Klimawende: Unsere Vision für 2040
Wenn die Klimawende gelingen soll, ist dieses Vorhaben alternativlos: Eine Verdreifachung der installierten erneuerbaren Erzeugungsleistung – um die Verdopplung des Strombedarfs bis 2040 stemmen zu können. Ein erster Blick in die Stromstrategie 2040 – und die Zukunft unserer Energieversorgung.
Das Jahr 2030 ist erst ein Zwischenziel. Bis dorthin soll die österreichische Stromproduktion bilanziell erneuerbar sein. Die Zahl, die die damit verbundene Herausforderung repräsentiert, ist inzwischen gut bekannt: 27 Terawattstunden. Um diesen Wert muss die jährliche Stromproduktion aus erneuerbaren Energien in den nächsten acht Jahren steigen, damit Österreich 2030 so viel grünen Strom erzeugt, wie es verbraucht.
Doch damit wird es noch lange nicht getan sein, jedenfalls nicht, wenn die für 2040 ins Auge gefasste generelle Klimaneutralität Österreichs erreicht werden soll. Denn die Stromproduktion auf erneuerbare Erzeugung umzustellen, ist das eine. Die bislang primär mit fossiler Energie versorgten Sektoren Industrie, Raumwärme und Verkehr zu elektrifizieren, ist etwas ganz anderes.
Da geht es dann nicht mehr um die Wandlung eines Teilbereichs der heimischen Wirtschaft, sondern buchstäblich um die Wandlung eines ganzen Landes. „Uns steht eine gigantische Anstrengung bevor. Alle Erneuerbaren Potenziale müssen umgesetzt und systemdienlich eingesetzt werden.“, kommentiert Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, die anstehende Riesenaufgabe.
Fahrplan gegen KlimakriseDie Stromstrategie 2040 der österreichischen Energiewirtschaft versucht, den Weg, wie diese Aufgabe gelöst werden kann, so genau wie möglich zu skizzieren – auch wenn man aus heutiger Sicht vieles, was für die Entwicklung der Energiemärkte in den nächsten Jahren von Belang sein wird, nicht modellieren kann: die Entwicklung in der Ukraine nicht, die europapolitischen Rahmenbedingungen nicht und die detaillierte makroökonomische Entwicklung ebenfalls nicht. Klar ist aber dennoch: „Wenn wir den Ausbau der Erneuerbaren nicht sofort massiv beschleunigen, werden die für 2040 angepeilten energiepolitischen Ziele nicht zu erreichen sein“, sagt Schmidt.
Der Handlungsbedarf ist in der Tat groß: Unter der Annahme einer weitgehenden Klimaneutralität bis 2040 wird sich der Strombedarf in Österreich verdoppeln. Soll dieser Bedarf ausschließlich mithilfe von erneuerbarer Energie gedeckt werden, muss die dafür installierte Leistung allerdings nicht verdoppelt, sondern verdreifacht werden.
Was Folge von simplen meteorologischen bzw. physikalischen Tatsachen ist: Sowohl Wind als auch Sonne und Wasserkraft können nicht über das gesamte Jahr konstant die volle Leistung erbringen. Sollen alle heute noch fossil mit Energie versorgten Sektoren unseres Lebens dekarbonisiert werden, wird der dafür nötige Strombedarf im Jahr 2040 rund 140 TWh betragen und er wird zur Gänze aus grüner Stromerzeugung kommen müssen. Die dafür nötige Leistung beläuft sich auf etwa 70 GW. Heute sind in Österreich rund 25 GW installiert.
Netzausbau dringend nötigEin derartiger Ausbau stellt klarerweise auch an die Netze und die Speicherkapazitäten eine enorme Herausforderung. Wobei beide Faktoren eng miteinander verbunden sind: Denn je mehr Energie zwischengespeichert werden kann, je besser Spitzen durch Speicher abgefangen werden, desto geringer wird die Belastung für die Netze.
Was freilich nichts daran ändert, dass deren massiver Ausbau dringend nötig ist – einerseits um die Aufnahme und die Verteilung der Energie aus Sonne und Wind überhaupt zu ermöglichen. Andererseits aber auch, weil, wie Sonja Wogrin, Leiterin des Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation der TU Graz, anmerkt, in einem dekarbonisierten Europa Stromaustausch zwischen den Staaten eine ökonomisch sehr reizvolle Option sein werde: „Sind die Netze stark genug, kann Österreich dann zum Beispiel vom Windstrom profitieren, der anderswo, etwa in Deutschland, günstiger erzeugt wird.“
Laut einer aktuellen Studie von Frontier Economics und dem Austrian Institute of Technology beläuft sich der für eine erfolgreiche Klimawende nötige Investitionsbedarf in die Netzinfrastruktur bis 2030 auf rund 15,2 Milliarden Euro. Bis 2040 weden 30,3 Milliarden Euro benötigt.
Können wir uns das leisten?Die Summen sind hoch, bisweilen taucht in der Diskussion daher die Frage auf, ob Österreich sich einen Ausbau in diesem Ausmaß überhaupt leisten kann. Für Karina Knaus, Leiterin des Centers für Volkswirtschaft, Konsumenten und Preise bei der Österreichischen Energieagentur, ist die Antwort darauf absolut klar: Österreich muss sich den Ausbau einfach leisten. Allein schon deshalb, weil der Preis für eine unterlassene Klimawende ungemein höher wäre.
Abgesehen davon, sagt sie, müsse man die Netzausbaukosten auch in Relation zu anderen Zahlen sehen: „Wir geben derzeit pro Jahr 11,5 Milliarden Euro jährlich für Erdöl und Erdgas aus. Da erscheinen im Vergleich die für den Netzausbau in acht Jahren notwendigen 15 Milliarden gar nicht mehr so exorbitant hoch.“
Schwieriger als im Netzbereich gestaltet sich die Schätzung des zukünftigen Investitionsbedarfs bei der Speicherinfrastruktur. Denn ökonomisch betrachtet wird hier zum Teil absolutes Neuland betreten. Freilich nicht bei jenen Speichern, die dazu dienen, kurzfristige Spitzen in Produktion und Verbrauch auszugleichen. Die dafür genutzte Batterietechnik hat längst entsprechende Geschäftsmodelle herausgebildet und ist heute eine der treibenden und wirtschaftlich überaus attraktiven Technologien für die Energiewende.
Ökonomisches NeulandAuch Pumpspeicher- und Speicherkraftwerke, die als beste Methode gelten, um grün erzeugten Strom mittelfristig, also über mehrere Tage und Wochen hinweg, vorrätig zu halten, gelten sowohl in Errichtung als auch im Betrieb als präzise kalkulierbar. Hier liegt die Schwierigkeit viel eher darin, dass der Bedarf danach riesig ist, die Möglichkeiten neue Anlagen zu errichten oder bestehende zu vergrößern, allerdings begrenzt sind, wenngleich sich noch einige konkrete Vorhaben in der Planung befinden.
Was kostet Nichtstun?Das Wegener Center für Klima und globalen Wandel hat in einer sehr detaillierten Studie die Kosten des Nicht-Handelns in der Klimakrise berechnet. Das Ergebnis ist ebenso beeindruckend wie erschreckend: 15 Milliarden Euro allein in Österreich. Wohlgemerkt mit Stand jetzt, was bedeutet, dass jedes Jahr, in dem nichts unternommen wird, die Kosten weiter in die Höhe treibt.
Tatsächlich wirtschaftliches Neuland bleibt aber die Wasserstofftechnologie. Business-Modelle für eine grüne Wasserstoffwirtschaft müssen erst gefunden werden. „Österreich ist lange ein klassisches Wasserkraftland gewesen. Für den Wasserstoff müssen erst Wege entwickelt werden, wie eine Versorgung mit grünem Wasserstoff wirtschaftlich sinnvoll funktionieren kann“, bestätigt die TU-Professorin Wogrin. Denn noch lohnt sich, zumindest global betrachtet, die Produktion von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien kaum. Gerade einmal zwei bis fünf Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs sind grün.
Zu hundert Prozent grüner Wasserstoff, sagt Sonja Wogrin, wäre allerdings auch jetzt schon möglich, wenn ein Elektrolyseur ausschließlich von einem PV- oder Windpark versorgt werde. „Ich denke, dass es in der ersten Phase solche Projekte geben wird. Wenn in ganz Europa die Stromproduktion hauptsächlich aus Erneuerbaren erfolgt, werden aber auch Elektrolyseure, die an das Netz angeschlossen sind, wirklich grünen Wasserstoff liefern.“
Dekarbonisierung der IndustrieUm grünen Wasserstoff wettbewerbsfähig zu machen, wird es in näherer Zukunft, davon sind Experten überzeugt, aber auf jeden Fall weiterhin Förderungen brauchen. „Die technologischen Lösungen für grünen Wasserstoff existieren ja. Dass er in Hinblick auf den Klimaschutz und CO2-Emissionen die eindeutig präferierte Lösung ist, ist ebenfalls klar. Damit Wasserstoff aus grüner Produktion auch wirtschaftlich wettbewerbsfähig ist, braucht es aber ein entsprechendes Preisgefüge“, merkt Karina Knaus von der Österreichischen Energieagentur an. Je mehr Länder von fossilen Energieträgern wegkommen, desto schneller wird grüner Wasserstoff wettbewerbsfähig werden.
Wie macht man grünen Wasserstoff wirtschaftlich?Um die zukünftige Entwicklung des Energiemarkts besser verstehen zu können, setzen Wissenschaftler unter anderem digitale Zwillinge von Energiesystemen ein. Diese Modelle können dazu dienen, die Systeme zu optimieren, aber auch, um ökonomische Fragen zu bearbeiten – etwa danach, wie ein zukünftiger Markt für grünen Wasserstoff aussehen könnte. Ein solches System läuft zum Beispiel am Institut für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation der TU Graz.
Für das Gelingen der Klimawende ist Wasserstoff auf jeden Fall unverzichtbar, spätestens dann, wenn nicht nur Stromerzeugung, sondern auch Prozesse in der Industrie und der Schwerverkehr dekarbonisiert werden sollen. Letztlich ist Wasserstoff aber auch die einzige Möglichkeit, um auf Dauer die winterliche Erzeugungslücke bei den Erneuerbaren auszugleichen. Denn er erlaubt Energie, die in Monaten mit sehr starker Produktion aus Wind und Sonne erzeugt wurde, für die Wintersaison verfügbar zu halten.
Auf zwei TWh wird der Bedarf für Strom aus Wasserstoff geschätzt, damit Österreich im Jahr 2040 die Erzeugungslücke im Winter schließen kann. Um diese Mengen zu erzeugen, sind laut Stromstrategie 2040 allerdings wegen der Verluste bei der Rückverstromung vier bis fünf TWh Wasserstoff nötig. Der Bedarf für die Dekarbonisierung von Verkehr und industriellen Prozessen ist in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten.
Muss Europa Wasserstoff importieren?Dabei sind die dafür benötigten Energiemengen gigantisch: Allein um die voestalpine zu dekarbonisieren, wäre nach Schätzungen von Experten die Produktion von 27 TWh an zusätzlichem grünen Strom nötig – also noch einmal jene Menge, die bis 2030 im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz festgeschrieben ist.
Womit zwei Punkte ziemlich klar sind: Die Vorstellung, den gesamten für die Dekarbonisierung benötigten Wasserstoff aus grünem Strom vor Ort in Österreich produzieren zu können, kann dem Realitätscheck schlicht und einfach nicht standhalten. Zugleich gilt allerdings nach wie vor das Ziel, Österreich nicht in eine neue Energie-Abhängigkeit zu manövrieren – diesmal statt von Russland von Ländern, aus denen in Zukunft grüner Wasserstoff importiert werden soll.
„Es ist kaum vorstellbar, dass Europa zu hundert Prozent energieunabhängig wird. Um Importe von grünem Wasserstoff wird man nicht herumkommen“, bestätigt Wogrin und ergänzt, dass es deshalb aber eben umso wichtiger sei, ein gutes geopolitisches Risikomanagement zu schaffen und bei den zukünftigen Lieferanten möglichst breit zu diversifizieren. Zum anderen sollte Wasserstoff nur dort eingesetzt werden, wo es keine besseren Alternativen gibt. „Bei Raumwärme zum Beispiel macht das überhaupt keinen Sinn, da ist die Wärmepumpe, jedenfalls heute, die bessere Lösung.“
Bürokratische HürdenZumindest der für unmittelbare Stromversorgungssicherheit notwendige Wasserstoff sollte bis 2040 allerdings zu hundert Prozent in Österreich produziert werden. Er würde dann jene Rolle übernehmen, die heute Erdgas zukommt: das Netz zu stabilisieren, wenn Wind, Sonne, Wasser und Exporte nicht ausreichend Leistung erbringen, also vor allem in den Wintermonaten.
Die Stromstrategie 2040 definiert darüber hinaus aber auch das Ziel, zumindest 25 Prozent des für andere Zwecke, also vor allem für die Dekarbonisierung von Industrie und Schwerverkehr, benötigten Wasserstoffs ebenfalls in Österreich durch Elektrolyse aus grünem Strom zu gewinnen. Was allerdings nur funktionieren kann, wenn der Erneuerbarenausbau in einem viel dynamischeren Tempo erfolgt als bisher.
„Um die Produktion der Erneuerbaren in dem dafür nötigen Maß voranzutreiben, braucht die Energiewirtschaft vor allem Planungssicherheit“, sagt die Generalsekretärin von Oesterreichs Energie Barbara Schmidt. Die ist allerdings nur in einem beschränkten Maß vorhanden.
Denn zum einen könnten Pläne für eine stärkere Besteuerung der aktuellen Gewinne von Energieunternehmen dazu führen, dass nötige Investitionen in die Erzeugungs- und Netzinfrastruktur schwieriger zu finanzieren sein werden und dementsprechend langsamer vorangehen.
Über dieses aktuelle Problem hinaus sorgen aber vor allem die Flächenfrage und lange Verfahren für Verzögerungen. Immer noch haben zum Beispiel nicht alle Bundesländer Vorrangzonen für die Erneuerbaren ausgewiesen. Solche Zonen sind zwar auch nicht zwingend eine Garantie dafür, dass die nötigen Genehmigungsverfahren ohne Verzögerungen laufen, sie geben Projektbetreibern aber zumindest eine gewisse Sicherheit für eine erfolgreiche Abwicklung.
Es gibt kein ZurückVerzögerungen durch Einsprüche, auch darauf weist die Stromstrategie 2040 hin, können letzten Endes aber ohnehin nur dann verhindert werden, wenn die grundsätzlich in Österreich sehr weite Akzeptanz für die Klimawende nicht abstrakt bleibt. Sie muss auch zu der Erkenntnis führen, dass dieses Zukunftsunterfangen in der Landschaft sichtbar sein wird. „Derzeit fehlt bei vielen Menschen tatsächlich noch die Verbindung zwischen Klimawende und der Notwendigkeit, zum Beispiel im großen Stil die Netzinfrastruktur auszubauen“, kommentiert die Situation Karina Knaus von der Österreichischen Energieagentur.
Das betrifft übrigens nicht nur einzelne Bürger, sondern auch die Politik. Denn im Moment schafft das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz zwar die Rahmenbedingungen und setzt auch ambitionierte Ziele. Auf Länder- und Gemeindeebene ist die Bereitschaft, das Gesetz in seiner ganzen Breite durchzusetzen, aber nicht immer ungebrochen.
Was umso mehr erstaunt, als spätestens seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine klar ist, dass die Bewältigung der Klimakrise und damit der Umstieg auf nicht-fossile Energiebereitstellung auch der einzige Weg ist, um den Wirtschaftsstandort Österreich abzusichern. Denn so viel sollte inzwischen eigentlich jedem bewusst sein: Selbst wenn es aus heutiger Sicht unmöglich ist, die Entwicklung bis zum Jahr 2040 bis ins letzte Detail vorherzusehen – eine Rückkehr zur Zeit vor dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wird es energiepolitisch nicht mehr geben.
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