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Negative Strompreise

Bis vor kurzem galten negative Strompreise als ein Kuriosum. Inzwischen kommen sie immer öfter vor. Woran das liegt, welche Auswirkung es auf die Energiewende hat und wie dem Phänomen begegnet werden kann. 

Als im heurigen Sommer der Strompreis wiederholt unter Null fiel, wirkte das wie ein Weckruf. Auch für eine breitere Öffentlichkeit wurde da klar, dass Österreich ein Verteilungsproblem hat: An sonnigen Tagen wird derzeit so viel PV-Strom produziert, dass er nicht mehr vor Ort verbraucht werden kann. Netze, um den Strom abzuführen und Speicher, um ihn für Zeiten zu puffern, in denen er gebraucht wird, fehlen ebenfalls. Das ergibt, wie in jedem Markt mit Überangebot, und sei es nur temporär, einen Preisverfall.

Luftaufnahme der Dächer von Häusern, die mit Sonnenkollektoren bedeckt sind.
Kaprun
Pumpspeicherkraft: Riesige natürliche Batterien verschaffen dem System Flexibilität.

Verstärkt werde das Problem dadurch, dass Österreich mit seinen Überschüssen nicht alleine ist, wie Edgar Röck, Bereichsleiter Energiehandel und Energiewirtschaft bei der TIWAG, erklärt. Denn auch in anderen EU-Staaten ist der Ausbau von PV- und Windanlagen in den letzten Jahren stark vorangetrieben worden. Gerade bei Schönwetter fällt daher für Österreich auch die Möglichkeit weg, das Überangebot durch grenzüberschreitenden Handel auszugleichen: „Wetterlagen reichen ja oft über den ganzen Kontinent. Gibt es in Österreich viel Sonne und Wind, ist das meist auch anderswo in Europa der Fall.“ Dann ist die Nachfrage nach österreichischem PV-Strom erst gar nicht vorhanden.

Johannes Mayer, Leiter Abteilung  Volkswirtschaft bei der e-control
„Eine Reinte­gration mit dem deutschen Markt würde das Problem der Negativ- und Nullpreise in Österreich nicht lösen.“ Johannes Mayer Leiter Abteilung Volkswirtschaft bei der e-control

„Eine Reintegration mit dem deutschen Markt, der bei Sonnenwetter und wenig industriellem Großverbrauch ebenfalls einen Stromüberschuss hat, würde das Problem der Negativ- und Nullpreise in Österreich nicht lösen“, bestätigt Johannes Mayer, Leiter der Abteilung Volkswirtschaft bei der e-control. 

Wohin mit den Überschüssen?

Um im Handel mit dem Ausland seine Überproduktion loszuwerden, müsste sich Österreich stärker mit Ländern integrieren, in denen der Strompreis in der Regel höher ist als in Österreich, etwa mit Ungarn oder den Balkanländern: „Die Frage ist, ob das wirtschaftspolitisch besonders sinnvoll wäre“, gibt Mayer zu bedenken. Denn wir hätten dann zwar möglicherweise keine Negativpreise am Wochenende, was gut für die Solarstromerzeuger wäre, dafür würde der Strom aber auch sonst teurer werden, was Gewerbe und Industrie schadet.

„Speicherbe­treiber können profitieren, indem sie Batterien oder Pump­speicher-Oberbecken zu Negativpreiszeiten befüllen.“ Melanie Schönböck Geschäftsführerin Energie AG Oberösterreich Trading

Ungelöst kann die Frage der Negativpreise freilich nicht bleiben. Auch wenn es, wie Melanie Schönböck, Geschäftsführerin der Energie AG Oberösterreich Trading, erläutert, Marktteilnehmer gibt, die von niedrigen Tarifen profitieren: „Während niedrige Preise für Stromproduzenten eine Herausforderung darstellen können, vor allem dann, wenn Anlagen nicht flexibel regelbar sind, können Stromverbraucher oder Speicherbetreiber profitieren, etwa indem sie Batterien oder Pumpspeicher-Oberbecken zu Negativpreiszeiten befüllen.“

Heikles Signal

Aus der Sicht der Energiewende generieren niedrige oder negative Strompreise allerdings ein bedenkliches Signal: Weil die Aussicht auf Erträge sinkt, sinkt auch das Interesse, neue Anlagen zu errichten. Heuer sei ein derartiger Effekt bereits zu spüren gewesen, berichten manche Netzbetreiber. Das schafft zwar kurzfristig eine Entlastung für die ohnehin bereits bis an ihre Belastungsgrenze beanspruchten Netze, ist aber mittel- und langfristig kontraproduktiv. 
Denn sind einmal auch die großen industriellen Energieverbraucher wie Stahl- und Zementwerke, die chemische Industrie oder der Verkehr dekarbonisiert, wird die Nachfrage nach grünem Strom sehr stark steigen, wie Karl Heinz Gruber, Spartensprecher Erzeugung bei Oesterreichs Energie und Geschäftsführer der VERBUND Wasserkraft, betont: „Allerdings stehen wir dann immer noch vor der Herausforderung, ausreichend Speicherkapazitäten zu schaffen, um die Sommer-Überschussmengen aus den PV-Anlagen in die Wintermonate zu verschieben. Das wird primär durch grünen Wasserstoff und Biotreibstoffe geschehen müssen.“

Franz Strempfl, Geschäftsführer  Energienetze Steiermark
„Lösen wir die Speicherfrage nicht, wird es weiter Leistungsüberschüsse geben, die abgeregelt werden müssen beziehungsweise zum massiven Preisverfall führen.“ Franz Strempfl Geschäftsführer Energienetze Steiermark

Franz Strempfl, Spartensprecher Netze und Geschäftsführer der Energienetze Steiermark, urteilt ähnlich: „Lösen wir die Speicherfrage nicht, wird es weiter Leistungsüberschüsse geben, die abgeregelt werden müssen beziehungsweise gemäß den Gesetzen von Angebot und Nachfrage zum massiven Preisverfall führen werden. Ein Ausbau der Speicher würde das Null- bzw. Negativpreisproblem hingegen dämpfen.“

Investitionsanreize gefragt

Obwohl er dringend nötig ist, wird der Speicherausbau derzeit allerdings nicht nur durch lange Genehmigungs- und Verfahrensdauern behindert, sondern auch durch die ökonomischen Rahmenbedingungen. Bei Pumpspeichern und erst recht bei Power-to-Gas-Anlagen stellt sich auch die Frage der Finanzierung. Denn rein wirtschaftlich betrachtet seien einige wenige Negativpreisstunden im Jahr kein Grund, um in Elektrolyse zu investieren, führt Edgar Röck aus.

Edgar Röck, Bereichsleiter Energiehandel und Energiewirtschaft TIWAG
„Würde man flexible Tarife in größerem Ausmaß anwenden, würde sich das auch auf den Großhandelspreis auswirken und Negativpreise verhindern.“ Edgar Röck Bereichsleiter Energiehandel und Energiewirtschaft TIWAG

„Wir hatten heuer am österreichischen Day-Ahead-Großhandelsmarkt von Jahresbeginn bis 6. August rund 300 Stunden mit Negativ- oder Nullpreisen. Damit ein Elektrolyseur wirtschaftlich betrieben werden kann, muss er auf 4.000 bis 6.000 Nutzungsstunden im Jahr kommen. Diese Zahlen zeigen, dass die aktuelle Preissituation keinen direkten Anreiz für den Aufbau einer Elektrolyseur-Infrastruktur darstellt“, sagt Röck. Man müsse daher über andere Anreize nachdenken wie Förderungen und investitionsfreundliche Finanzierungsformen.

Denn am Ende wird die Energiewende alle Arten der Speicherung brauchen: grünes Gas als ein Weg, die saisonale Lücke zu füllen, Tagesspeicher wie Batteriespeicher, um kurzfristige Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage auszugleichen und Pumpspeicher, die mittelfristig als Puffer dienen können.

 

Ost-West-Gefälle

Gerade bei den Letztgenannten steht Österreich gut da, die entsprechenden Kapazitäten sind entweder bereits vorhanden oder im Ausbau- bzw. Genehmigungsstadium. Das unterscheidet Österreich von Deutschland, das in dieser Hinsicht geografisch deutlich benachteiligt ist. Ein geografisches Problem, das dringend gelöst werden muss, hat allerdings auch Österreich: Das Schwergewicht der österreichischen PV-Produktion liegt mit rund 80 Prozent im Osten, die großen Pumpspeicher befinden sich aber mehrheitlich im Westen. 

„Es müssen daher nicht nur die Verteilernetze zum Anschluss der PV- und Windanlagen verstärkt werden, sondern es müssen auch die Leitungskapazitäten im Übertragungsnetz massiv ausgebaut werden, um große Strommengen aus erneuerbarer Produktion von Ost nach West transportieren zu können“, sagt Franz Strempfl. 
Und es muss auch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, ergänzt Gerhard Christiner, Vorstand des Übertragungsnetzbetreibers APG, dass die Energiewende gesamtösterreichisch und damit auch ganzheitlicher als bisher gedacht werden muss: „Wenn neben Niederösterreich auch das Burgenland beispielsweise bis zu 6.000 MW an PV und Wind ausbauen will, dann sollte man schon mitdenken, dass diese Überkapazitäten, die man regional nicht nützen kann, auch irgendwohin abtransportiert werden müssen.“
 

Fehlende Koordination 

Diese Möglichkeit gibt es im Moment vor allem deshalb nicht, weil der Ausbau der Erzeugung in der Vergangenheit nicht koordiniert mit dem Ausbau der Netze und Speicher erfolgte. Stattdessen wurde, sagt Christiner, volatile Erzeugung in ein bestehendes Stromsystem hineingebaut in der Hoffnung, dass das schon gut geht. „Eine Weile ging es auch gut, aber jetzt sind die Reserven im Stromnetz aufgebraucht.“

Vera Immitzer, Geschäftsführerin Bundesverband PV-Austria
„Netzdienliche Speicher sind ein Mosaikstein, der die Netze schonen kann.“ Vera Immitzer Geschäftsführerin Bundesverband PV-Austria

Weshalb nun, um Überschüsse und damit Negativpreise zu vermeiden, jede Möglichkeit genützt werden sollte, mit der sich Flexibilität ins Netz bringen lässt. „Netzdienliche Speicher, die vor allem dann ins Netz einspeisen, wenn Bedarf besteht und Strom aufnehmen, wenn das Netz voll ist, sind ein solcher Mosaikstein, der die Netze schonen kann“, sagt Vera Immitzer, Geschäftsführerin des Bundesverbands PV-Austria.

Ruf nach flexiblen Tarifen

Flexible Tarifgestaltung könnte diesen Effekt noch steigern. Denn im Moment werden viele Speicher, die das Netz theoretisch entlasten könnten, nicht wirklich netzdienlich betrieben. Ein klassischer Fall: Wenn Haushaltsspeicher an einem sonnigen Tag Strom schon von der Früh weg speichern, können sie zu Mittag, wenn das besonders wichtig wäre, keine Energie mehr aufnehmen und das Netz entlasten. Intelligente digitale Lösungen könnten hier in Kombination mit flexiblen Tarifen für eine bessere Koordination sorgen.

„Bei einem flexiblen Tarif wäre für den Einspeiser der Anreiz gegeben, zu Zeiten, in denen das Netz ohnehin voll ist, den Strom selbst zu verbrauchen oder die Produktion zu kappen. Es wären auch Modelle denkbar, wo der Abnehmer den Einspeiser ab einem bestimmten Großhandelspreis selbst abriegeln darf. Würde man solche Tarife in größerem Ausmaß anwenden, würde sich das auch auf den Großhandelspreis auswirken und Negativpreise verhindern“, erklärt Edgar Röck, wie ein solches flexibles Modell funktionieren könnte.

Thomas Trattler, Geschäftsführer TINETZ
„Das Netz auf die Summe aller Spitzen auszulegen ist weder machbar noch wirtschaftlich sinnvoll.“ Thomas Trattler Geschäftsführer TINETZ

In Zukunft werden aber, wie unter anderem Thomas Trattler, Geschäftsführer der TINETZ – Tiroler Netze, anmerkt, auch verstärkt intelligente Lösungen auf der Entnahmeseite wichtig sein. Denn so wie verhindert werden sollte, dass zu Spitzenzeiten zu viel PV-Energie ins Netz eingespeist wird, genauso muss unterbunden werden, dass zu viele E-Autos mit zu großer Leistung oder zu viele Wärmepumpen gleichzeitig geladen werden. „Hier gilt es, die richtigen Steuerungselemente und Anreize zu finden“, sagt Trattler. „Denn das Netz auf die Summe aller Spitzen auszulegen ist weder machbar noch wirtschaftlich sinnvoll.“

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