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E-Control Vorstände im Interview: „Es hat sich einiges verändert“

Kann man mit den Regeln der Vergangenheit die Zukunft gestalten? Das neue E-Control-Führungsduo Wolfgang Urbantschitsch und Alfons Haber über Investitionsanreize, die Sozialisierung von Infrastrukturausbaukosten – und ihr Verhältnis zur E-Wirtschaft.
 

Herr Urbantschitsch, Herr Haber, erlauben Sie uns eine persönliche Einstiegsfrage: Sie sind zwar neu in Ihrer gemeinsamen Rolle, Sie kennen einander jedoch schon seit langem, seit dem Beginn der Marktliberalisierung vor rund 20 Jahren. Wie haben sich die Rahmenbedingungen seit 2001 verändert?

Alfons Haber: Ich persönlich verspüre hier im Haus dieselbe Aufbruchsstimmung, die ich schon damals verspürte und freue mich sehr, wieder Teil des Spirits dieses Hauses zu sein. Wir stehen derzeit vor der vielleicht größten Herausforderung seit Beginn der Liberalisierung. Die nächsten fünf Jahre sind dafür entscheidend, das Ziel der 100%igen Stromversorgung aus erneuerbaren Energien bis 2030 zu erreichen. Das möglich zu machen, daran und an unseren vielen anderen Aufgaben und Tätigkeiten arbeiten wir mit vollstem Engagement. 

Würden Sie sagen, dass es auch in der Regulierung einen Paradigmenwechsel weg vom reinen Fokus auf die Preise – hin zu Nachhaltigkeit geben muss?

Wolfgang Urbantschitsch: Zu Beginn der Liberalisierung 2001 war die Marktöffnung natürlich zentral. Es ist zwischenzeitlich allerdings einiges dazugekommen. Wenn man das im Laufe der Jahre beobachtet, stellt man fest, dass seit 2002 unter anderem das erste Ökostromgesetz, Regelungen zur Versorgungssicherheit oder auch das Energieeffizienzgesetz den Fokus auf Marktöffnung und Preise ergänzt haben. Hinzu kommt natürlich auch das 100-Prozent-Ziel. Wir sehen uns als Enabler, um dieses Ziel zu erreichen. Haber: Ich würde sagen, es hat sich einiges verändert. Aber eine unserer Kernaufgaben, nämlich den Wettbewerb sicherzustellen und weiter voranzutreiben, ist gleich geblieben.

Weil Sie das Thema Versorgungssicherheit angesprochen haben: Die Regelung zur Netzreserve wurde beschlossen und Ausschreibungen laufen bereits. Was braucht es darüber hinaus, um den Kraftwerksbestand in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu sichern?

Urbantschitsch: Die neue Netzreserve dient der Sicherstellung von Kraftwerken für netzbetriebliche Maßnahmen. Hier geht es also darum, bestehende Kraftwerke verfügbar zu halten. Sie erhalten eine Abgeltung dafür, dass sie nicht vom Netz genommen werden, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr betrieben würden. Dabei kommt ein marktbasierter Prozess zum Einsatz. Klar ist auch: Die Situation ändert sich laufend; der Bedarf wird jährlich erhoben. Das primäre Ziel muss sein, die Netze so weit auszubauen, dass man gar nicht auf die Netzreserve zurückgreifen muss. Die Rahmenbedingungen, die es braucht, damit die Netze ausgebaut werden, sind da. Es gibt weitreichende Pläne, sowohl die Übertragungs- als auch die Verteilernetze auszubauen. Damit reduziert sich der Bedarf, netzstützend einzugreifen.

 

Dr. Wolfgang Urbantschitsch, LL.M.
„Man wird sie auf absehbare Zeit noch brauchen. Wie sehr, hängt stark vom Ausbau der Über­tragungsnetze ab.“ Wolfgang Urbantschitsch E-Control

Das bedeutet, dass Gaskraftwerke in 10 Jahren nicht mehr nötig sein werden?

Urbantschitsch: Man wird bestehende Gaskraftwerke auf absehbare Zeit noch brauchen. Wie sehr, hängt stark davon ab, ob der Ausbau der Übertragungsnetze gelingt. Wie erwähnt gibt es mehrere große Projekte, wie die Salzburgleitung, die Donauschiene wird leistungsfähiger gemacht und auch an den Grenzen ändert sich etwas. Die EU-Vorgabe, wonach 70 Prozent der grenzüberschreitenden Übertragungskapazitäten dem Markt zur Verfügung gestellt werden müssen, ist ebenfalls zu berücksichtigen.

Die aktuellen Netztarife stammen noch aus den 90ern – passt der damals gewählte Ansatz auch für die Energiewende?

Urbantschitsch: Die Tarife sind nicht mehr zeitgemäß und es besteht Handlungsbedarf. Deshalb haben wir bereits vor geraumer Zeit Überlegungen für eine neue Netzentgeltstruktur gemacht und dazu ein Konsultationsdokument veröffentlicht. Dieses Papier haben wir dann aufgrund neuer Vorgaben durch das Clean Energy Package letztes Jahr noch einmal aktualisiert und als Tarife 2.1 neu veröffentlicht. Im Vorfeld haben wir dazu natürlich auch intensiv mit den Marktteilnehmern und weiteren Stakeholdern diskutiert. Der nächste Schritt liegt beim Gesetzgeber. Die zentralen Ziele sind die Vereinfachung der Netztarife und die Erhöhung der Transparenz. Die Menschen müssen verstehen können, was sie für das Netz zahlen.  

 

Prof. DI Dr. Alfons Haber, MBA
„Ob der Netzbetreiber über das pauschalierte Netzzutrittsentgelt oder über andere Wege auf seine Kosten kommt, macht keinen Unterschied.“ Alfons Haber E-Control

Apropos Preisgestaltung: Die Energiewirtschaft hält die Netzzutrittsentgelte, wie sie aktuell im EAG vorgesehen sind, für sehr niedrig. Eine derartige Sozialisierung der Kosten kann politisch argumentiert werden – für Energiekunden könnte es aber steigende Kosten bedeuten. Wie ist hier Ihre regulatorische Sicht der Dinge?  

Haber: Wir begrüßen, dass es eine klare, österreichweite Lösung gibt. Jeder potenzielle Investor weiß, was zu bezahlen ist, um Zutritt zum Netz zu haben, das ist ein Riesenvorteil im Vergleich zu vorher. Wie viel davon kostendeckend ist, ob der Netzbetreiber über das pauschalierte Netzzutrittsentgelt oder über andere Wege auf seine Kosten kommt, macht keinen Unterschied.

Die E-Wirtschaft geht davon aus, dass zur Bewältigung der Energiewende Investitionen nötig sein werden, die die Regelinvestitionen deutlich überschreiten – welche Anreize schaffen Sie, um das voranzutreiben?

Haber: Das Investitionsverhalten der Netzbetreiber zeigt, dass die Regulierungsentscheidungen der Vergangenheit Sicherheit und Planbarkeit gegeben haben. Das heißt, das Regulierungsmodell sichert die entsprechenden und notwendigen Investitionen. In dieser Tradition sehen wir uns. Aber wir müssen natürlich jederzeit auf die sich ändernden Gegebenheiten, in diesem Fall auf den Finanzmärkten, eingehen. Klar ist, die Zeiten ändern sich, die Zinsen haben sich geändert. Was wir aber seit jeher garantieren, ist, dass es stabile Rahmenbedingungen gibt, damit in die Netze investiert wird. Es ist viel von Investitionen aus Anlass der Erneuerbaren-Ziele die Rede. Wenn man sich aber den Verteilernetzbereich ansieht, werden die benötigten Investitionen nicht stark über den Regelinvestitionen der Vergangenheit liegen.
 

Eine wichtige Komponente der Energiewende sind die neuen Energiegemeinschaften. Laut EAG-Entwurf sollen diese bereits mit Anfang 2022 umfassend möglich sein. Wie sehen Sie dieses Datum?

Haber: Das ist natürlich ein gutes Instrument, um die Bevölkerung aktiv an der Energiewende in Erzeugung, Speicherung und Verbrauch teilhaben zu lassen. Voraussetzung für die Energiegemeinschaften sind allerdings die Smart Meter. Und da schaut es ja leider gar nicht gut aus, der Rollout ist sehr stark verzögert. Wenn wir uns heute die 2020er Daten anschauen, dann sehen wir, dass die Ausrollungsrate bei unter 30% liegt. Wenn man noch die zwei, drei Netzbetreiber, die den Rollout abgeschlossen haben, abzieht, kommen wir auf Zahlen, die extrem hinter den Vorgaben der Einführungsverordnung hinterherhinken.
 

© AdobeStock/vencav

Die Verzögerungen beim Smart-Meter-Rollout sind also aus Ihrer Sicht der Hemmschuh bei den Energiegemeinschaften?

Urbantschitsch: Smart Meter sind der Sammelbegriff für Dinge, die noch erledigt werden müssen. Dazu zählt etwa der Datenaustausch. Unser Standpunkt ist hier aber ganz klar, dass ein niedrigschwelliger Zugang sowohl in technischer als auch rechtlicher Hinsicht zu den notwendigen Daten gegeben sein muss. Selbstverständlich alles immer unter Einhaltung des Datenschutzrechts. Unserer Meinung nach muss eine Willenserklärung ausreichen, um die entsprechenden Daten an die richtigen Personen weiterzugeben.

Speicher übernehmen im Stromnetz eine besondere Funktion und werden künftig an Bedeutung gewinnen. Sollte es im künftigen Strommarktgesetz neben Erzeugern und Verbrauchern eine eigenständige Kategorie für Speicher geben?

Haber: Die gesetzlich vorgegebene Rollenverteilung ist sehr klar: Speicher sind dem Wettbewerb zugeordnet. Das schließt freilich nicht aus, dass der Netzbetreiber bei Bedarf zur Netzstützung auf Speicher zugreifen kann. Aber man kann durchaus diskutieren, ob es gerechtfertigt ist, Speichern eine Sonderrolle zuzuschreiben. Mit Gasspeichern haben wir auch ein Modell, bei dem es gewisse Sonderregelungen gibt. Im Endeffekt sind die Speicher aber auch dort im Wettbewerbsbereich angesiedelt.

Im Bereich der Lieferbedingungen wünscht sich die E-Wirtschaft seit längerem Rechtssicherheit. Wie ist die Haltung der ECA zu diesem Thema?

Urbantschitsch: Über viele Jahre hatten wir im Bereich der Lieferbedingungen Rechtsfrieden, nicht zuletzt auch durch die Vorabkontrolle der Regulierungskommission der E-Control. Jetzt gab es eine Reihe von Gerichtsverfahren und die Judikatur, bis hin zum OGH. Das Ziel bleibt nach wie vor das gleiche: die Gewährleistung von Transparenz und Vorhersehbarkeit, auch bei Preisanpassungen. Gleichzeitig sollten Lieferbedingungen den Energielieferanten aber auch den Spielraum lassen, auf neue Entwicklungen auf den Märkten zu reagieren. Wenn es neue Kostenkomponenten gibt, sollte eine Weiterverrechnung auch möglich sein. Dabei können sich die Lieferanten voneinander unterscheiden, das heißt, dem wohnt auch eine Wettbewerbskomponente inne. Wichtig ist uns dabei, dass jede neue Regelung die Verbraucherinteressen berücksichtigt, und dabei auch immer gewährleistet sein muss, dass Kundinnen und Kunden bei Preiserhöhungen auch den Vertrag beenden können.

Haben Sie Präferenzen, wie das umgesetzt werden könnte?

Urbantschitsch: Es sollte jedenfalls eine ausgewogene und transparente Regelung sein, die sicherstellt, dass die Kundinnen und Kunden gerade auch aus Anlass einer Preiserhöhung ihren Energielieferanten unkompliziert wechseln können.

Im Hinblick auf die nächste Periode: Gibt es ein Thema, das bei Ihnen ganz stark auf der Agenda steht?

Urbantschitsch: Wichtig ist für uns – in Ergänzung zu unseren bisherigen Aufgaben – das Thema Energieeffizienz. Es wird auch in Zusammenhang mit der Erreichung der Klimaziele eine zentrale Rolle spielen.

Gibt es schon Vorstellungen, wie das aussehen soll?

Haber: Das hängt sehr stark von der gesetzlichen Ausgestaltung ab. Die Diskussionen dazu sind im Gange. Wir werden jedenfalls jene Aufgaben, die uns in diesem Bereich übertragen werden, mit großem Engagement übernehmen. 

Wie schätzen Sie Ihr Verhältnis zu der Branche ein? Haben Sie zum Abschluss eine Botschaft an unsere Leserinnen und Leser?

Urbantschitsch: Ich würde das Verhältnis als korrekt bezeichnen. Wichtig ist es, allen Stakeholdern, darunter natürlich auch der Branche, auf Augenhöhe zu begegnen und die Themen korrekt und fachkundig abzuarbeiten. Dass man nicht immer gleicher Meinung ist, ergibt sich daraus, dass sich die unternehmerischen Interessen vielfach von den gesetzlich vorgegebenen Zielen der Regulierungsbehörde unterscheiden.

Haber: Wir befinden uns in einem der größten Umbrüche unserer Branche. Wir gemeinsam müssen die Erreichung der Ziele aktiv angehen und all unsere Energie einbringen. Für mich ist das nicht nur eine Botschaft, sondern auch ein Bekenntnis.


Zu den Personen

Seit 25. März ist Alfons Haber neuer Co-Geschäftsführer der E-Control. Der Kärntner Elektrotechnikprofessor, 48, verstärkt das Team rund um den steirischen Juristen Wolfgang Urbantschitsch, 51. Die beiden kennen einander seit langem, sie arbeiteten zu Beginn der Strom- und Gasmarktliberalisierung vor rund 20 Jahren gemeinsam in der  Energieregulierungsbehörde E-Control.

Auch wenn sich die Raison d‘Être der Regulierer – die Stärkung des Wettbewerbs und der Festlegung von Spielregeln für den Markt – nicht verändert hat, die Rahmenbedingungen haben sich deutlich gewandelt: Die Umsetzung der Energiewende macht es für die Wettbewerbshüter erforderlich, neben Preis und Kostenkriterien erstmals auch verstärkten Fokus auf Qualität zu legen. Und die Objekte der Regulierung wandeln sich: Aus Energiekonsumentinnen und -konsumenten werden zukünftig Produzenten.

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