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Ohne Fachkräfte keine Energiewende

Der Fachkräftemangel macht auch vor der Energiewirtschaft nicht halt. Die Dekarbonisierung des Stromsektors dient zwar als Impulsgeber für neue Jobs, doch diese Jobs zu besetzen, wird immer mehr zu einer Herausforderung. Die StromLinie hat sich angesehen, wie man dieser Entwicklung gegensteuern könnte.

Ein Techniker, der ein Solarpanel berührt. Erneuerbare Energien

Die Zahlen zuerst: Nach aktuellen Angaben des Österreichischen Verbands für Elektrotechnik fehlen in Österreich aktuell rund 14.000 Elektrotechnikerinnen und Elektrotechniker – für die Energiewende ein Kernberuf. Und: In der aktuell 110 Berufe umfassenden Liste der Mangelberufe finden sich unzählige weitere Fachkräfte, ohne die eine Dekarbonisierung der österreichischen Energiewirtschaft nicht gelingen kann, darunter: Diplomingenieure für Starkstromtechnik, Elektromechaniker, Techniker für Starkstromtechnik, Fernmeldemonteure, aber auch Maurer und Dachdecker. Die mancherorts bereits laut geäußerte Sorge, dass die Klima- und Energiewende am Ende am fehlenden Fachpersonal scheitern könnte, erscheint daher nicht aus der Luft gegriffen.

Christian Kimmich, Leiter der Forschungsgruppe Energie, Umwelt und nachhaltige Wirtschaftsstrukturen am IHS und Mitautor mehrerer Studien zum Thema, kann das bestätigen: „Die Stellenandrangsziffer, also die Zahl der Arbeitssuchenden pro offener Stelle, legt nahe, dass es in Österreich zumindest in manchen Regionen einen merkbaren Mangel an Elektrotechnikerinnen und -technikern gibt.“ Eine zusätzliche Komponente, die den Fachkräftemangel verstärke, ergänzt er, sei die demografische Entwicklung: Im Moment kommen die geburtsschwachen Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt. Der Kampf um die Bestqualifizierten ist hart.
 

Die Entscheidung fällt jetzt

Auch Alexander Rauner von der Bundessparte Gewerbe und Handwerk der Wirtschaftskammer Österreich kennt die schwierige Situation in den Betrieben. „Noch scheitert die Energiewende nicht am Fachkräftemangel“, sagt er. Aber es bestehe durchaus die Gefahr, dass das passiere. „Wir müssen schon heute die Weichen dafür stellen, dass wir auch in zehn, fünfzehn Jahren genug Fachkräfte haben. Die Menschen, die dann die grüne Transformation weitertreiben sollen, müssen wir jetzt gewinnen.“

Teilweise gelingt das bereits. Aller Demografie zum Trotz ist es in Österreich gelungen, die Zahl der Menschen, die eine Ausbildung im Lehrberuf Elektrotechnik beginnen, zu erhöhen. 2016 begannen 8722 Lehrlinge die entsprechende Ausbildung, 2022 waren es immerhin 9972. Nach oben entwickelt sich auch die Zahl in dem für die grüne Wende ebenfalls wichtigen Berufsfeld Gebäudetechnik. Von 3390 neuen Lehrlingen im Jahr 2016 konnte die Zahl 2022 auf 4570 gesteigert werden.

Hinzu kommt: Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern ist Österreich in Sachen Berufsausbildung nach wie vor sehr gut aufgestellt. So haben in Österreich in der Altersgruppe der 24- bis 34-Jährigen 52 Prozent einen formalen Abschluss. Damit liegt Österreich an der Spitze der OECD. In den USA liegt die vergleichbare Zahl zum Beispiel bei gerade einmal vier Prozent.

Die Abwärtsspirale stoppen Durch Ausbildung neuer Fachkräfte allein wird sich der Arbeitskräftebedarf, den die Energiewende erzeugt, aber dennoch nicht bewältigen lassen. Auch weil die Ausbildung eine Zeit dauert und die negativen Effekte eines Fachkräftemangels bereits jetzt drohen. Nicht umsonst verweisen Arbeitsökonomen auf eine verheerende Dynamik, die durch jeden Arbeitskräftemangel erzeugt wird: Weil jene Fachkräfte, die es noch gibt, immer mehr Aufgaben übernehmen müssen, schlittern sie in Überforderung und verlassen in der Folge den Beruf, was den Mangel weiter verschärft. „Wir haben diese Entwicklung bei Köchinnen und Köchen gesehen. Bei Elektrotechnikern sehen wir sie glücklicherweise noch nicht, müssen das aber unbedingt verhindern“, sagt Alexander Rauner.

Das kann unter anderem geschehen, indem man Personengruppen, die bisher nur wenig Interesse an technischen Berufen mit Bezug zur Energiewende hatten, gezielt dafür motiviert. Frauen sind eine solche Gruppe. Der IHS-Ökonom Christian Kimmich ist daher überzeugt, dass sich unter Frauen ein Potenzial findet, das noch nicht adäquat genutzt wurde. In größerem Ausmaß Fachkräfte aus dem Ausland zu holen, wie das bisweilen als mittelfristige Perspektive diskutiert wird, findet er hingegen weniger erfolgsversprechend: „In Ländern, in denen es dieses Personal gibt, wird es vor Ort gebraucht.“

Sandra Kern, Geschäftsführerin AMS Niederösterreich
„Es wird noch wichtiger als bisher sein, Frauen für klimarelevante Berufe und Green Jobs zu gewinnen.“ Sandra Kern Geschäftsführerin AMS Niederösterreich

Frauen als wichtiges Potenzial Auch Sandra Kern, Geschäftsführerin des AMS Niederösterreich, sieht Frauen als eine wichtige Zielgruppe, wenn es darum geht, die personellen Herausforderungen der Energiewende zu bewältigen. „Wir werden in erster Linie eine umfangreiche Informationsoffensive brauchen, die nicht nur junge Menschen für diese Jobs interessiert, sondern auch jene, die sich beruflich neu orientieren oder einen zweiten Bildungsweg einschlagen wollen. Wichtig wird es in diesem Kontext auch sein, noch stärker als bisher Frauen für klimarelevante Berufe und Green Jobs zu gewinnen. Mit unserer Offensive ‚Frauen in der Technik‘ bemühen wir uns besonders um diese Gruppe.“

An Bedeutung zunehmen, sagt sie, würden aber auch Ausbildungszentren, die ihren Fokus ganz bewusst auf Berufe legen würden, die für die grüne Transformation wichtig seien. Das AMS Niederösterreich steht gerade unmittelbar davor, ein solches Klimaschutz-Ausbildungszentrum mit 250 Ausbildungsplätzen zu errichten, das erste in Europa.

Das Ausbildungszentrum soll neben seinem praktischen Nutzen auch eine Signalwirkung haben und jungen Menschen deutlich machen, wie zukunftssicher und wichtig klimarelevante Jobs sind – ein Punkt, den auch der Ökonom Christian Kimmich unterstreicht: „Die grüne Transformation wird ja 2030 nicht aufhören, diese Jobs werden bleiben.“ Jobs im Handwerk seien seiner Ansicht nach aber auch aus einem anderen Grund krisensicher: „Eine KI wird wahrscheinlich noch lange keine Wärmepumpe oder PV-Anlage installieren können.“
 

Effizienzsteigerung als Gebot der Stunde

Vor allem im Bereich der Photovoltaik wird abseits der Rekrutierung von neuem Personal auch Produktivitätssteigerung ein vielversprechender Weg sein, um die aktuellen Ausbauherausforderungen zu meistern, so Kimmich: „Das kann zum einen passieren, indem man möglichst standardisierte und möglichst leicht zu installierende Komponenten nutzt, zum anderen aber auch, indem man verstärkt Freiflächen-Anlagen errichtet. Dann stellt sich allerdings natürlich die Frage der Genehmigungen und Widmungen.“

In dicht bebauten Gebieten stoße diese Strategie aber auch an Grenzen, ergänzt Kimmich, weshalb der PV-Ausbau in Wien auch besonders personalintensiv sei und der Personalmangel hier besonders stark ins Gewicht falle: „Ein Elektrotechniker in Niederösterreich kann im Schnitt rund drei Mal so viel an PV-Leistung installieren wie in der Stadt, weil am Land eben viel leichter in die Fläche gegangen werden kann.“ 

Regional unterschiedliche Grade an Personalmangel ergeben sich aber auch aus einem anderen Grund, wie Alexander Rauner erklärt: „Österreich profitierte jahrelang von einem Fachkräfteüberschuss, auch weil das Lohngefälle zwischen den osteuropäischen EU-Staaten und Österreich für ein entsprechendes Angebot am Arbeitsmarkt sorgte.“ Das sei aber inzwischen vorbei: Durch die steigenden Löhne vor Ort sinke in Osteuropa der Auswanderungsdruck. „Vor allem im Westen Österreichs ist der Effekt, dass weniger Arbeitskräfte aus dem Ausland kommen, daher bereits stark zu spüren.“

Welche Jobs die Energiewende braucht
 

In einer Studie für das AMS Nieder­österreich hat sich das IHS mit der Frage beschäftigt, wie viele und welche Jobs der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik schafft. Ebenfalls Gegenstand der Studie waren die Wertschöpfungs- und Fiskaleffekte des Ausbaus. Der PV-Ausbau wird zwischen 2022 und 2031 nach Berechnungen des IHS eine Bruttowertschöpfung von rund 1,5 Milliarden Euro sowie Steuern und Abgaben in der Höhe von fast 520 Millionen Euro generieren. Bei Windkraft werden es im gleichen Zeitraum rund 1,2 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung und 440 Millionen Euro an fiskalischen Effekten sein. 

Damit geht auch eine beträchtliche Beschäftigungswirkung einher: Sie beläuft sich bei Photovoltaik auf rund 1.500 Vollzeitäquivalente jährlich und bei Windkraft auf rund 1.100 Vollzeitäquivalente. Im PV-Bereich sehen die Studienautoren am stärksten Elektroinstallateurinnen und -installateure mit Lehrabschluss- oder Meisterprüfung nachgefragt, etwas weniger stark solche mit HTL-Hintergrund. Im Bereich der Windkraft sehen sie in Relation zu Photovoltaik einen stärkeren Bedarf auch an hochqualifizierten Fachkräften, die über eine technische Ausbildung auf HTL-, Universitäts- oder Fachhochschulniveau verfügen. Diese Personen werden unter anderem für die technische Anlagenplanung benötigt. Vor allem in der Phase der Anlagenerrichtung werden für die Energiewende aber auch weniger Qualifizierte gebraucht, die als angelernte Kräfte unterstützend an der Seite von Elektrotechnikerinnen und Elektrotechnikern eingesetzt werden können. 

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