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„Netzreserve neu“: Vorerst sicher

Trotz des großen Zeitdrucks wurde die erste Ausschreibung zur „Netzreserve neu“ gut bewältigt. Damit stehen bis Ende September 2022 ausreichende Kapazitäten zur Bewältigung kritischer Situationen im Übertragungsnetz zur Verfügung.
 

Sie hat den Zweck, kritische Situationen aufgrund von Engpässen im Übertragungsnetz zu bewältigen und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur sicheren Stromversorgung und zur sicheren Transformation des Energiesystems: die „Netzreserve neu“. Vom Parlament beschlossen wurde diese im Dezember 2020. Für die Umsetzung ist der Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) in Abstimmung mit dem Energieministerium (BMK) und der E-Control zuständig. Die APG führt ein internationales Ausschreibungsverfahren durch, mit dem sie Erzeugungsanlagen mit den erforderlichen Kapazitäten auswählt und in der Folge unter Vertrag nimmt. Im ersten Jahr war dies mit nicht zu unterschätzenden Herausforderungen verbunden. Doch diese seien letzten Endes erfolgreich und klaglos gemeistert worden, berichtet der Leiter des Betriebsmanagements der APG, Harald Köhler.

Gasturbine Mellach
© Verbund

Die gesetzlichen Grundlagen seien ihm zufolge sehr spät geschaffen worden und müssten überdies von der EU-Kommission genehmigt werden, was erst per 28. Juni erfolgt sei. Das Problem: Ende September liefen die Verträge der APG mit österreichischen Kraftwerksbetreibern zum Vorhalten ihrer Anlagen für den sicheren Netzbetrieb aus. „Das war natürlich kein sehr angenehmer Zustand. Wir haben uns aber eng mit dem BMK und der E-Control abgestimmt und sämtliche Verfahrensschritte so weit wie möglich vorbereitet. So gelang es, die ab 1. Oktober benötigten flexiblen Kapazitäten, also Kraftwerke und flexible Verbraucher, zeitgerecht unter Vertrag zu nehmen. Das war ein wichtiger Schritt für die sichere Stromversorgung in Österreich“, schildert Köhler. Als Netzreserve wurden für den Winter 2021/22 nun knapp 1.300 Megawatt (MW) an Leistung gesichert, die jederzeit abgerufen werden können, für den Sommer 2022 rund 3.200 MW.

Erstmals ist neben Unternehmen der Energiewirtschaft ein Industriebetrieb mit an Bord: der finnische Papierkonzern UPM-Kymmene, in Österreich vertreten mit der Steyrermühl in Laakirchen nahe Linz. Köhler zufolge sei die APG bemüht, den Kreis der Anbieter für die Netzreserve zu erweitern, und steht deshalb regelmäßig in Kontakt mit der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung. Angebote aus dem Ausland seien heuer noch nicht verzeichnet worden, laut Köhler mutmaßlich aufgrund der knappen Zeit: „Wir erwarten aber, dass sich im kommenden Jahr auch ausländische Unternehmen an der Ausschreibung beteiligen werden.“

„Wir sind froh, dass wir und die Anlagenbetreiber nun Rechtssicherheit haben. Alles andere wäre der Versorgungs­sicherheit nicht zuträglich.“ Harald Köhler Leiter des Betriebsmanagements der APG

Heuer konnte die APG diese bereits nach der ersten Runde abschließen. Gesetzlich möglich wäre eine zweite Runde. Kämen die notwendigen Kapazitäten auch dann nicht zustande, müsste die E-Control aus dem Kreis der Anbieter geeignete Anlagen auswählen. Unter Vertrag sind die meisten Anlagen diesmal für ein Jahr, also bis einschließlich 30. September 2022. Für einen geringeren Anteil durfte die APG auch einen Zweijahresvertrag abschließen. Auf die vergleichsweise kurzfristigen Kontrahierungen habe die EU-Kommission bestanden, berichtet Köhler: „Sie wollte einen Kompromiss zwischen der sicheren Verfügbarkeit der Kraftwerke und der Möglichkeit, auf Änderungen bei den energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen zügig reagieren zu können.“
 

Endlich Rechtssicherheit 

Grundsätzlich beurteile die APG die „Netzreserve neu“ positiv, betont Köhler: „Wir sind froh, dass wir und die Anlagenbetreiber nun Rechtssicherheit haben. Alles andere wäre der Versorgungssicherheit nicht zuträglich. Das System erlaubt uns, flexible Kapazitäten zu erhalten und eventuell neue Anbieter zu interessieren.“ Auf längere Sicht sei allerdings die Ertüchtigung und Erweiterung des Übertragungsnetzes unverzichtbar. Überdies werde die nachhaltige Absicherung der für den sicheren Netz- und Systembetrieb erforderlichen Kraftwerksleistung ein wesentliches Thema sein: „Wir müssen die Verfügbarkeit der flexiblen Einheiten in den nächsten Jahren sehr genau beobachten. Die EU-Kommission hat die ‚Netzreserve neu‘ bis 2025 genehmigt.“

 

Es stelle sich die Frage, ob die APG bis dahin die vorgesehenen Netzausbauprojekte in Höhe von 360 Millionen Euro für 2021 und insgesamt 3,5 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre abschließen könne. Ebenso wichtig ist: In absehbarer Zeit erreichen insbesondere hochflexible und leistungsstarke thermische Kraftwerke in Österreich das Ende ihrer Lebensdauer. Wie der Ersatz solcher Einheiten gewährleistet werden könne, sei laut Köhler „ein Thema, mit dem sich nicht nur die Energiewirtschaft, sondern auch die Energiepolitik intensiv beschäftigen muss“ – und das nicht nur hierzulande, sondern international.

Notwendig sei Köhler zufolge eine ganzheitliche Betrachtung des Systems zur Versorgung mit elektrischer Energie, die die Erzeugungskapazitäten ebenso in den Blick nehme wie die Netze und Speicher sowie andere Flexibilitätsoptionen, etwa kurzfristige Anpassungen des Energiebedarfs von Verbrauchern an die jeweilige Situation im Netz. Zu diskutieren sei auch das derzeitige Marktdesign, das für das Vorhalten gesicherter Leistung aktuell keine adäquaten Preissignale biete.
 

Vorbereitung läuft

Unterdessen habe die APG Köhler zufolge bereits mit den Vorbereitungen für die Ausschreibung der Netzreserve für die Zeit ab 1. Oktober 2022 begonnen. Die sogenannte Systemanalyse zur Feststellung des Kapazitätsbedarfs für die kommenden Jahre läuft schon seit Anfang 2021 und wird bis Jahresende abgeschlossen. Die gesetzlich vorgesehenen Meldungen der österreichischen Kraftwerksbetreiber, ob sie mit Stichtag 1. Oktober 2022 Anlagen mit mehr als 20 MW Leistung stilllegen wollen und welche dies sind, langten fristgerecht bis zum 30. September des heurigen Jahres ein. Somit ist die APG in der Lage, zuverlässige Aussagen über die auf dem Markt verfügbare sichere Leistung zu treffen. Ende Februar wird die APG den Aufruf zur Bekundung des Interesses veröffentlichen, ihr gesicherte Kapazitäten für die Netzreserve anzubieten.

Die E-Control verlautete auf Anfrage, es sei technisch notwendig, „Redispatchmaßnahmen in Österreich zu ergreifen. Kalorische Kraftwerke sind vor allem im Sommer nicht gesichert verfügbar. Darum wird eine Ausschreibung durchgeführt.“ Festzustellen sei, „dass sich dieser Markt noch einspielen muss. Maßnahmen zur Bedarfssenkung oder Angebotserweiterung sind beide geeignet, um effizienteren Wettbewerb zu schaffen. Das ist zumindest unser Ziel, da man nicht davon ausgehen kann, dass die Netzreserve mittelfristig obsolet wird.“

Weitere Informationen zur Netzreserve

http://www.apg.at/de/markt/Netzreserve