen Zweck speziell optimiert und werden kontinuierlich durch automatische Retrainings und durch Backtesting verbessert. „Unsere Prognosen basieren auf einer konsolidierten Datenpipeline in der AWS-Cloud, die verschiedene relevante Quellen miteinander verbindet, darunter Wetterdaten, historische Verbrauchs- und Erzeugungsdaten sowie zu erwartende Abgabemengen“, präzisiert Wüster.

Zudem fließt in die Modelle auch der beträchtliche Erfahrungsschatz, den sich die Familie Wüster seit der Gründung von wüsterstrom vor mehr als 120 Jahren aneignen konnte. Dass der Urururenkel des Firmengründers wie der Gründer den Vornamen Bernhard trägt, kann daher durchaus programmatisch gelesen werden. „Für uns sind Kontinuität, Tradition und Erfahrung absolut wichtig. Wir kommen aus einer langen Tradition der Stromproduktion, aber wir wissen auch: Die Zukunft entscheidet sich im Digitalen“, sagt Wüster.
 

Exakte Prognosen

Die Qualität der von Purple Energy gelieferten Prognosen kann sich in ihrer Qualität sehen lassen: Zwischen Juli und Dezember 2024 erreichte man beispielsweise eine durchschnittliche Abweichung von unter fünf Prozent pro 15 Minuten im Spot-Forecast. „Damit können Kunden, die ihre Prognosen von uns beziehen, ihre Kosten für Ausgleichsenergie sehr stark senken“, erklärt Wüster.

„Je mehr Menschen eine PV-Anlage haben, je mehr sie mit Wärmepumpen heizen, je mehr sie auf E-Mobilität setzen, desto schwieriger wird es, Lastprofile vorherzusagen.“ Bernhard Wüster Purple Energy

Gegründet 1898, noch vor vielen Landesversorgern, ist wüsterstrom in seinem Kern bis heute ein KMU geblieben. „Mein Vater sagt, wir sind ein gallisches Dorf – wie in den Asterix-Comics, umringt von großen Nachbarn. Anders als Asterix und Obelix pflegen wir mit unseren Nachbarn aber eine gute und enge Kooperation.“

Aktuell betreibt wüsterstrom drei Kleinwasserkraftwerke und mehrere firmeneigene Photovoltaikanlagen. Die Nennleistung umfasst 3,5 MW Wasserkraft und fast 1 MW Photovoltaikanlagen. wüsterstrom verfügt überdies über ein kleines Netzgebiet mit 4.010 Kundenanschlusspunkten sowie ein Elektroinstallationsunternehmen. „Es ist, wenn man so will, ein Bauchladen, allerdings einer mit einer klaren strategischen Ausrichtung. Purple Energy passt da gut dazu“, sagt Wüster.
 

Gefestigtes Fundament

Dass Bernhard Wüster eines Tages das Geschäft von seinem Vater übernehmen wird, war bis zu einem gewissen Grad vorgezeichnet. Schon während seiner Kindheit waren Energiethemen in den Gesprächen mit den Eltern allgegenwärtig. „In einem Familienunternehmen wächst man anders auf“, sagt Wüster. „Die Arbeit hört nicht auf, wenn man heimkommt. Sie ist immer da.“ Und so diskutierte man bei den Wüsters beim Mittagessen schon einmal ausführlich über Netzentgelte, Wasserkraft und Strompreise. „Wir sind damit aufgewachsen. Das prägt“, sagt Wüster.

Das Unternehmen


Name: Purple Energy

Sitz: Wien

Gründung: 2022

Märkte: Österreich

Geschäftsmodell: KI-gestützte Prognosen für die Stromerzeugung und den Stromverbrauch

Wüsters Schwestern sind letztlich einen anderen Weg gegangen, als bei wüsterstrom tätig zu werden: Die ältere der beiden ist als Geschäftsführerin beim VOEB, dem Verband österreichischer Entsorgungsbetriebe tätig, blieb dem Energiesektor allerdings unter anderem dadurch erhalten, dass sie heute im Aufsichtsrat der EVN sitzt. Die Jüngere betreibt eine eigene Praxis als Physiotherapeutin.

„Ich habe meinen Weg hingegen schon recht bald im Familienunternehmen gesehen“, blickt Wüster auf seine Jugend und frühen Erwachsenenjahre zurück. Weshalb er nach einem Wirtschaftsstudium eine Ausbildung im Rechnungswesen drauflegte und dann auch noch die Elektrikerlehre samt Meisterprüfung – ein Schritt, den er als absolut wichtig sieht. „Ich kenne eben auch die Praxis. Wenn du einmal selbst einen Stromkasten montiert hast oder Kabel verlegt oder PV-Anlagen installiert hast, dann siehst du manche Fragen anders als jemand, der das Energiegeschäft nur von der Managerseite kennt.“

Als klar war, dass Purple Energy mit der Idee von KI-gestützten Lastprognosen das klassische Portfolio von wüsterstrom nachhaltig erweitern kann, zögerte der begeisterte Lerner Wüster nicht, noch einmal eine neue Ausbildung anzugehen. Auch die hat er natürlich mit Erfolg abgeschlossen: Seit dem Vorjahr hält er daher auch einen Executive MBA in Wirtschaftswissenschaften im Bereich KI. Gemacht hat er ihn an der ESADE Business School in Barcelona. Womit das Fundament von Purple Energy noch einmal gefestigt wurde.

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