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Erneuerbare: Flexibilität ist gefragt

Um die witterungsbedingten Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen, sind alle verfüg baren Technologien nötig – von Pumpspeichern bis hin zu regelbaren Lasten, wie eine aktuelle Studie zeigt. 

Mit dem Ausbau der Stromerzeugung aus Wind und Sonne steigt der Bedarf an Flexibilität, um die witterungsbedingten Produktionsschwankungen auszugleichen. Welche Möglichkeiten es dabei gibt, untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität Wien im Auftrag der für Stromhandel und Stromvermarktung zuständigen Verbund Energy4Business GmbH und der Wien Energie. In der Studie „Flexibilitätsoptionen für den Betrieb des zukünftigen österreichischen Stromsystems“ wurden diese Optionen mit Rücksicht auf die Einbindung Österreichs in das europäische Stromsystem abgeschätzt. 

Der Hochgebirgsstausee am Mooserboden
© AdobeStock/Anselm Baumgart

„Der wichtige Umbau des Energiesystems weg von fossilen Grundlastkraftwerken hin zu volatilen Erneuerbaren erfordert sehr viel mehr Flexibilität im System. Bei dieser großen Aufgabe sind alle verfügbaren technischen Optionen gleichermaßen gefragt“, erläutert Robert Slovacek, der Geschäftsführer der Verbund Energy4Business. Ihm zufolge müssen neue Pumpspeicherkraftwerke für Speicherung über Wochen, Monate und Saisonen, Batterien für kürzere Fristen und zukünftig mit Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke rasch errichtet werden und im Strommarkt ihre Rolle einnehmen. Auch bei der Nachfrage gibt es große Hebel durch die Bündelung von flexiblen Lasten wie Wärmepumpen, Elektrofahrzeugen oder durch die Nutzung von regelbaren industriellen Prozessen. Zusätzlich braucht es signifikante und rasche Investitionen in die Stromnetze, um das Funktionieren der grenzüberschreitenden Strommärkte als wesentliche Voraussetzung für den effizienten Umgang mit Energie weiter zu gewährleisten.

„Der wichtige Umbau des Energiesystems weg von fossilen Grundlastkraftwerken hin zu volatilen Erneuerbaren erfordert sehr viel mehr Flexibilität im System.“ Robert Slovacek Geschäftsführer der Verbund Energy4Business

Je zwei Szenarien für 2030 und 2040 

Das bestätigt auch die Studie. Ihre Autoren untersuchten für 2030 und 2040 je zwei Szenarien (A und B). Österreich will seinen Strombedarf ab 2030 bilanziell komplett mit erneuerbaren Energien decken und bis 2040 klimaneutral werden. Die „A“-Szenarien orientierten sich am „Distributed Energy“-Szenario des Übertragungsnetz­betreiber-Verbands ENTSO-E mit einem „starken Zubau von Erzeugungsanlagen auf Basis erneuerbarer Energien in ganz Europa, ambitionierten Stilllegungspfaden konventioneller Kraftwerke sowie einer hohen Steigerung der Stromnachfrage durch die sektorenübergreifende Elektrifizierung“. Passend zum Fit-for-55-Paket der EU-Kommission sinken die CO2-Emissionen EU-weit von 1990 bis 2030 um 55 Prozent.

Strommast und Windräder in der Landschaft
© AdobeStock/Activa

Der Anteil der erneuerbaren Energien an der EU-Stromproduktion steigt bis 2030 auf 64 Prozent, bis 2040 auf 78 Prozent. Ihren „B“-Szenarien legten die Fachleute unter anderem die Erneuerbaren-Ausbauziele Österreichs zugrunde. Die installierte Leistung der Gaskraftwerke beziffern sie für 2030 mit 3,4 Gigawatt (GW), für 2040 mit 1,7 GW. Die Turbinenleistung der Speicherkraftwerke liegt jeweils bei rund 9,0 GW. Die Stromnachfrage wiederum beträgt 2030 im Szenario A 96 Terawattstunden (TWh), im Szenario B 85 TWh. 2040 sind es im Szenario A 117,8 TWh, im Szenario B 95 TWh. 

Angenommen wird auch, dass wegen steigender CO2-Kosten Gaskraftwerke ab 2030 Strom günstiger erzeugen können als Steinkohle-Anlagen. Vorausgesetzt wird ferner ein Flow-Based Market Coupling (FBMC) in der CORE-Netzregion, der Österreich angehört. Die verfügbare Kapazität auf den grenzüberschreitenden Leitungen beziffert die Studie mit 70 Prozent, jenem Wert, den die EU-Kommission anstrebt. Beim Ausbau der Übertragungsnetze geht die Studie von der rechtzeitigen Umsetzung der Projekte im Ten Year-Network Development Plan (TYNDP) der ENTSO-E von 2020 und im Netzentwicklungsplan der Austrian Power Grid (APG) von 2020 aus. 

Damit ergibt sich laut den Autoren der Studie folgendes Bild: „Im Szenario A ist Österreich Nettoimporteur und kann den Stromverbrauch nicht zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen decken. Im Szenario B wird der österreichische Stromverbrauch bilanziell zu mehr als 100 Prozent aus den erneuerbaren Quellen gedeckt und Österreich ist Nettoexporteur.“
 

Vier Optionen 

Als „wichtige Kenngröße zur Ableitung des Flexibilitätsbedarfs“ nennt die Studie die Residuallast, also die Differenz zwischen der erneuerbaren Erzeugung und dem Mindestbedarf an elektrischer Energie. Für das Sommerhalbjahr erwartet sie Erzeugungsüberschüsse („negative Residuallast“), für das Winterhalbjahr dagegen Deckungslücken („positive Residuallast“). 

Ausgehend davon untersucht die Studie vier Flexibilitätsoptionen: 1. Importe sowie Exporte von elektrischer Energie, 2. den Einsatz hydraulischer Speicher sowie Batteriespeicher, 3. die Nutzung gasgefeuerter Anlagen und Power-to-Gas-Anlagen und schließlich 4. den Einsatz dezentraler Flexibilitätsoptionen wie etwa Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge. Die Untersuchung zeigt, „dass Importe und Exporte von elektrischer Energie von signifikanter systemischer Bedeutung für das österreichische Elektrizitätsversorgungssystem sind. In Zukunft werden sowohl Importe als auch Exporte weiter ansteigen und als Flexibilitätsoption an Bedeutung gewinnen.“ Ähnliches gilt für hydraulische Speicher und Batteriespeicher, die „weiterhin eine wichtige Flexibilitätsoption darstellen und in der Lage sind, hohe negative und positive Residuallasten auszugleichen. Zudem zeigt sich, dass die Speicher bereits 2030 in allen Szenarien hoch ausgelastet sind und zusätzliche Speicherkapazitäten, wie in den Szenarien von 2040 angenommen, ebenso stark ausgenutzt werden.“

Gaskraftwerke bleiben aber unverzichtbar. Sie werden je nach Szenario in rund 4.700 bis 5.400 Stunden pro Jahr zur Deckung des Flexibilitätsbedarfs verwendet: „In den verbleibenden Stunden entspricht die Erzeugung der Must-Run-Verpflichtung, wie beispielsweise zur Deckung von Industrie- oder Fernwärmebedarfen“. Außerdem ist laut der Studie ab etwa 2040 „der Kraftwerksbetrieb mit erneuerbaren Gasen und damit eine CO2-neutrale Stromerzeugung denkbar“. Power-to-Gas-Anlagen dürften dagegen „nur selten eingesetzt“ werden.
 

Nicht ohne Pumpspeicher 

Derzeit dominieren laut Slovacek in der EU hinsichtlich der Flexibilität die Pumpspeicher, die rund 97 Prozent des Bedarfs decken. Sie bilden auch „die einzige Technologie, die alle benötigten Flexibilitätsprodukte im Strombereich großtechnisch skalieren und effizient und verlässlich bereitstellen kann – und zwar sowohl kurzfristig als auch saisonal“.

Zurzeit decken Pumpspeicher rund 97 Prozent des Flexibilitätsbedarfs in der EU.

Insgesamt stellt sich die Lage laut Slovacek folgendermaßen dar: „Verbund ist einer der größten Betreiber von Pumpspeichern in Europa und investiert viel Geld in den Ausbau. 570 Millionen Euro fließen allein in das Kavernenkraftwerk Limberg III in Kaprun, das 2025 mit einer Leistung von 480 Megawatt (MW) in Betrieb geht. Komplexe Optimierungsmodelle dienen dazu, Pumpspeicherleistung in den Zeiten höchsten Bedarfs zur Verfügung zu haben.“ Batteriespeicher vermarktet das Unternehmen bereits seit 2020 in Österreich und Deutschland „mittels einer eigens entwickelten, leistungsstarken Optimierungsplattform. Mittlerweile beträgt die vermarktete Batteriespeicherleistung allein im deutschen Markt mehr als 200 MW.“ Geplant ist, bis Ende 2030 insgesamt 2.500 MWh an Speicherkapazitäten zu installieren. In Weißenthurm-Kettig in Rheinland-Pfalz entsteht bis 2026 eine Großanlage mit 116 MWh. Auch die Batterien von E-Autos könnten laut Slovacek eine wichtige Rolle im Strommarkt spielen, wenn 2030, „wie vom Umweltbundesamt prognostiziert, jeder dritte PKW in Österreich ein Elektroauto ist“. 

Ferner bündle der sogenannte „Verbund-Power-Pool“ Slovacek zufolge „ein Portfolio von industriellen Lasten und Erzeugern, Ökostromanlagen und Speichern quer über alle Branchen. Droht Instabilität im Netz, kommen diese Flexibilitäten zum Einsatz. Im Segment Demand-Response können beispielsweise flexible Lasten vom Netz genommen oder dazugeschaltet werden. Nicht zeitkritische Produktionsanlagen können so von flexiblen Tarifmodellen profitieren und durch systemdienliches Verhalten einen Beitrag zur Energiewende leisten.“

Herausforderung Wärme 

Bezüglich der dezentralen Flexibilitätsoptionen werden laut der Studie etwa 50 Prozent der einschlägigen Anlagen „am Spotmarkt vermarktet. Dabei wird der Einsatz unter Einhaltung der zugrundeliegenden Wärmebedarfe und Fahrprofile und der verfügbaren Lastverschiebepotenziale am Spotmarkt optimiert.“ Vergleichsweise häufig dürften künftig Power-to-Heat-Anlagen zum Einsatz gelangen. Da sie zunehmend den Wärmebedarf der Gesellschaft decken müssen, ist ihr Verschiebe- respektive Flexibilitätspotenzial aber relativ gering.

Michael Strebl, der Vorsitzende der Wien Energie-Geschäftsführung, hält zur Wärmeversorgung fest: „Kurzfristig geht es uns darum, die Kunden preislich zu entlasten, denn wir haben gesehen, welche Preissprünge bei fossilen Energieträgern möglich sind. Langfristig ist es wichtig, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden.“ In Wien liege der jährliche Wärmebedarf bei 15 TWh: „Der gesamte Energiebedarf muss sinken, denn es wird nicht gelingen, unser System auf erneuerbare Energieträger umzustellen, wenn wir beim heutigen Energieverbrauch bleiben. Reduktion und Energieeffizienz sind das Gebot der Stunde.“ Strebl rechnet mit einem „deutlichen Ausbau der Fernwärme von sechs auf 7,8 TWh bis 2040“. Der Marktanteil der Fernwärme in Wien soll von etwa 43 Prozent auf über 60 Prozent steigen: „Dabei spielt auch die Dekarbonisierung der Fernwärme eine wichtige Rolle.“ Die CO2-Neutralität bis 2040 zu erreichen, sei für die Wien Energie eine „Herkulesaufgabe“. 

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