Leuchttürme der Energiewende: Wien macht Gaskraftwerke „grün“
Leuchttürme der Energiewende. Mit mehreren Partnern bewies Wien Energie, dass eine weltweit verbreitete Kraftwerksturbine mit bis zu 15 Prozent Wasserstoff betrieben werden kann. Dies ist ein international bedeutsames Leuchtturmprojekt für die Energiewende.
Österreichs energie- und klimapolitische Ziele sind bekanntlich ambitioniert: Laut dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) soll der Elektrizitätsbedarf ab 2030 bilanziell vollständig mit Ökostrom gedeckt werden. Für 2040 peilt die Bundesregierung sogar eine vollständig „klimaneutrale“ Energieversorgung inklusive der Deckung des Bedarfs für Wärme und Mobilität an. Die dafür erforderliche massive Elektrifizierung des gesamten Energiesystems hat so weit wie möglich auf Strom aus erneuerbaren Quellen zu basieren.
Die Herausforderung: Windkraft und Photovoltaik (PV), die dabei eine maßgebliche Rolle spielen werden, erzeugen Strom witterungsabhängig und daher in stark schwankender Weise. Um diese Schwankungen auszugleichen, werden weiterhin Möglichkeiten benötigt, elektrische Energie jederzeit bereitstellen zu können. Die österreichischen Pumpspeicher spielen dabei traditionellerweise eine wesentliche Rolle, ebenso aber die hocheffizienten sowie flexiblen thermischen Großkraftwerke, die derzeit mit Erdgas betrieben werden und als Kraft-Wärme-Kopplungen (KWK) sowohl Strom als auch Wärme bereitstellen können.
Eine weitere Herausforderung im Zusammenhang mit der Energiewende ist, dass der größte Teil der Stromerzeugung von PV-Anlagen auf die Sommermonate entfällt, in denen in zunehmendem Maße Produktionsüberschüsse zu erwarten sind. In den Wintermonaten ist dagegen mit Lücken bei der Deckung des Strombedarfs zu rechnen. Notwendig ist aus diesem Grund ein „saisonaler Ausgleich“, was bedeutet, mit dem im Sommer im Überfluss vorhandenen Ökostrom elektrolytisch aus Wasser „grünen“ Wasserstoff zu gewinnen und diesen im Winter in Gaskraftwerken zur Verstromung zu nutzen. Deshalb arbeitet die Elektrizitätswirtschaft daran, ihre Gaskraftwerke einschließlich der mit Erdgas betriebenen KWK für den Einsatz von Wasserstoff tauglich zu machen.
Ein Versuch mit internationaler Bedeutung
Wesentliche Schritte in diese Richtung setzte Wien Energie gemeinsam mit dem Verbund, dem deutschen Energieversorger RheinEnergie und Siemens Energy Österreich im vergangenen Jahr. Im Kraftwerk Donaustadt von Wien Energie, einer der modernsten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen Österreichs, führten die Partner im zweiten Halbjahr 2023 eine Versuchsreihe für die Beimischung von Wasserstoff zu Erdgas durch. Ausgehend von fünf Volumenprozent wurde der Wasserstoffanteil sukzessive auf 15 Prozent erhöht. Und die Tests verliefen sehr erfolgreich, wie Alexander Kirchner berichtet, der für die Erzeugungsanlagen zuständige Bereichsleiter von Wien Energie: „Zurzeit sind wir dabei, die Auswertung der Daten abzuschließen. Aber eines lässt sich jetzt schon sagen: Die Versuche haben sehr gut funktioniert. Wir haben bereits etliche Erkenntnisse für die weitere Optimierung der Anlagen zum Betrieb mit Wasserstoff gewonnen.“
Für die Versuchsreihe wurde die im Kraftwerk installierte Turbine mit entsprechender Brenner- sowie Messtechnik ausgerüstet, was zu einer weiteren Effizienzsteigerung führte. Ferner installierten Wien Energie und ihre Partner die notwendige Infrastruktur für die Anlieferung und die Beimengung des „grünen“ Wasserstoffs, der vom Industriegasekonzern Linde Gas und der Wiener Wasserstoffgesellschaft bereitgestellt wurde.
Den Kraftwerksstandort Donaustadt wählten die Projektpartner sehr bewusst. Der 2001 in Betrieb genommene Standort produziert Wärme mit 350 Megawatt Leistung sowie Strom mit bis zu 395 Megawatt. Er bietet ausreichend Platz für die Wasserstoff-Infrastruktur sowie den Raum, um auch den strengen behördlichen Vorgaben hinsichtlich der Sicherheitsabstände beim Umgang mit den erheblichen Wasserstoffmengen zu entsprechen. Von besonderer Bedeutung ist zudem, dass das Kraftwerk mit einer Turbine des weit verbreiteten Typs SGT5-4000F ausgestattet ist.
Allein in Europa sind mehr als 115 derartige Turbinen in Betrieb, weltweit sind es rund 360 Stück mit einer Gesamtleistung von etwa 35.000 MW. Mit der erfolgreichen Versuchsreihe in Wien ist gesichert, dass all diese Anlagen grundsätzlich mit bis zu 15 Prozent Wasserstoff betrieben werden können. „Der potenzielle Multiplikatoreffekt unserer Tests ist damit durchaus beachtlich. Sie zeigen, dass Wasserstoff unter Beibehaltung der Bestandsinfrastruktur grundsätzlich in vielen Kraftwerken in aller Welt nutzbar ist“, erläutert Kirchner. Es handelt sich somit um ein Leuchtturmprojekt der Energiewende mit Bedeutung weit über Österreich hinaus.
Die nächsten Schritte zur Dekarbonisierung
Was die klimapolitischen Ziele der Stadt Wien betrifft, ist die Versuchsreihe im Kraftwerk Donaustadt ebenfalls von großer Bedeutung. In Übereinstimmung mit den Plänen des Bundes möchte die Stadt bis 2040 klimaneutral werden. Zu den großen CO2-Emittenten zählen dabei auch die Gaskraftwerke von Wien Energie. Umso wichtiger ist es, dort möglichst klimaverträgliche Brennstoffe zu nutzen.
Würde die Beimischung von 15 Prozent grünem Wasserstoff im Kraftwerk Donaustadt im Regelbetrieb erfolgen, ließen sich die dortigen CO2-Emissionen um etwa 33.000 Tonnen pro Jahr senken. Dies wäre ein erster Schritt zur Dekarbonisierung der KWK-Anlagen, dem weitere folgen müssten – und diese seien Kirchner zufolge bereits geplant.
Wien Energie und ihre Partner wollen die Versuche im Kraftwerk Donaustadt fortsetzen: „Wir arbeiten gerade an Konzepten für neue Testreihen, bei denen wir eine Wasserstoffbeimischung von etwa 25 Prozent anpeilen. Innerhalb der kommenden fünf Jahre möchten wir uns an etwa 50 Prozent herantasten.“ Zurzeit laufen die diesbezüglichen Gespräche, weitere Partner seien laut Kirchner jederzeit willkommen.
Das Projekt in Zahlen
Projektbeginn: öffentliche Bekanntgabe 16. Dezember 2021
Projektabschluss: Herbst 2023
Investitionskosten: rund 10 Millionen Euro seitens der Projektpartner, 2,6 Millionen Euro Förderungen seitens des Klima- und Energiefonds der Bundesregierung
Projektpartner: Wien Energie, Verbund, RheinEnergie, Siemens Energy Österreich
Effekt: Nachweis der Nutzbarkeit von „grünem“ Wasserstoff in kommerziell verfügbaren großen Gasturbinen, dadurch Bedeutung weit über Österreich hinaus
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