Bundesminister Hattmannsdorfer im Gespräch: Keine Klimapolitik um jeden Strompreis
Wolfgang Hattmannsdorfer und Michael Strugl über sinkende Strompreise, steigende Systemkosten und die große Reformagenda für den Energiemarkt. Im Doppelinterview sprechen sie über das neue ElWG, das in Greifweite befindliche EABG – und warum es für die Transformation der E-Wirtschaft nicht nur Geld, sondern vor allem Tempo braucht.

Herr Bundesminister Hattmannsdorfer, Ihre ersten 100 Tage im Amt waren sehr ereignisreich. Sie haben das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) und eine Neuauflage des Strompreiskostenausgleichs (SAG) auf den Weg gebracht. Beginnen wir beim SAG. Was sind da die Eckpunkte?
Wolfgang Hattmannsdorfer: Mir war es ein zentrales Anliegen, rasch ein klares Signal zu setzen: Wir wollen die Deindustrialisierung Österreichs stoppen. Die energieintensive Industrie ist das Rückgrat unseres Wirtschaftsstandorts, sichert Arbeitsplätze und braucht wettbewerbsfähige Preise. Für die Jahre 2025 und 2026 legen wir deshalb einen Industriestrombonus von jeweils 75 Millionen Euro auf.
2022 wurde zuletzt ein solcher Bonus ausgezahlt – damals waren es 185 Millionen Euro pro Jahr.
Hattmannsdorfer: Im Vergleich zu den aktuellen Strompreisen ist unser Paket äußerst wirksam. 2022 lag der Strompreisindex bei 400, jetzt sind wir bei rund 100. Wichtig ist mir auch: Fördernehmer sind verpflichtet, in Energieeffizienz zu investieren. Das Paket soll klare Anreize für zusätzliche Maßnahmen setzen.
Kommen wir zum Elektrizitätswirtschaftsgesetz. Was sind die zentralen Punkte der lange überfälligen Neuauflage?
Hattmannsdorfer: Das neue ElWG ist die größte Strommarktreform seit zwei Jahrzehnten. Ziel ist ein modernes, flexibles Strommarktdesign – mit Fokus auf Speichertechnologien, Digitalisierung und dem Wandel vom Einweg-System hin zu einer kommunizierenden Architektur aus Produzenten und Konsumenten. Kernpunkt ist: Sinkende Preise müssen künftig verpflichtend an die Kunden weitergegeben werden. Dafür braucht es auch rechtliche Klarstellungen – etwa bei Direktleitungen oder Power Purchase Agreements. Neben Entbürokratisierung soll das System dadurch auch kostengünstiger werden.
Klingt nach dynamischen Tarifen …
Hattmannsdorfer: Ja, der Regulator wird vorschreiben, dass ab einer bestimmten Anzahl an Zählpunkten dynamische Tarife angeboten werden müssen. Endkunden sollen so direkt an den Preisentwicklungen teilhaben können – in beide Richtungen. Ziel ist ein System, das netzdienliches Verhalten belohnt.
Wie bewertet die Elektrizitätswirtschaft die geplanten Reformen?
Michael Strugl: Die Umsetzung der EU-Binnenmarktrichtlinie und ein modernes Strommarktgesetz sind längst überfällig. Ich begrüße, dass die Regierung hier Tempo macht. Der Energiesektor befindet sich in der größten Transformation seiner Geschichte – Dekarbonisierung, Dezentralisierung, neue Marktrollen. Natürlich wurden auch bisher Preisschwankungen auf den Großhandelsmärkten weitergegeben – aber oft mit zeitlicher Verzögerung, etwa durch Hedging. Aber die extremen Preissteigerungen auf dem Großhandelsmarkt wurden nicht im vollen Ausmaß an die Endkunden weitergereicht.
Rechnen Sie mit einem Beschluss des ElWG noch im Herbst?
Hattmannsdorfer: Eine zweiwöchige Begutachtung ist geplant, dann startet der parlamentarische Prozess. Da es sich um ein Verfassungsgesetz handelt, brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit.
Der letzte Entwurf stammt noch aus der Ära der Grünen. Wo unterscheidet sich Ihre Version?
Hattmannsdorfer: Wir haben einen Sozialtarif eingeführt und bekennen uns klar zur Verantwortung gegenüber Industrie und Standort. Konkret wollen wir Energiegemeinschaften auch für Unternehmen öffnen, das Thema Spitzenkappung zur Senkung der Netzkosten angehen und neue Regeln zur gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung von Versorgern schaffen.
Welche Punkte sind aus Sicht der Energiewirtschaft besonders relevant?
Strugl: Alle. Die angesprochenen Themen wurden intensiv mit der Branche diskutiert. Natürlich gibt es bei jeder Lösung Zielkonflikte – aber wir sehen hier viele richtige Weichenstellungen, auch wenn wir nicht in allen Punkten einer Meinung sind.
Hattmannsdorfer: Mir ist wichtig, dass wir pragmatische Energiepolitik machen – und nicht Klimapolitik um jeden Strompreis. Die Themen Ökologie, Versorgungssicherheit und leistbarer Energiepreis sind jetzt gleichgestellt. Bislang hat der Ausbau der Erneuerbaren nicht synchronisiert mit den Netzen stattgefunden, man hat Erneuerbare gefördert ohne Themen wie Digitalisierung, Netzdienlichkeit, Speicherung oder den Ausbau der Netze genauso förderpolitisch zu berücksichtigen.
Herr Strugl, das erklärte Ziel der Energiepolitik der Bundesregierung ist die Senkung der Energiekosten. Die Stromkosten sind jedoch eigentlich nicht die Preistreiber in diesem Bereich. Es sind die Systemkosten – also vor allem die aufgrund des Erneuerbaren-Ausbaus stark steigenden Netzkosten, die für die Preissteigerungen verantwortlich sind. Sind die Systemkosten derzeit fair aufgeteilt?
Strugl: Man sozialisiert die Kosten des Netzausbaus über möglichst viele Nutzer. Unter Fairness versteht jeder etwas anderes – und am Ende ist die Entscheidung politisch: Wenn sich die Politik zum Beispiel dafür entscheidet, Energiegemeinschaften zu fördern und diese bei dem Netztarif zu privilegieren, dann bedeutet das auch, dass alle anderen das bezahlen. Dasselbe gilt für Ausgleichsenergie. Die Kosten werden nicht verschwinden. Man kann darüber diskutieren, dass man die Kosten über einen längeren Zeitraum abträgt – aber wenn ich einzelne Teilnehmer am Strommarkt aus dem System entlasse, wird es einfach rechnerisch mehr für die anderen. Das muss man sich gut überlegen.
Dann gebe ich die Frage gleich weiter, Herr Hattmannsdorfer. Ist die Finanzierung des Netzausbaus derzeit „gescheit“?
Hattmannsdorfer: Ich glaube, die beiden wichtigsten Eckpunkte sind Verursachergerechtigkeit und Netzdienlichkeit. Eine Netztarifgestaltung, die positive Anreize setzt, wenn man das Netz dann beansprucht, wenn die Kapazität entsprechend vorhanden ist und negative Anreize setzt, wenn wir mit der Netzlast an der Belastungsgrenze sind. Der zweite Schritt sind Rahmenbedingungen für den Ausbau neuer Anlagen: Wie beteiligen wir bei großen Ausbauprojekten diese an den Infrastrukturkosten für die Netze? Außerdem müssen wir die Förderpolitik neu auslegen: Fördern wir wie bisher wirklich einfach nur die Erzeugungsanlagen oder gibt es die Bedingung, dass nur mehr gefördert wird, wenn es Speicherkomponenten und wenn es eine digitale Anlage ist, die sich netzdienlich verhält.
Das betrifft das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz. Wie ist der Stand?
Hattmannsdorfer: Das EAG ist ein zentrales Thema für den Herbst. Gemeinsam mit dem ElWG und dem Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) schaffen wir damit das Fundament für das neue Marktdesign. Die folgenden Schlüsselfragen sind dann das EAG und der Netzinfrastrukturplan.
Was ist der Status beim EABG?
Hattmannsdorfer: Wir arbeiten intensiv mit allen Stakeholdern. Der Paradigmenwechsel liegt in der Bündelung der Zuständigkeiten – ein One-Stop-Shop für Genehmigungsverfahren. Der Schlüssel wird eine klare Definition des öffentlichen Interesses sein.

Wolfgang Hattmannsdorfer, 45, ist seit 4. März 2025 Bundesminister für Wirtschaft, Energie und Tourismus in der Bundesregierung Stocker. Seit Oktober 2024 war er Abgeordneter zum Nationalrat für die ÖVP. Hattmannsdorfer stammt aus der oberösterreichischen Landespolitik, von 2021 bis 2024 war er Landesrat für Soziales und Jugend in der Landesregierung Stelzer II.
Was ist aus Branchensicht am wichtigsten, Herr Strugl?
Strugl: Die Normierung eines überragenden öffentlichen Interesses, so wie das die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten empfohlen hat, ist der Schlüssel. Weil das in der Abwägung der unterschiedlichen Schutzgüter eine klare Guidance für die Behörden und Gerichte ist. Wir hatten vor nicht allzulanger Zeit bei der Neuanspeisung des Linzer Zentralraumes ein Dreivierteljahr Bauunterbrechung, weil das eben nicht klar war. Einsprüche gibt es natürlich immer – und der Richter hatte keine Guidance, ob das Schutzgut Biodiversität oder der rasche Ausbau einer Leitung in diesem Fall höher zu bewerten ist. Und natürlich geht es auch um die Frage, wie Genehmigungen im One-Stop-Shop-Prinzip einfacher werden können – oder: Wo sind Beschleunigungszonen, in denen Projektentwickler wissen, dass die realistische Chance auf Genehmigung eines Projekts hoch ist. Das EABG wird sehr helfen.
Der Österreichische Netzinfrastrukturplan, ein Langfristplan, der Netze und Ausbau ausbalanciert festlegt, ist zwei Jahre alt – und es wird immer deutlicher, dass die Schere zwischen dem, was man vor zwei Jahren dachte und dem, was passiert, stark auseinandergeht. Stichwort: PV-Ausbau geht viel schneller, Elektrifizierte Mobilität langsamer. Muss man den ÖNIP neu aufschnüren, Herr Strugl?
Strugl: Meiner Meinung nach schon. Natürlich müssen diese Pläne immer wieder überprüft werden.

Michael Strugl, 61, ist seit Jänner 2021 Vorstandsvorsitzender der Verbund AG und Präsident von Oesterreichs Energie. Zuvor war er Energiereferent, Landesrat und Landeshauptmann-Stellvertreter in der Landesregierung Stelzer I.
Wo sehen Sie den stärksten Anpassungsbedarf?
Strugl: Das betrifft insbesondere den massiven Ausbau der Photovoltaik. Der ÖNIP geht von 40 Gigawatt bis 2040 aus. Wir halten derzeit bei 9 GW. Solch ein Anstieg ist sehr ambitioniert – und vor allem: Er erzeugt sehr hohe Systemkosten.
… konkret, zum Beispiel negative Strompreise heuer erstmals sogar schon im April, weil einerseits viel eingespeist wurde, aber andererseits die Netze nicht in der Lage waren, diese Mengen zu verteilen …
Strugl: PV-Ausbaupläne dieser Größenordnung würden in Zukunft massive zusätzliche Netzausbaukosten bedeuten, die letztlich keine ideale Konfiguration für eine stabile und auch kosteneffiziente Stromversorgung darstellen. Negative Preise sind, wie auch Preisspitzen, Indikatoren für die Ineffizienz des Systems.
Was gibt es aus Sicht des Ministeriums für Anpassungsbedarf?
Hattmannsdorfer: Physik kennt keine Ideologie. Wir sollten den Netzausbau nicht auf die Belastung der Netze in wenigen Minuten ausrichten – Stichwort negative Strompreise, wenn im April die Sonne scheint – sondern man muss das als Gesamtkonzept sehen, mit dem Ziel, die Ausbaukosten so zu gestalten, dass der Breitenbedarf gedeckt wird. Wir brauchen aber auch, abgesehen davon, von der Europäischen Politik ein Update, was die Belastung der Transeuropäischen Netze betrifft. Wenn fast jeden zweiten Tag das Merit Order System an die Grenze stößt, weil wir physikalisch nicht nach Österreich hineinbekommen, was wir am Spotmarkt bestellen, dann ist die EU gefordert. Wir werden uns im Rat der Energieminister ganz stark zum Thema Transeuropäische Netze einsetzen – und unsere Alpen ganz stark dafür anbieten, die Batterie Europas zu sein.
Abschlussfrage: Sie kennen einander sehr gut, haben lange Jahre in der oberösterreichischen Landespolitik zusammengearbeitet. Was bedeutet das für Ihre Zusammenarbeit in der Energiepolitik auf Bundesebene?
Strugl: Energiepolitik ist kein Wunschkonzert. Wir brauchen Lösungen – und das bedeutet Dialogfähigkeit. Wenn das nicht funktioniert, kommen schlechte Lösungen heraus, das haben wir in der Vergangenheit gesehen. Wenn man miteinander reden kann, ist das immer gut.
Hattmannsdorfer: Der Standort bestimmt den Standpunkt. In dieser ganz zentralen Zukunftsfrage ist es aber von Vorteil, wenn man auf einer Vertrauensebene zusammenzuarbeiten kann.

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