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Erneuerbaren-Ausbau braucht sicheres Infrastrukturfundament

Karl Heinz Gruber, Spartensprecher Erzeugung, blickt in seinem Kommentar auf das Jahr 2023 zurück und beschreibt die Herausforderungen und Chancen der Branche.


Bausteine der Versorgungssicherheit auf dem Weg zur Klimaneutralität

Mit den auch 2023 anhaltenden Angriffen Russlands auf die Ukraine blieb das Thema Versorgungssicherheit weiterhin im Bewusstsein der Politik und Öffentlichkeit. 

Nachdem in Europa massiv in neue Gas- und Flüssiggasinfrastrukturen investiert wurde, stehen in den meisten Regionen nun ausreichende Alternativen für russisches Erdgas zur Verfügung. In Österreich nimmt der Ausbau alternativer Beschaffungswege allerdings noch einige Zeit in Anspruch, weshalb nach wie vor ein hoher Anteil der Gaslieferungen aus Russland kommt. 

„Die Herausforderungen der Energietransformation sind gewaltig. Die Branche ist bereit, diese zu stemmen. Was wir brauchen, sind langfristig unterstützende Rahmenbedingungen.“ Karl Heinz Gruber Spartensprecher Erzeugung von Oesterreichs Energie und Mitglied der Geschäftsführung der VERBUND Hydro Power GmbH

Das Klimaschutzministerium strebt in Zusammenarbeit mit der E-Wirtschaft und weiteren Stakeholdern nicht nur die Unabhängigkeit von russischem Erdgas an, sondern möchte generell die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wie Erdgas, Erdöl und Kohle beenden. Stattdessen sollen immer mehr erneuerbare Energieträger zum Einsatz kommen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen. Darüber bestand 2023 auch übergreifende politische Einigkeit.

Verstärkte Diskussionen wurden im vergangenen Jahr in zwei strategischen Richtungen geführt:  

  • Erstens: Welche ergänzenden Infrastrukturprojekte sind notwendig, um angesichts der volatilen Erzeugungscharakteristik von Wind und PV, die im Fokus der Ausbaupfade stehen, das gewohnte Maß an Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten? 
  • Zweitens: Wie soll der Ausbaupfad der erneuerbaren Energien mit Blick auf das 100 %-Ziel 2030 und insbesondere auf das Klimaneutralitätsziel 2040 konkret aussehen? 

Für beide Themen sind passende Rahmenbedingungen erforderlich, um die identifizierten Investitionsvorhaben bei den erneuerbaren Energien und die dazu ergänzenden Infrastruktur-Maßnahmen wie Netze und Speicher umsetzen zu können.

PV-Anlage bei Sonnenuntergang
© AdobeStock/Björn Wylezich

Zum Thema Infrastrukturprojekte veröffentlichte das Klimaministerium im Sommer 2023 einen Entwurf eines integrierten österreichischen Netz­infrastrukturplans (NIP), mit dem eine umfassende qualitative und quantitative Erarbeitung und Bewertung von Ausbauszenarien für die Energieinfrastruktur in den Bereichen Strom, Gas und Wärme bis 2030 festgelegt werden soll. Klar war und ist, dass die Koordinierung des Netzausbaus mit der Errichtung von Anlagen zur Erzeugung und Speicherung von erneuerbarem Strom und Gas unerlässlich ist. Insoweit ist die Initiative zur Erstellung eines NIP positiv zu bewerten. 

Nach Einschätzung von Oesterreichs Energie unterstützt der Entwurf zwar den Ausbau der erneuerbaren Energien im Grundsatz, allerdings sind das erforderliche Ausmaß begleitender Infrastruktur für die Systemstabilität und der machbare Weg für Projektrealisierungen nur bedingt erkennbar. Daher plädiert die Branche für eine umfängliche Überarbeitung – und zwar sowohl hinsichtlich inhaltlicher als auch struktureller und methodischer Aspekte. Die zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit notwendigen Aspekte einer gesicherten Leistung und Flexibilität müssen zusätzlich zur Netzinfrastruktur nachvollziehbar eingearbeitet und verschiedene Ausbauszenarien für Erneuerbare detailliert evaluiert werden.

Mit dem Thema der Ausbaupfade wird die zweite Frage adressiert – und hiermit ist der ebenfalls im Sommer 2023 zur Konsultation gestellte Entwurf des Nationalen Energie- und Klimaplans für Österreich (NEKP) angesprochen. Dieser beschreibt, wie die Klimaziele national umgesetzt werden sollen und damit auch, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien in Österreich langfristig voranschreiten soll.
 
Überraschend waren für Oesterreichs Energie die fachlichen Unterschiede zwischen den weitgehend zeitgleich zur Konsultation gestellten zentralen Planungsdokumenten. Besonders irritierend waren etwa die divergierenden Zahlen zu den erwarteten bzw. erforderlichen Ausbaupfaden der Erneuerbaren. Während im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) noch 27 TWh als Ziel für 2030 angeführt wurden, steigert sich diese Ziel-Zahl im NEKP-Entwurf auf ein Plus von 34 TWh und im NIP-Entwurf sogar auf ein Plus von 39 TWh (davon 21 TWh Photovoltaik). Aus Sicht der Branche sind schon die 27 TWh unter den aktuellen rechtlichen,  wirtschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen bis 2030 kaum erreichbar, was auch bereits seit längerem kommuniziert wird. 

Die Offenlegung aller dem NEKP zugrundeliegenden Studien und Szenarien ist daher eine zentrale Forderung. Derzeit können keine der vom Umweltbundesamt erstellten Szenarien „With Existing Measures“ (WEM), „With Additional Measures“ (WAM) und „Transition-Szenario“ nachvollzogen werden.

So wird auch nicht klar, warum für den Ausbau der Erneuerbaren zwar zum Teil überambitionierte Ziele definiert wurden, deren Auswirkungen auf das Stromsystem jedoch nur unzureichend betrachtet werden. Konkret fehlen etwa Hinweise und Daten über Flexibilitäten, Speicher und gesicherte Leistungen, deren Ausbau und Einsatz integraler Bestandteil einer Perspektive auf das Stromsystem 2040 sein müssen. Laut NIP-Entwurf steigt zwar die Spitzenlast in Österreich bis 2040 auf „bis zu 18 GW“, wie diese Spitzenlast mit dem Erzeugungspark sicher gedeckt werden kann, wird jedoch nicht dargelegt.So kommt auch die Rolle der Gas- bzw. Wasserstoffkraftwerke ab 2040 für den sicheren Netzbetrieb nicht vor. Zudem werden die machbaren Ausbau­potenziale bei der Wasserkraft sowie die Erweiterung der Pumpspeicherkapazitäten im aktuellen Entwurf noch deutlich zu wenig adressiert, womit wichtige Bausteine für eine gesicherte und flexible Stromversorgung zu wenig Beachtung finden.
 

Maßgeschneiderte Rahmenbedingungen für die erneuerbare Energiezukunft

Um die Zielerreichung nicht von vornherein zu ver­unmöglichen, hat die Branche 2023 eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt, welche neuen und maßgeschneiderten Rahmenbedingungen es für den notwendigen Ausbau der Infrastrukturen braucht. 

  • Dazu zählen jedenfalls schnellere Genehmigungsverfahren – nicht zuletzt durch das im Jänner 2023 angekündigte Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG), das so rasch wie möglich beschlossen werden sollte. 
    In allen nationalen Gesetzen und Verordnungen muss zügig das in der EU schon festgesetzte, überragende öffentliche Interesse sowohl für Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien als auch für Energiespeicheranlagen verankert werden. Eine Privilegierung von erneuerbaren Energien und Energiespeicherprojekten im Rahmen von Genehmigungsverfahren kann den Ausbau deutlich beschleunigen.
    Zusammen mit dem EABG könnten ein überarbeiteter NIP und die strategische Umweltprüfung des NIP einen wichtigen Beitrag zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren leisten.
  • Auch das vor kurzem zur Konsultation vorgelegte Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) muss genutzt werden, um die Bereitstellung von Flexibilität u. a. durch den effizienten Ausbau und den Einsatz von Energiespeichern und Elektrolyseuren zu erleichtern und Hürden zu beseitigen. Dazu zählt etwa, dass im ElWG – ebenso wie in Deutschland – eine Netzentgeltbefreiung von neuen Energiespeichern technologieoffen gesetzlich festgeschrieben werden muss.


Österreichische Wasserkraft baut Rolle als essenzieller Baustein der erneuerbaren Energiezukunft aus

Die Wasserkraft ist seit Jahrzehnten sowohl Bereitsteller planbarer und CO2-freier, heimischer Grundlast als auch von nachhaltiger Flexibilität. Rund 60 Prozent des in Österreich produzierten Stroms kommen derzeit aus diesem Bereich. Umso wichtiger war und ist es für Oesterreichs Energie, sich mit der künftigen Rolle der Wasserkraft in Zeiten des Klimawandels zu beschäftigen. 

Eine 2023 erstellte Studie im Auftrag von Oesterreichs Energie zeigt, dass diese Erzeugungstech­nologie auch im Zuge der Klimaerwärmung ihre wichtige Rolle beibehält und in einigen Punkten sogar noch ausbaut. Aus den Beobachtungen der Vergangenheit und Gegenwart lässt sich bei den Jahres-Niederschlagsmengen in weiten Teilen Österreichs eine gleichbleibende oder sogar leicht ansteigende Tendenz erkennen. Auch die künftigen Jahresabflüsse sind laut Prognosen auf Jahrzehnte stabil.

Kölnbreinsperre
© AdobeStock/Chris

Mit den steigenden Temperaturen kommt bezüglich der jahreszeitlichen Abflussverteilung über das Jahr gesehen noch ein weiterer Aspekt zum Tragen. Im Sommerhalbjahr ist durch längere Trockenperioden in Summe ein Rückgang der Abflüsse erkennbar, allerdings werden im Winterhalbjahr in fast allen Regionen nennenswerte Zuwächse verzeichnet. Durch den massiven Ausbau im Bereich Photovoltaik wird im Sommer künftig genug Strom zur Verfügung stehen. Allerdings wird im Winter trotz des Windkraft-Ausbaus eine erhebliche Lücke entstehen. Dass sich die Stromerzeugung aus Wasserkraft zusehends in die kälteren Monate verschiebt, ist aus dieser Perspektive ein sehr positiver Effekt.

Um die Wasserkraftwerke bestmöglich an diese neuen Bedingungen anzupassen, werden von der Branche umfassende Modernisierungsmaßnahmen gesetzt. Spezielle Turbinenkonfigurationen bieten etwa bei höheren Flexibilitäten die Möglichkeit, Verluste bei hohen Abflüssen zu verringern und gleichzeitig geringe Wassermengen effizienter zu nutzen. Auch der Ausbau von Speicher- und Pumpspeicherkapazitäten steht im Fokus. Zur Bereitstellung zusätzlicher Flexibilitäts- und Speicherkapazitäten werden sowohl die bestehenden Anlagen erneuert bzw. erweitert als auch zusätzliche Anlagen errichtet. Mit in die Betrachtung wird mittlerweile auch der Aspekt einbezogen, dass alpine Speicher durch ihr großes Speichervolumen zukünftig herangezogen werden könnten, um Schwankungen des Wasserdargebots saisonal auszugleichen und negative Effekte von Trockenperioden auf den Wasserhaushalt und die Stromproduktion zu reduzieren. Allerdings muss dies im Einklang mit der Grundaufgabe der Stromspeicherung und -erzeugung stehen und passende finanzielle Abgeltungen beinhalten.
 

Grüner Wasserstoff als Zukunftselement einer erneuerbaren Energiewelt

Der Ausbau der Erneuerbaren in diesem erheblichen Ausmaß stellt die E-Wirtschaft vor eine Herausforderung. Echtes Neuland betritt die Branche aber beim Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Dieser Bereich wird durch die Möglichkeiten des Ersatzes fossiler Brennstoffe und Einsatzstoffe in der Industrie sowie der saisonalen Verlagerung erneuerbarer Stromüberschüsse künftig eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der Klimaziele spielen. 

Aktuell sind aber noch viele Fragen offen, auch im Hinblick auf die verschiedenen Rollen, welche die E-Wirtschaft dabei im Hinblick auf Produktion, Speicherung, Transport und den künftigen Einsatz von Wasserstoff in Gaskraftwerken spielen wird.

Dennoch startet die E-Wirtschaft jetzt mit Pilotprojekten, um Ende des Jahrzehnts erste Meilensteine zu erreichen. Wie das Hochfahren der zukünftigen Anwendungsfälle für Wasserstoff in der E-Wirtschaft mit all seinen Aspekten gelingen könnte, hat sich Oesterreichs Energie 2023 im Rahmen einer Studie unter Mitarbeit vieler Mitgliedsunternehmen darstellen lassen.

Ein großer Vorteil Österreichs ist dabei die günstige Startposition mit dem hohen Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung. Der weitere Ausbau der Erzeugung aus Wind und Photovoltaik wird, wie erwähnt, jedoch zu einer wachsenden Volatilität und einem immer größeren Ungleichgewicht im Jahresverlauf führen. Im Sommer wird es insgesamt mehr Strom geben als verbraucht wird, während es im Winter jedoch in vielen Stunden nicht möglich sein wird, den Bedarf rein aus diesen Quellen zu decken. Um diese Energiemengen von der warmen in die kalte Jahreszeit zu verlagern, braucht es – neben den Kapazitäten der (Pump-)Speicher – ein Speichermedium mit enorm hoher Kapazität und Lagerungsfähigkeit. Hier kann im Sommer produzierter grüner Wasserstoff in großen Gasspeichern für den Winter einge­lagert werden und im Winter für die kombinierte und hocheffiziente Strom- und Wärmeerzeugung genutzt werden. Auf diesem Weg kann auch im Rahmen der Klimaneutralität 2040 die Versorgungssicherheit gehalten und Flexibilität geschaffen werden. 

In der Praxis liegen die Hürden derzeit bei noch offenen technischen Fragen und ungeklärten Aspekten zu Zertifizierung und Standards. Weitere Herausforderungen stellen das hohe Marktrisiko von Elektrolyseuren und wasserstoffbasierten Erzeugungskapazitäten sowie das Henne-Ei-Problem bei der Infrastrukturentwicklung dar – also ob zuerst in Wasserstoff-Anlagen investiert oder die Infrastruktur geschaffen werden soll. Daher sind ein abgestimmtes Vorgehen in der Ausrollung und der Beschluss noch ausständiger Gesetze, wie des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes und des EABG, umso wichtiger. Wenn in dieser Legislaturperiode nicht noch entscheidende Schritte gesetzt werden, verlieren wir Jahre.

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Oesterreichs Energie-Tätigkeitsbericht 2023 PDF 43 MB