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Europas Energiewirtschaft im Zentrum des Sturms

Michael Strebl, Spartensprecher Handel & Vertrieb, blickt in seinem Kommentar auf das Jahr 2022 zurück und beschreibt die Herausforderungen und Chancen der Branche.

Der Krieg in der Ukraine, die daraus entstandene instabile geopolitische Lage und die hohen volatilen Energiepreise haben ganz Europa in eine Krise gestürzt. Die europäische Versorgungssicherheit steht vor nie dagewesenen Herausforderungen. Rasches Handeln ist über die Versorgungssicherheit auch im Bereich der Speicherung, Diversifizierung und Leistbarkeit der Energieversorgung gefragt. Eine Vielzahl von Verordnungen, unter anderem zur Gasbevor­ratung, folgten als erste Reaktion.

Die Preissteigerungen wurden 2022 durch die Eskalation des Ukrainekonflikts noch einmal angeheizt, niedrige Gasspeicherstände zu Beginn des letzten Winters kombiniert mit reduzierten Liefe­rungen aus Russland und hoher Unsicherheit für die Zukunft führten zu mehr als 10-fach höheren Gaspreisen als vor einem Jahr – mit direkten Aus­wirkungen auf den Strompreis.

„Ein temporärer Eingriff in den europäischen Großhandelsmarkt ist notwendig, um die Krisensituation zu entschärfen.“ Michael Strebl Spartensprecher Handel & Vertrieb von Oesterreichs Energie sowie Vor­sitzender der Geschäftsführung von Wien Energie

Auf europäischer Ebene wurden rasch Pakete mit Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise auf den Weg gebracht und verabschiedet. Darin befinden sich u. a. Maßnahmen zur Senkung der Energienachfrage sowie eine Erlösobergrenze für inframarginale Stromerzeugung, die seit Oktober in Kraft ist.

Die regulatorischen Rahmenbedingungen für die nationale Umsetzung werden derzeit im entsprechenden Gesetz über den Energiekrisenbeitrag-Strom festgezurrt. Über einen Vorschlag für einen Marktkorrekturmechanismus zur Eindämmung der hohen Gaspreise wird auf Ebene der Mitgliedsstaaten noch verhandelt.
 

Marktdesign in DiskussionDie weiterhin stark steigenden Strompreise lösten Forderungen nach einer kritischen Betrachtung der EU-Stromgroßhandelsmärkte aus. Der Höhepunkt war erreicht, als die Strompreise Ende August 2022 1.000 Euro/MWh sowohl am Spot- als auch am Terminmarkt erreichten. Aus Sicht der österreichischen E-Wirtschaft ist ein temporärer Eingriff in den europäischen Großhandelsmarkt notwendig, um die Krisensituation zu entschärfen. Zudem sollten die Börseregeln überarbeitet werden, um solche Extreme in Zukunft zu verhindern. Die Branche ist somit bereit, sich sowohl an der Folgenabschätzung als auch an der legislativen Überarbeitung des EU-Strommarktdesigns zu beteiligen, der noch im ersten Quartal 2023 vorgelegt werden soll.

Das mittelfristige Modell von Oesterreichs Energie sieht dafür eine zweistufige Ermittlung des Großhandelspreises an den Börsen mit Markträumung gemäß Merit-Order und nachträglich reguliertem Zielpreis für Gas, Steinkohle und Öl vor.
 

Entlastung der Kundinnen und Kunden forciertAls erste Reaktion der EU-Kommission erfolgte der Vorschlag, freiwillige Maßnahmen zu erlassen, um die sozialen Auswirkungen der Preissteigerungen abzufedern. Die österreichische E-Wirtschaft präsentierte ein konkretes Maßnahmenpaket, um Haushalte und Kleinunternehmen in Härtefällen unter die Arme zu greifen. Dieses beinhaltete eine deutliche Aufstockung der Mittel für Energiearmut, den Ausbau von Beratungsleistungen im Bereich Energieeffizienz und einen Abschaltverzicht bis Ende Mai 2022 bei Haushalten und Kleinunternehmen in Härtefällen.

Auch durch die Bundesregierung wurde eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen, um die aktuelle Situation zu stemmen. Neben der wichtigen strategischen Gasreserve und dem Vorbereiten diverser Notfallmaßnahmen wurden die Endkundinnen und -kunden durch das Aussetzen des Ökostromförderbetrags und der Ökostromförderpauschale sowie der Stromkostenbremse entlastet. Bei all diesen Maßnahmen ist der Dialog mit der Branche essenziell, um eine umsetzbare und kundenfreundliche Abwicklung mitberücksichtigen zu können.

Hochlauf der E-Mobilität noch ungebremstAuch im Jahr 2022 ging der Hochlauf der E-Mobilität rasant weiter. So bewegen sich seit diesem Jahr erstmals über 100.000 Elektroautos auf Österreichs Straßen. Ein wesentlicher Treiber für diese Entwicklung ist der rasante Ausbau der Ladeinfrastruktur. In Österreich wurden mittlerweile fast 15.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte errichtet, und es werden täglich mehr.

Elektroauto am Ladestation
© AdobeStock/rh2010

In der Praxis zeigte sich in diesem Zusammenhang, dass eine Verrechnung der geladenen Energiemenge einen zentralen Kundenwunsch darstellt. Allerdings stehen dieser Verrechnungsart regulatorische Rahmenbedingungen entgegen. Hier müssen die zuständigen Behörden rasch handeln und entsprechende Verordnungen erlassen, die eine energiebasierte Verrechnung an der bestehenden Lade­infrastruktur ermöglichen.

Ein wichtiger Schritt am Weg zum Durchbruch der E-Mobilität war die Einführung eines Right-to-Plug im Bereich des Wohnungseigentums. In der Vergangenheit zeigte sich, dass der Ausbau von privaten Lademöglichkeiten in urbanen Gebieten mit enormen Hürden verbunden war. Grund dafür waren Bestimmungen aus dem Wohnrecht. Mit der diesjährigen Novelle des Wohnungseigentumsgesetzes wurde der Einbau der privaten Lademöglichkeiten in Mehrparteienhäusern erleichtert. Nun gilt es, aus den Praxiserfahrungen zu lernen und weitere Hemmnisse im Bereich des Wohn- und Baurechts abzubauen.

Ein weiterer erfreulicher Punkt aus Sicht der E-Mobilität ist die Novellierung der Kraftstoffverordnung. Diese trat mit 01.01.2023 in Kraft. Besonders die darin festgelegte Anrechenbarkeit des Ladestroms auf das Erneuerbaren-Ziel im Verkehrssektor sowie die Erhöhung der Ausgleichsbeträge werden dem Hochlauf der klimafreundlichen Mobilität einen weiteren Anschub verleihen, was aus Sicht der österreichischen Energiewirtschaft ausdrücklich begrüßt wird.

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Oesterreichs Energie-Tätigkeitsbericht 2022