Brüssel: Energie im internationalen Wettbewerb
Wie kann Europa seine Klimaziele erreichen, ohne dabei im globalen Wettbewerb zurückzufallen? Die europäische Energiebranche diskutiert diesen Punkt derzeit sehr intensiv. Auch Oesterreichs Energie hat dazu in Brüssel Ideen vorgestellt.
Der grundsätzliche Befund ist unumstritten: Energiepreise bilden einen wichtigen Faktor, der über die Wettbewerbsfähigkeit Europas bestimmt. Das betonte jüngst auch der Präsident von Oesterreichs Energie, Michael Strugl, bei einer Veranstaltung zur Energiezukunft Europas in Brüssel. Zugleich warnte er davor, diesen Punkt als die einzige Ursache für die zunehmende Wettbewerbslücke zwischen den USA und China einerseits und Europa andererseits zu sehen: „Es ist vollkommen richtig, dass Energiepreise Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit haben. Das ist aber nicht der einzige Wettbewerbsfaktor und man sollte nicht den Fehler machen, sich in der Diskussion nur darauf zu konzentrieren.“
Damit kommt Strugl zu einer ähnlichen Lagebeschreibung, wie sie auch der fast 400 Seiten umfassende Draghi-Report liefert. Darin geht der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank und frühere italienische Ministerpräsident Mario Draghi der Frage nach, welche Herausforderungen auf Europa in einer Welt zukommen, in der wirtschaftliche Interessen zunehmend aus der Position der Stärke und nicht der Kooperation durchgesetzt werden.
Bessere Marktintegration nötig
In dem von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beauftragten Bericht stellt Draghi fest, dass Europa angesichts der sich verändernden geopolitischen Lage vor allem in den Bereichen IT, Innovation und Technologie massiven Aufholbedarf hat. Zugleich weist er darauf hin, dass hohe Energiepreise ein Hemmnis für Europa sind, vor allem für die produzierende Industrie.
Draghi zieht daraus allerdings nicht den Schluss, Europa sollte aus Wettbewerbsgründen die Transformation seines Energiesystems verlangsamen. Viel mehr identifiziert der Bericht die Energiewende als eine absolute Notwendigkeit. Denn nur mit klimaneutraler und günstiger Energieproduktion könne der alte Kontinent wettbewerbsfähig bleiben, schreibt Draghi. Zugleich stellt er aber auch fest: „Wenn es uns nicht gelingt, unsere Politik zu koordinieren, besteht die Gefahr, dass die Dekarbonisierung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Wachstum zuwiderläuft.“
Für Michael Strugl steht außer Frage, dass Europa verstärkt daran arbeiten muss, die Integration und die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarkts auch im Energiesektor voranzutreiben: „Die europäischen Regulatoren haben das beziffert. Der Gasmarkt und der Strommarkt könnten durch bessere Integration den Konsumenten – vom Haushalt bis zur Industrie – pro Jahr 34 Milliarden Euro ersparen.“
Lob und Tadel für den Draghi-Bericht
Viele weitere Schlüsse, die Draghi in seinem Bericht zieht, entsprechen ebenfalls den Positionen der Energie-Branche. Wie Draghi steht auch die österreichische Energiewirtschaft auf dem Standpunkt, dass es in Zukunft viel schnellere Genehmigungen für erneuerbare Energieprojekte geben muss. Sie begrüßt auch die Forderung nach besserer Finanzierung des Netzausbaus und nach einem Ausbau der Speicher- und Flexibilitätsinfrastruktur.
An manchen Stellen tauchen allerdings Unterschiede zwischen dem auf, was der Politiker und Finanzexperte Draghi für richtig hält und dem, was Branchen-Insider für gut befinden. „Ein interessanter Punkt, der im Draghi-Report diskutiert wird, sind langfristige Abnahmeverträge, sogenannte Power Purchase Agreements (PPAs), die Kunden, sowohl aus dem privaten als auch industriellen Bereich vor übermäßigen Preisschwankungen schützen sollen“, sagt der Generalsekretär des europäischen Dachverbands der Elektrizitätswirtschaft, Eurelectric, Kristian Ruby.
Ideen gegen Preisrisiko
Solche PPAs abzuschließen, sei schon jetzt möglich, die spannende Frage sei aber, welche Anreize man schaffen kann, um PPAs attraktiver zu machen. Denn sind die Preise gerade relativ hoch, wollen sich die Kundinnen und Kunden nicht langfristig binden und PPAs abschließen. Sind die Preise hingegen niedrig, hoffen die Kundinnen und Kunden, dass die Preise noch weiter sinken und schließen ebenfalls keine langfristigen Verträge ab. Der Draghi-Report schlägt als Lösung für dieses Dilemma vor, dass der Staat einen Teil der von ihm subventioniert produzierten Energie an energieintensive Branchen zu einem PPA-Tarif plus Aufschlag abgibt. „Wir sehen das kritisch“, erklärt Ruby, „weil dadurch die Erzeuger weniger Anreize hätten, PPAs anzubieten und damit die Verbreitung von PPAs eher geringer denn größer werden würde.“
Entgegen manchen Gerüchten, die rund um den Draghi-Bericht kursierten, setzt sich dieser für die Beibehaltung des Merit-Order-Prinzips bei der Strompreisgestaltung ein. Er schlägt allerdings für energieintensive Branchen als Übergangslösung einen regulierten Preis für grünen Strom vor. Auch dieser Idee kann Ruby wenig abgewinnen: „Beim Merit-Order-Prinzip sind die Grenzkosten, die bei einem Kraftwerk für die letzte produzierte Megawattstunde entstehen, preissetzend. Das ist an vielen Tagen nach wie vor Gas. Die Regelung ist aber ein wirksamer Mechanismus, um den Ausbau von Erneuerbaren zu fördern und den Einsatz von Gas zur Stromproduktion zu reduzieren. Ein regulierter Preis für grünen Strom wäre hingegen kontraproduktiv und würde investitionshemmend wirken.“
Steuern auf Strom senken
Anstatt mit regulatorischen Eingriffen, argumentiert Ruby, ließen sich die Energiepreise im Grunde mit einer sehr einfachen Maßnahme steigern: mit einer Senkung der Steuern auf Strom. Denn derzeit ist Strom im europäischen Durchschnitt rund 1,4-mal so hoch besteuert wie Gas: „Das verteuert den Strom und setzt überdies falsche Anreize für fossile Energie“, urteilt Ruby.
Zugleich werden auch weiterhin spezifische Förderungen nötig sein, die es energieintensiven Branchen erlauben, auf fossilfreie Energie umzusteigen. Allein in Österreich, erklärt der Präsident von Oesterreichs Energie, Michael Strugl, müssen für die Transformation des Energiesystems bis 2040 rund 100 Milliarden Euro aufgebracht werden. „Bei derart riesigen Summen muss es für all jene, die in Erzeugungsanlagen investieren, Klarheit und einen langfristigen Pfad geben. Wir brauchen daher einen entsprechenden Rechtsrahmen, eine entsprechende Regulatorik und Planungssicherheit. Dann kann die große Aufgabe, vor der wir stehen, gelingen“, sagt Strugl.
Europa nach vorne bringen
Kontraproduktiv wäre hingegen eine europäische und nationale Energiepolitik, die sich je nach der aktuellen politischen Verfasstheit der handelnden Akteurinnen und Akteure permanent ändert. Denn schließlich gelte es eine offensichtliche Wahrheit zu beachten: „Energie, in unserem Fall Strom, folgt den Gesetzen der Physik und nicht jenen der Ideologie.“
Sich mit einem realistischen Mindset für Dekarbonisierung und für eine grüne Energiewende einzusetzen, darin sieht auch Kristian Ruby eine wichtige Aufgabe der europäischen Politik. Und zugleich auch einen Weg, auf dem der Standort Europa wieder zu seiner alten Stärke zurückfinden kann: „Grüne, in Europa produzierte Energie ist die beste Antwort gegen den Trumpschen Isolationismus und sein Vorhaben, die US-Wirtschaft mit fossiler Energie aus Fracking zu stützen.“
Mehr Geld für Investitionen
Um gegen die USA und China zu bestehen, werde der alte Kontinent aber mehr Entschlossenheit und auch mehr Gemeinsamkeit als bisher demonstrieren müssen, sagt Ruby: „Europa braucht eine ganz klare Elektrifizierungsstrategie, von der es nicht abweicht. Wir müssen auch eine gemeinsame Finanzierungsarchitektur aufbauen, die die Energiewende vorantreibt.“
Das ist ein essenzieller Punkt. Denn im Vergleich mit den USA ist es in Europa viel schwieriger, an Kapital für neue, herausfordernde Projekte heranzukommen. In seinem Report fordert Draghi daher für die Umsetzung der drei darin genannten Hauptziele Innovation, geopolitische Sicherheit und Dekarbonisierung eine Erhöhung des europäischen Investitionsvolumen auf 750 bis 800 Milliarden Euro jährlich. Dafür wäre es laut Draghi auch gerechtfertigt, die gemeinschaftlichen Schulden der Union auf bis zu 4,7 Prozent des europäischen BIP steigen zu lassen. Die gemeinsamen Schulden der EU beliefen sich Ende 2023 auf etwa 1,4 Prozent des BIP.
Weitere spannende Berichte zum Thema Energie finden Sie in der „StromLinie“. Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins zur Energiewende finden Sie hier.
Kostenloses Abo – jetzt bestellen!
Wenn sie die „StromLinie“ künftig per Post erhalten möchten, können Sie unser Magazin auch kostenlos abonnieren.