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Geopolitik: Eine neue Energieordnung

Seit Jahrzehnten war die Bedrohung durch kriegerische Auseinandersetzungen nicht so groß wie jetzt. Für die Energiewende schafft das völlig neue Rahmenbedingungen, wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler betont.
 

Der Text ist noch vielen in Erinnerung. Als Francis Fukuyama 1989 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in seinem Bestseller „Das Ende der Geschichte“ verkündete, von nun an werden sich Liberalismus und Marktwirtschaft endgültig zu einem weltumspannenden Ordnungsprinzip entwickeln, läutete er damit einen Epochenwechsel ein. Und er stellte ein Paradigma auf, das bis heute in der politischen Debatte nachhallt, auch wenn es sich spätestens mit dem russischen Angriff auf die Ukraine als obsolet erwiesen hat.

Prof. Dr. Herfried Muenkler, Lehrstuhl Theorie der Politik an der Humboldt-Universitaet zu Berlin

„Wir müssen der Tatsache ins Auge blicken, dass wir auch in Zukunft auf Energie, vor allem grünen Wasserstoff, von Lieferanten angewiesen sein werden, die nicht unbedingt unsere Werte teilen.“ 

Herfried Münkler

„Nach 1989“, kommentiert der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, „dachte man, Geoökonomie hätte Geopolitik abgelöst. Oder anders formuliert: Man hat fest daran geglaubt, dass Konflikte nicht mehr militärisch, sondern wirtschaftlich gelöst werden können. Die Idee, dass die westliche Wertegemeinschaft Wohlverhalten durch Verhandlungen und Androhung von Sanktionen erzwingen kann, gewann breiten Raum.“
 

Böses Erwachen

Auch in der globalen Energiepolitik, in der es um den Zugriff auf Rohstoffe und Produktionskapazitäten geht, und die stets Teil von Geopolitik war, gewann dieses Denken immer mehr an Einfluss. „Bis es am 24. Februar mit dem Beginn des Ukraine-Krieges ein böses Erwachen gab“, sagt Münkler. In diesem Moment sei der westlichen Politik schmerzhaft bewusst geworden, dass es nicht die beste Idee war, keinen Plan B zu haben, energiepolitisch wie sicherheitspolitisch. „Wir haben uns darauf verlassen, dass Putin liefern wird und dachten, dass wir, sollte er es nicht tun, ihn mit wirtschaftlichem Druck dazu bringen können, einzulenken.“

Wie wir heute wissen, ging das Kalkül nicht auf. Der Westen hat einerseits Putins Großmacht-Phantasien nicht sehen wollen, sie aber andererseits auch unwissentlich gefördert, wie Münkler anmerkt: „Europa hat möglicherweise etwas zu nachdrücklich kommuniziert, dass es unter dem Imperativ der Nachhaltigkeit russisches Gas als eine Übergangslösung sieht.“ 
 

Imperativ der Nachhaltigkeit

Ohne die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Energiewende in Frage zu stellen, müsse man in Rückblick sehen, dass diese Situation es Putin leicht gemacht hat, die Energie-Partnerschaft mit dem Westen aufzukündigen und sich stattdessen als ein Zar zu inszenieren, der Russland wieder zu einer Weltmacht macht. „Er wusste, dass der Geldsegen aus dem Westen ein Ablaufdatum hat. So gesehen macht die Anlehnung an China für ihn Sinn, auch wenn er sich dabei in wirtschaftliche Abhängigkeit von China begibt.“

Die Lehren, die Europa aus alldem für seine zukünftige Geo- und Energiepolitik ziehen sollte, sind für Münkler eindeutig. „Wir müssen nicht nur der Tatsache ins Auge blicken, dass wir auch in Zukunft auf Energieimporte, vor allem von grünem Wasserstoff, angewiesen sein werden. Wir müssen uns auch klar machen, dass unsere zukünftigen Lieferanten nicht unbedingt unsere Werte teilen. Die Länder an der Südseite des Mittelmeers, von wo wir in Zukunft beträchtliche Mengen an Energie beziehen werden, sind nun mal mehrheitlich keine Demokratien.“   
 

Resilienz in einer multipolaren Welt

Sich darauf einzustellen, müsse daher heißen, zum einen resilient zu werden durch Diversifikation der Bezugsquellen, derzeit noch für Gas, später für grünen Wasserstoff. Zum anderen müsse Europa sich aber auch mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass man in Zukunft die Einhaltung von Vereinbarungen unter Umständen auch durch Demonstration militärischer Stärke wird durchsetzen müssen.

Zudem: Im Wettlauf um Afrika und seine energiepolitischen Ressourcen steht Europa einer Reihe anderer, ihm nicht gerade positiv gesonnenen Konkurrenten gegenüber: China, das seinen Einfluss im globalen Süden vor allem durch wirtschaftlichen Druck erzwingt und Russland, das verstärkt auch militärisch in innerafrikanische Konflikte eingreift. Und schließlich gibt es mit den USA auch einen Verbündeten, der vor Ort aber dennoch oft seine eigene Agenda verfolgt.

All das macht die Lage reichlich unübersichtlich, wie Münkler urteilt. „Wir haben, anders als Fukuyama es angekündigt hat, keine unipolare, von Kräften des Liberalismus dominierte Welt, auch keine bipolare Ordnung wie zur Zeit des Kalten Krieges, sondern viel eher eine Konstellation wie am Ende des 19. Jahrhunderts, mit unzähligen Konfliktpotentialen. Besonders beruhigend ist das nicht.“  

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