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Klimapolitische Zielsetzungen erfordern eine ganzheitliche Systemsicht

Franz Strempfl, Spartensprecher Netze, blickt in seinem Kommentar auf das Jahr 2023 zurück und beschreibt die Herausforderungen und Chancen der Branche.

Das Energieausbaugesetzes hat den Ausbau von Photovoltaikanlagen stark beschleunigt. Auch der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat auf Grund seiner Auswirkungen auf die Energiepreise die Anzahl der Anfragen zum Netzanschluss dezentraler Photovoltaik-Anlagen dramatisch erhöht. 

Franz Strempfl, Spartensprecher Netze von Oesterreichs Energie und Geschäftsführer der Energienetze Steiermark GmbH
„Der rasante Umbau stellt sehr hohe Anforderungen an die Netze.“ Franz Strempfl Spartensprecher Netze von Oesterreichs Energie und Geschäftsführer der Energienetze Steiermark GmbH

Im letzten Jahr 2023 wurden österreichweit PV-Anlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 2 GW durch die Verteilernetzbetreiber ans Netz an­geschlossen. Das ist mehr als das Doppelte im Vergleich zu 2022, eine Verzehnfachung zum Jahr 2020 und beweist, dass der Umbau des Energiesystems in Richtung Klimaneutralität zügig voran geht und nicht nur bei Kunden und Elektroplaner, sondern auch bei den Netzbetreibern mit hoher Priorität vorangetrieben wird. 

Der rasante Umbau stellt sehr hohe Anforderungen an die Netze. Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Material, die notwendigen Genehmigungsverfahren sowie der Bereitschaft der Grundeigentümer, die Benützung der von uns benötigte Grundstücke einzuräumen, sind nur einige der Herausforderungen, denen tagtäglich Rechnung zu tragen ist.

Jede neue Einspeiseanlage ist einer Netzanschlussprüfung zu unterziehen. Diese sind notwendig, um auch weiterhin einen reibungslosen Betrieb und somit die Versorgungssicherheit des Stromnetzes sicherzustellen zu können. Gleichzeitig muss für den stabilen Systembetrieb in jedem Augenblick das Gleichgesicht zwischen Aufbringung und Verbrauch sichergestellt sein. Dies wird mit zunehmender Stromerzeugung aus volatilen Quellen anspruchsvoller, da Zeiträume mit großer Überproduktion (Sommer) Tagen bis Wochen mit deutlicher Unterdeckung (Winter) gegenüberstehen.

Strommast
© AdobeStock/pictureserver

Dadurch erhöhen sich die Anforderungen an den zunehmend komplexer werdenden Netz- und Systembetrieb, sowohl für Übertragungs- als auch Verteilernetzbetreiber. Die enge Abstimmung ist unverzichtbar zur Gewährleistung der in Österreich gewohnten hohen Versorgungssicherheit. Dies ist im Fokus des Projektes Systemführung 2.0 zur Weiterentwicklung der Netzbetriebsführung, wo auch das Ziel verfolgt wird, Kunden über eine digitalen Kundenschnittstelle aktiv zur Bereitstellung von Flexibilität für den permanenten Ausgleich von Einspeisung und Verbrauch in das Gesamtsystem einzubinden. 

Die bestehende Netzinfrastruktur ist vor dem Hintergrund dieser neuen Herausforderungen bei­nahe ausgereizt. Unsere Netze müssen verstärkt, modernisiert, aber vor allem auch massiv digitalisiert werden, um den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden. 

Noch vor der Corona-Krise hat die Branche eine Studie bei Frontier Economics und dem AIT in Auftrage gegeben, die den Investitionsbedarf in die Verteilnetze bis 2030 mit 15 Milliarden Euro, bis 2040 mit 30 Milliarden Euro beziffert. Berücksichtigt man die im Integrierten Österreichischen Netzinfrastrukturplan (ÖNIP) genannten Ausbauerfordernisse sowie die deutlich gestiegenen Preise für Betriebsmittel und Dienst­leistungen, ergibt sich ein aktualisierter Bedarf von 24 Milliarden Euro bis 2030 und 44 Milliarden bis 2040. Im Bereich des Übertragungsnetzes hat die APG die bislang veranschlagten vier Milliarden auf neun Milliarden aktualisiert.

Dies sind enorme Summen, die in den Ausbau der Netzinfrastruktur getätigt werden müssen. Die Studie kommt jedoch auch zur klaren Erkenntnis, dass das volkswirtschaftliche Risiko auf Grund zu weniger Netzinvestitionen das Risiko aus zu viel Netzinvestitionen bei Weitem übersteigt. Das Risiko aus Perspektive der Volkswirtschaft ist zudem asymmetrisch, d.h. „zu streng reguliert“ wird schneller und absolut teurer als „zu mild reguliert“.

Die fünfte Regulierungsperiode für die Verteilernetzbetreiber, welche mit 1.1.2024 begonnen hat und über fünf Jahre bis 2028 wirkt, bringt eine Weiterentwicklung der bisherigen Systematik im Sinne der erforderlichen „Regulierungswende“ mit sich. So finden Kostensteigerungen auf Grund hoher Inflationswerte sowie die steigenden Investitionen und Aufwendungen auf Grund der starken Zunahme an dezentralen Einspeisern zeitnah Berücksichtigung. Auch die Senkung der generellen Produktivitätsvorgabe von 0,95 Prozent auf 0,4 Prozent ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn die Branche angesichts der immensen Ausbau- und Umbauherausforderungen eine Senkung auf null für gerechtfertigt hält. Positiv sind auch die Berücksichtigung eines Innovationsbudgets in der Höhe von 0,6 Prozent der beeinflussbaren Betriebskosten und die Verzinsung neue Investitionen unter Berücksichtigung des gestiegenen Zinsniveaus zu erwähnen, wohingegen der, auf Grund der rückwärts gerichteten Berechnung, geringere Zinssatz für bestehende Investitionen bis 2023 kritisch gesehen wird.

Die voranschreitende Digitalisierung erhöht die zunehmende Exponiertheit gegenüber Cyber-Risken. Das Netz- und Informationssystemsicherheitsgesetz, die NIS-Verordnung sowie die Branchenmindeststandards definieren die Anforderungen der hierfür erforderlichen OT-Security. Für die nächsten Jahre ist keine Abschwächung der Cyberbedrohungen zu erwarten. Entsprechend sind auch in den nächsten Jahren erhöhte Aufwendungen auf die Cyberresilienz in der Regulierungssystematik zeitnahe zu berücksichtigen. 

Die Werthaltigkeit, Finanzierbarkeit und Planbarkeit von Investitionen der Übertragungs- und Verteilernetze muss trotz hohem Investitionsbedarf langfristig sichergestellt sein. Diesbezügliche Risken gefährden die Attraktivität für die Eigentümer und Investoren, wodurch die Finanzierung der notwendigen Investitionen deutlich erschwert wird.

Strommast und Windräder in der Landschaft
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Am Entwurf des Elektrizitäts-Wirtschaftsgesetz (ELWG), ist positiv zu sehen, dass es nunmehr möglich wird, die bestehenden Netztarifstruktur aus dem 90-iger Jahren des vorigen Jahrhunderts den neuen Gegebenheiten, d.h. den geänderten Verbrauchs- und Erzeugungscharakteristiken anzupassen. Die individuelle Inanspruchnahme der Netze muss klar preisbestimmend sein, dies wird durch einen Leistungspreis in allen Netzebenen erreicht. Wenn das Elektroauto mit 50 kW über 2 Stunden ladet, bezieht es die gleiche Strommenge wie bei einer Ladung mit 10 kW über 10 Stunden, es belastet das Netz aber ungleich höher. 

Netzdienliches Verhalten muss sich auszahlen. Die Anpassung der Netztarifstruktur wird seit Jahren diskutiert und von den Netzbetreiber gefordert. Der Faktor Leistung und damit das Ausmaß der individuellen Netzinanspruchnahme muss dabei mehr Gewicht bekommen. Sind Kunden bereit ihren Leistungsbedarf entsprechend anzupassen, muss das auch durch geringere Netzkosten honoriert werden. Leider ignoriert auch die mit Ende des Jahres erfolgte Festsetzung der Systemnutzungsentgelte für 2024 diese Erfordernisse und führt vielmehr in die gegengesetzte Richtung.

Kritisch sehen wir die im ELWG vorgeschriebene verpflichtende monatliche Abrechnung der Netzentgelte. Kunden, die dies wünschen, können das bereits jetzt anfordern. Zudem erscheint es fraglich, ob eine monatliche Abrechnung und damit der Verlust einer planbaren monatlichen Belastung seitens der Mehrheit der Kunden gewünscht wird. Auch muss in diesem Zusammenhang auf die deutlich höheren Kosten für Netzbetreiber und Energielieferanten hingewiesen werden. Abgelehnt wird auch die Auslesung des ¼-h-Lastprofils bei allen Intelligenten Messgeräten. Dies sollte nur dort erfolgen, wo diese Granularität gewünscht (Kundenwunsch) oder benötigt (z. B. bei Energiegemeinschaften oder Produkten mit flexiblen Energiepreisen) wird. Auch hier ist auf die Kostenbelastung und die Leistungsfähigkeit der Systeme hinzuweisen. 

Ebenfalls kritisch sehen wir die unrealistisch knappen Fristen zur verpflichtenden Netzanschlusserrichtung und die zeitliche Beschränkung des flexiblen Netznutzgangs. Spitzenkappung kann sehr gut für eine besser Ausnutzung der bestehenden Netzinfrastruktur sorgen, ohne die Produktion merkbar zu beschränken. Im Jahresschnitt hat eine Spitzenkappung auf 70 Prozent nur einer Reduktion der produzierten Energie um drei Prozent zur Folge.

Das ELWG sieht zwar die Möglichkeit vor, dass Netzbetreiber Speicher netzdienlich betreiben können, der damit verbundene organisatorische Aufwand ist aber unverhältnismäßig groß, muss doch die Nutzung jeder netzdienlichen Speicheranlage einzeln beantragt und bewilligt werden. Wenn nur 10 Prozent der in Österreich verbauten Trafostationen mit netzdienlichen Speichern ausgestattet werden müssten, erfordert dies mehr als 10.000 Anträge. Die europarechtlichen Rahmenbedingungen sind im Bereich der netzdienlichen Speicher zwar streng, dennoch hätte man hier den gegebenen nationalen Spielraum besser ausnützen können.

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Oesterreichs Energie-Tätigkeitsbericht 2023 PDF 43 MB