Hochspannungs-Erdkabel: Factfinding in Norden
Hochspannungs-Erdkabel sind in der E-Wirtschaft ein heißes Thema. Im Zuge einer Factfinding-Reise sprach Oesterreichs Energie mit dem deutschen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz über Gleichspannungsleitungen, überlange Verfahren und kluge Maßnahmen für einen kostengünstigen Netzausbau.
Es gibt idyllische Orte, wo der Strom sozusagen aus der Erde kommt. Hinten leuchten in der Ferne weiße Felsen der Insel Rügen. Am Strand weißer Sand, Mohnblumen am Weg durch den Küstensaum. Mecklenburg-Vorpommern von seiner schönsten Seite.

Hätten wir nicht gerade die beeindruckende Baugrube 850 Meter landeinwärts gesehen, könnten wir es vielleicht kaum glauben, genau hier, in ein paar Metern Tiefe, ein sehr dickes Stromkabel unter uns zu haben. Es soll noch mehr Windstrom aus den 40 Kilometer entfernten Offshore-Parks zwischen Rügen und Bornholm an Land bringen. Dass wir uns mitten in einer „Energie-Region“ befinden, davon ist bei unserem Zehn-Minuten-Blitzabstecher zum „Bodden“, wie die Einheimischen die flache Lagune nennen, nichts zu sehen. Ganz anders als an der Küstenstraße, wo das ehemalige Atomkraftwerk Lubmin über mehr als einen Kilometer den Blick verstellt.

Der ab 1967 errichtete Meiler, der als eines von zwei DDR-Kernkraftwerken einst Berlin mit Strom versorgte, ist zwar seit 1990 außer Betrieb, das Umspannwerk aber weiter ein wichtiger Knoten im Netz.
Das „Zwischenlager Nord“ für Atommüll in 74 Castor-Behältern hat auf dem Gelände seinen Platz. Altlast verpflichtet. Während für die strahlenden Brennstoffe die Zukunft ungewiss ist, wird an der Zukunft der Erneuerbaren in der Umgebung tatkräftig gebaut. Gehen die Pläne auf, wird es hier einmal eine bedeutende Wasserstoff-Produktion geben. Die Infrastruktur gibt es auch dafür, denn in Lubmin docken auch die Pipelines Nordstream 1 und 2 an Land an.
Wenn 50Hertz hier unweit von Greifswald für rund eine Milliarde Euro das Netz technisch hochrüstet, spielen die erwähnten Kabel eine entscheidende Rolle. Denn erstmals realisiert 50Hertz den Netzanschluss eines Ostsee-Offshore-Windparks mit einer 525 Kilovolt-Gleichstromübertragung. „Ostwind 4“ heißt das Projekt. Diese 525-kV-Erdkabel kommen in Deutschland derzeit bei vielen neuen Stromtrassen zum Einsatz, etwa beim SuedLink oder SuedOstLink, womit die Engpässe zwischen hoher Erzeugung im Norden und hohem Verbrauch im Süden beseitigt werden.
2.000 Megawatt Übertragungsleistung
Die neue Hochspannungsgleichstromübertragung HGÜ ist aufwendig, „packt“ aber viel Strom bei geringen Verlusten. 50Hertz, dessen Gebiet den gesamten Osten Deutschlands und Hamburg umfasst, bewerkstelligt mit ihr 2 GW Übertragungsleistung vom Offshore-Gebiet „Windanker“. Auf einer eigenen Plattform am Meer wird der Wechselstrom der Windräder in Gleichstrom konvertiert. Über 110 Kilometer erstrecken sich die im Seeboden verlegten HGÜ-Kabel.
Erdkabel werden auch in Österreich als akzeptanzfördernde Alternative zu Freileitungen diskutiert. Ihre Umsetzung ist jedoch mit deutlich höheren Kosten verbunden.
Vier Kilometer sind es dann noch an der Küste bis zu einem ebenfalls neuen, in Bau befindlichen, Umspannwerk beim Dörfchen Stilow.
Um eine Vorstellung nur von den Kabeln zu bekommen: Sie sind im Durchmesser 15 Zentimeter stark. Auf einen Meter Länge bringen sie mit ihrem Kupferkern knapp 120 kg auf die Waage. Eine Kabeltrommel, die so groß wie ein Container ist, reicht maximal für eineinhalb Kilometer. Wer bei Hochspannungs-Erdkabeln an Leitungen in einfachen Gräben denkt, staunt auf der 50Hertz-Baustelle nicht schlecht über die tatsächlichen Dimensionen. Die Eingriffe ähneln eher einer Autobahn-Baustelle, auch wenn die Strom-Autobahn später wieder weitgehend unter der Erde verschwindet.

Zwei Kabelabschnitte werden in einer dichten Verbindungsmuffe präzise miteinander verbunden. Ein Betonsockel trägt das Gewicht der Konstruktion und Kabelreserven in Form von Schleifen verhindern eine unzulässige Zugbelastung. Zum vorsichtigen Einziehen in die Leerrohre werden 2,5 bis drei Tonnen Zugkraft gebraucht. Hindernisse werden mit sehr lang gezogenen Durchtunnelungen mittels Spül-Bohrtechnik unterquert.
Eine einmalige Gelegenheit zur Besichtigung mit weiteren Superlativen bietet die Baustelle des neuen Umspannwerks Stilow, dass dann die 525-kV-Leitung „Ostwind 4“ sowie auch „Ostwind 3“ aufnimmt.

Von der Küste aus lässt sich die riesige Schaltanlage kaum ausmachen, sie wurde in der welligen Landschaft bewusst in eine Senke platziert. Das Portal, Spannungwandler und Sammelschienen sozusagen noch zum Anfassen zu erleben, ist sehr speziell. Wir haben überdies besonderes Glück. Der erste der beiden Transformatoren ist kürzlich auf der Baustelle angekommen. Sein Gewicht ist für Laien schwer vorstellbar: Er wiegt 370 Tonnen.
Bis zum Lubminer Hafen wurde er per Schiff transportiert, von da hat ein Sattelanhänger mit 22 Achsen, je achtfach bereift, die Fracht für die letzten Kilometer übernommen. Der zweite Transformator, aus Sicherheitsgründen von einem anderen Hersteller, ist Anfang Juni ebenfalls angekommen. Beide werden jetzt in Millimeter-Arbeit an ihre Plätze gebracht.
Kein Kabel unter in Österreich
In Österreich sieht die E-Wirtschaft den Einsatz von Erdkabeln sehr kritisch. „Schon am flachen Land verursachen Erdkabel enorme Mehrkosten – in einem Bergland wie Österreich wäre eine regelrechte Kostenexplosion die Folge“, erklärt Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, die Vorbehalte der Branche. Für Österreich rechnen Experten – abhängig von der Topografie - mit einer Verachtfachung der Kosten, in schwierigem Gelände mit noch mehr. „Das können wir uns nicht leisten. Im Gegenteil: Um die Belastung für die Stromkundinnen und Stromkunden möglichst gering zu halten, suchen wir derzeit intensiv nach Möglichkeiten, um den Netzausbau so kosteneffizient wie möglich zu gestalten“, sagt Schmidt. Auch bei 50Hertz hätte man sich bei manchen Trassen die Option einer Freileitung gewünscht – nach den geltenden deutschen Regelungen ist das aber nicht möglich. Denn im Küstenstreifen dürfen schlichtweg keine Hochspannungsmasten stehen.

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