Ohne russisches Gas: Risiken und Chancen für Österreich
Mitte November stoppte die Gazprom ihre Gaslieferungen an die OMV. Anfang kommenden Jahres könnte der Gas-Transit durch die Ukraine zum Erliegen kommen. Wie gut ist Österreich für dieses Szenario gerüstet? Und was bedeutet es für die Zukunft der europäischen Energiewende?
Das Aus war zunächst einmal gar keines. Als der russische Gazprom-Konzern am 16. November seine Lieferungen an die OMV einstellte, floss russisches Gas dennoch fast unvermindert über die Ukraine nach Österreich weiter. Am Gasknotenpunkt Baumgarten kam in den Tagen, die auf den Lieferstopp folgten, zwar nicht ganz die gleiche Gasmenge aus Russland an wie zuvor, aber fast. „In Baumgarten sind in den ersten Tagen um rund 18 Prozent weniger angekommen“, sagt Stefan Wagenhofer, Geschäftsführer der Gas Connect Austria.
Doch ab dem Anfang des kommenden Jahres könnte sich die Situation drastisch ändern. Die Ukraine hat jedenfalls angekündigt, ab diesem Zeitpunkt kein russisches Gas mehr über die sogenannte Freundschafts-Pipeline Richtung Österreich und die Slowakei zu transitieren.
Gespräche mit Aserbaidschan
Ob diese Ankündigung bedeutet, dass über die Ukraine dann tatsächlich gar kein Gas mehr fließen wird, ist indessen unklar und wird es wohl bis zum letzten Augenblick bleiben. Derzeit wird jedenfalls von Gesprächen berichtet, die das Ziel haben sollen, ab 2025 statt russischem Gas Gas aus anderen Ländern zu transportieren, etwa aus Aserbaidschan. „Das ist durchaus möglich, denn schon in der Vergangenheit gab es solche Lösungen. Aber wir wissen dazu leider auch nicht mehr“, kommentiert Alfons Haber, Vorstand der E-Control, die derzeitige Situation.
Für die Versorgungssicherheit in Österreich wäre auch ein totaler Lieferstopp keine Gefahr, betont er. Denn die heimischen Speicher sind mit einem Füllstand von knapp 91 Prozent gut gefüllt. Zugleich fallen die Verbräuche. 2021 gab es bei Gas einen Verbrauch von 96 TWh, vergangenes Jahr waren es 75 TWh, heuer wird der Verbrauch auf ähnlich niedrigem Niveau sein.
Besser vorbereitet
Die Lage auf den internationalen Märkten ist ebenfalls anders als zu Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine. „Der europäische Markt ist heute auf einen Lieferstopp viel besser vorbereitet. Nachfrageverschiebungen sind viel besser behebbar. Schon jetzt kann Europa 37 Prozent seines Bedarfs per LNG decken und diese Quote ist schnell steigerbar“, sagt Haber.
Daher sei bei einem Transitstopp über die Ukraine eventuell mit Preiseffekten, nicht aber mit Mangellagen zu rechnen. Die Versorgung der Elektrizitätswirtschaft, die Gas als Netzstütze zum Betrieb von kalorischen Kraftwerken braucht, ist ebenso gewährleistet wie Lieferungen an Industrie und private Kundinnen und Kunden.
Was auch daran liegt, dass der für 2025 angekündigte Stopp keine Überraschung, sondern bereits seit Längerem erwartbar war. Der E-Control liegen deshalb auch Konzepte der dreißig größten in Österreich tätigen Gasversorger vor, in denen sie erklären, wie sie einen etwaigen Ausfall der russischen Lieferungen durch Rückgriff auf andere Lieferländer und Zukäufe an der Börse ausgleichen wollen.
Eine ganz triviale Aufgabe ist das freilich nicht. Noch im September kamen 86 Prozent der Gaslieferungen nach Österreich aus Russland, was vor allem den Verträgen der OMV mit der Gazprom geschuldet war. Neben der Slowakei ist Österreich somit jenes Land, das von einem Lieferstopp über die Ukraine am direktesten betroffen wäre.
Einfluss auf ganz Europa
In weiterer Folge würden aber auch andere Länder die veränderte Situation zu spüren bekommen, unter anderem Italien. „Rund 200 GWh, die täglich über die Slowakei angeliefert werden, wurden in den letzten Wochen nach Italien weiterbefördert. Fallen diese Mengen aus, muss Italien sie auf anderen Märkten besorgen“, erklärt Bernhard Painz, Vorstand der Austrian Gas Grid Management, die Situation. Auf diese Weise würde sich der Lieferstopp über die Ukraine letztlich auf ganz Europa auswirken.
Das sieht auch Stefan Wagenhofer von Gas Connect Austria ähnlich: „Bei einem Lieferstopp über die Ukraine würden die Slowakei, Tschechien und Österreich aus dem Westen versorgt werden“. Was kein prinzipielles Problem wäre: „Grundsätzlich ist genug Gas am Markt vorhanden, etwa aus Norwegen oder als LNG, das per Schiff angeliefert wird, um den Bedarf zu decken.“ Wie in jedem Markt, in dem ein Lieferant ausfällt, wären aber Preiserhöhungen möglich.
Deutschland in der Pflicht
Wie sie tatsächlich ausfallen, hängt auch von der Zukunft der Gasspeicherumlage ab, die Deutschland für Importe über sein Staatsgebiet verrechnet. Wenn österreichische Importe aus dem Osten, die zuletzt rund 250 GWh pro Tag ausmachten, in Zukunft durch Importe über Deutschland ersetzt werden, würde die Gasumlage Kosten in der Höhe von rund 750.000 Euro täglich verursachen, rechnet AGGM-Vorstand Painz vor. „Das wirkt sich natürlich auf die Gaspreise aus und fortgesetzt auch auf die Strompreise, da gerade im Winter die Gaskraftwerke eine wesentliche Stütze für die Stromversorgung sind.“
Deutschland hat allerdings das Auslaufen der Gasspeicherumlage für Importe mit Jahresanfang angekündigt. „Österreichs Politik und auch die Europäische Kommission sollten daher darauf drängen, dass die entsprechenden Beschlüsse in Deutschland nun auch gefasst werden, zumal die Umlage gegen das EU-Recht verstößt“, fordert Painz.
Die Zukunft der Freundschaftsleitung
Abgesehen von Preiseffekten könnte der Lieferstopp über die Ukraine mittelfristig auch Effekte auf die europäischen Bestrebungen zur Klimaneutralität haben. Denn vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine gab es Pläne, in Zukunft erneuerbaren Wasserstoff, aber auch Bio-Methan in der Ukraine zu produzieren und nach Westen zu transportieren. „Würde die Ukraine-Leitung im Zuge der Kriegshandlungen beschädigt werden, wären solche Projekte deutlich schwerer umsetzbar“, sagt Bernhard Painz.
Ein bloßer Stopp der Lieferungen wäre hingegen weniger kritisch. Denn technisch betrachtet wird es auch nach dem 1. Jänner 2025 die Möglichkeit geben, Gas über die Ukraine-Leitung zu transportieren. „Auch wenn die Mengen sinken oder gar kein Gas mehr fließt, bleibt eine solche Leitung betriebsbereit, denn es verbleibt Gas darin. Wird eine Leitung längerfristig stillgelegt, wird Stickstoff eingefüllt, um Korrosionsschäden vorzubeugen und die Pipeline bei Bedarf in Betrieb setzen zu können“, erklärt Stefan Wagenhofer. Eine so vorbereitete Leitung ließe sich dann innerhalb kurzer Zeit reaktivieren oder gegebenenfalls mit etwaigen Anpassungen auf Wasserstofftransport umstellen.
Von Erdgas zu Wasserstoff und Biogas
Die viel schwierigeren Fragen, die auf dem Weg in eine gesamteuropäische Versorgung mit grünem Wasserstoff zu lösen sind, sehen Expertinnen und Experten in der Finanzierung solcher Projekte. Ebenso gilt der Aufbau einer markttauglichen Infrastruktur als große Herausforderung: „Es geht dabei ja sowohl um die Erzeugung von Wasserstoff als auch den Transport und die Umrüstung der Industrieanlagen bei den Abnehmern. Eine Solche Kette muss abgestimmt vorbereitet sein“, erklärt Wagenhofer.
Angesichts der zahlreichen Verwerfungen und Unsicherheiten auf dem Markt für gasförmige Energieträger verweist er in diesem Zusammenhang auch auf einen Punkt, der seiner Ansicht nach in der Diskussion derzeit zu kurz kommt: „Als Alternative zu Erdgas ist Biogas viel kurzfristiger realisierbar als grüner Wasserstoff. Aus Schadholz kann sauberes Biogas erzeugt werden, ebenso wie aus Biomasse und Mist.“ In Dänemark werden schon heute rund 40 Prozent des Gasbedarfs durch Biogas gedeckt, bis 2034 werden es 100 Prozent. Eine klare politische Strategie für Biogas wäre, findet Wagenhofer, gerade in der aktuellen geopolitischen Situation eine dringende Aufgabe.
Weitere spannende Berichte zum Thema Energie finden Sie in der „StromLinie“. Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins zur Energiewende finden Sie hier.
Kostenloses Abo – jetzt bestellen!
Wenn sie die „StromLinie“ künftig per Post erhalten möchten, können Sie unser Magazin auch kostenlos abonnieren.